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Kinoplakat: Wer ist Hanna?
Profikiller-Märchen für
die Cinemascope-Leinwand
Titel Wer ist Hanna?
(Hanna)
Drehbuch Seth Lochhead + David Farr
Regie Joe Wright, USA, UK, Deutschland 2011
Darsteller Saoirse Ronan, Eric Bana, Cate Blanchett, Vicky Krieps, Tom Hollander, Martin Wuttke, Paris Arrowsmith, Tim Beckmann, Paul Birchard, Christian Malcolm, Jamie Beamis, Tom Hodgkins, Vincent Montuel, Nathan Nolan, Michelle Dockery, Jessica Barden u.a.
Genre Thriller
Filmlänge 111 Minuten
Deutschlandstart
26. Mai 2011
Inhalt

Hanna ist 16. Sie lebt zusammen mit ihrem Vater Erik. Im Wald. In einer Blockhütte. Fernab der Zivilisation im tief verschneiten Finnland. Sie lernt - Märchen, Schießen, Tarnbiografien. Erik hat sie in allerlei Künsten, vom Kämpfen über verschiedene Sprachen bis hin zum Wissen über die Welt und Kulturen, unterrichtet.

Sie hatte nie Kontakt zu der modernen Außenwelt. Sie kennt keine Elektrizität, keine Musik und hat nie das Verhalten in der Außenwelt erlebt. Erik übergibt ihr einen Funksender. Sobald Hanna ihn einschaltet, wird CIA-Agentin Marissa Wiegler ihren Aufenthaltsort lokalisieren und beide töten. Erik bläut ihr ein, sobald Hanna den Schalter umlegt, kann "es" nur durch den Tod Hannas oder den Marissa Wieglers enden. Hanna benutzt den Sender. Wiegler empfängt das Signal und schickt ein Team, das beide gefangen nehmen soll.

Bei der Einsatzbesprechung erzählt sie den anderen, Erik sei ein desertierter CIA-Agent, dessen Fingerabdrücke auf einer Waffe neben der ermordeten Johanna Zadeck gefunden wurden. Er wisse etwas, das unbedingt geheim gehalten werden müsse; deshalb könne man den Fall nicht Interpol überlassen. Als das Einsatzkommando in Finnland eintrifft, ist Erik bereits fort. Hanna, die von der CIA nicht erwartet wird, tötet mühelos die ersten beiden Soldaten, lässt sich dann jedoch gefangen nehmen.

Sie wird in eine CIA-Einrichtung gebracht. Bei einer Untersuchung ihres Blutes werden Auffälligkeiten festgestellt, die Techniker halten es aber für eine verfälschte Probe. Hanna möchte in ihrer Zelle mit Marissa Wiegler sprechen. Eine Doppelgängerin wird geschickt, fragt, ob Hanna wisse, wo sich Erik aufhalte; man mache sich Sorgen um ihn. Hanna täuscht einen Weinkrampf vor, klammert sich an die Frau und in der Zeit, die die Wachen brauchen, um die Zellentür zu öffnet, bricht sie der falschen Marissa das Genick. Sie entwaffnet einen der herein stürzenden Soldaten und schießt die Wachen nieder. Die echte Marissa verfolgt das Ganze geschockt über Livestream in Langley. Hanna flieht aus der Anlage in die Wüste von Marokko.

Marissas Killer auf den Fersen gelingt es Hanna, sich bis nach Berlin durchzuschlagen. Hier ist ein Treffpunkt mit Erik vereinbart. Im Märchenhaus von Herrn Grimm im Spreepark. Die Killer warten schon ...

Was zu sagen wäre

Eine Wuchtbrumme von Film. Und – weil die Märchen der Gebrüder Grimm eine gewichtige Rolle spielen – auch der Märchenfilm unter den Thrillern. Hanna gibt wahlweise die Prinzessin und HänselGretel, CIA-Agentin Marissa ist die böse Hexe (passend mit Rothaar-Perücke) oder der Böse Wolf, in dessen Maul sie beim finalen Shootout im vergammelten Berliner Freizeitpak ihr Ende findet.

Cinemascope wunderschön mit Bild und Leben gefüllt

Hier sitzt ein Mann auf dem Regiestuhl, der verstanden hat, dass es beim Cinemascope-Format nicht reicht, dieses mit hektisch geschnittenen Bleiflugstudien zu füllen. Bei Joe Wright wird das riesige Format wunderschön ausgefüllt. Es gibt weite, karge Landschaften in Finnland – schon das Opening fesselt unmittelbar, es gibt großartige Totalen aus der Wüste Marokkos, es gibt aber auch die enge Tristesse des Graffitti-verschmierten, novembergrauen Berlin im Großformat. Dazwischen lange Studien des blassen Teenagergesichts mit den wasserblauen Augen, die kein Wässerchen trüben kann. Saoirse Ronan ist eine Klasse für sich („The Way Back“ – 2010; „In meinem Himmel“ – 2009; Abbitte – 2007; „Hauptsache verliebt“ – 2007). Wie die 17-jährige Schauspielerin dieser – sind wir ehrlich – überdrehten, unglaubwürdigen Märchenfigur reale Züge verleiht, das ist hohe Kunst. Keine Oscar-Rolle, aber wenigstens Oscar-würdig.

Außerdem verwöhnt uns Joe Wright mit einer mehrminütigen Plansequenz, die ihren Anfang nimmt, wenn Erik in Berlin aus dem Bus steigt und erst endet, nachdem er im Zwischengeschoss des S-Bahnhofs Berlin-Messe, vier bewaffnete Angreifer außer Gefecht gesetzt hat – das läuft ohne einen Schnitt und muss den Pixel-Päpsten des Kommerzkinos den Schweiß auf die Stirn treiben: Kino der alten Schule in perfektem Handwerk, perfekt vorbereitet, auf den Punkt gespielt und physisch eindringlicher, als jeder digitale Autocrash.

Kinoplakat (US): Hanna

Entspannung bei dysfunktionaler Familie

Das geschickt verschachtelte Drehbuch hat die Erzählstruktur einer Zwiebel, lässt stets Fragen unbeantwortet. Wenn das Rätsel schließlich gelöst ist und der Film in den Shoot-Out-Modus wechselt, der zum einzig möglichen Ende führt, ist das fast schon langweilig. Der Film lebt von seinen Rätseln und seinen Figuren. Eine vierköpfige Familie mit veganer Mutter und sozial genervtem Papa sowie süß-verwöhnter Tochter, die zur freiwillig-unfreiwilligen Fluchthelferin wird, bietet einen charmanten Kontrast zu Hannas Normalität und bietet ihr den Part der Erziehung, den Erik nicht liefern konnte – Familie, ausbüxen … und der Umgang mit Elektrizität. Ein spanischer Teenager muss dann allerdings feststellen, dass dieses rätselhaft-hübsche Mädchen zwar küssen will, aber bei Lippenkontakt sehr rasch und schmerzhaft Distanz schafft. Die Szenen mit dieser dysfunktionalen Familie sorgen für kurzzeitige Entspannung in diesem ansonsten erfrischend humorfreien Thriller. „Hanna, wo ist Dein Vater?“ „Unterwegs.“ „Und Deine Mutter?“ „Sie ist tot!“ „Oh, das … das tut mir leid. Woran ist sie gestorben?“ „An drei Kugeln!“

Joe Wright arbeitet sich offenbar an einem Lebensthema ab: Schon in Abbitte (2007) erlebten wir ein Mädchen, dass die Realität erst mühsam und unter Schmerzen entdecken, erkennen muss – auch hier ein tragendes Thema.

Ein gelangweilter, phantasieloser Killer

Eher fantasielos gestaltet Tom Hollander (Pirates of the Caribbean – Fluch der Karibik 2 – 2006) seinen Killer Isaacs, der in Marissas Auftrag die Geschichte zu einem „sauberen Ende“ bringen soll. Im Nachhinein ist schwer zu sagen, wer den Ausschlag dazu gab, aber dieser Isaacs ist eine billige Kopie des boshaft funkelnden Killers Milo aus The Last Boy Scout (1991), dem Taylor Negron unvergessliche Präsenz geschenkt hat.

Grimms Haus übrigens, der Treffpunkt an dem sich Hanna und ihr Vater verabredet haben, steht im Film im verlassenen Berliner Freizeitpark Spreepark. Der Spreepark ist echt, das Haus aber eine Erfindung. Außerdem lautet die Postleitzahl des Bezirkes, in dem sich jenes Haus befinden soll, 10559. Diese Postleitzahl gehört zum Berliner Stephankiez, der alte Spreepark befindet sich im Plänterwald und hat die Postleitzahl 12435.

US-Filmkritiker Roger Ebert empfindet Hanna als „gutes, stimmiges Filmhandwerk. Der Film beruht auf Stilsicherheit und -disziplin, einem ausgearbeiteten Plot und raffinierten Action-Sequenzen. Er reiht nicht nur Spezialeffekte aneinander.“ Da hat er Recht.

Wertung: 6 von 7 €uro
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