Sacramento, Kalifornien im Jahr 2002. Die 17-jährige Christine McPherson will raus aus Sacramento, an ein College an der Ostküsgte am liebsten. Nur weg – und raus auch aus ihrem Namen: Sie will jetzt Lady Bird genannt werden. Das mit dem Namen kriegen alle einigermaßen hin, aber mit der Ostküste? Daraus wird eher nichts werden. Ihre Mutter erinnert sie an die ohnehin schon angespannte finanzielle Situation, in der sich die Familie befindet. Lady Birds Bruder Miguel wurde adoptiert. Seit sie von ihren Eltern zu Hause rausgeworfen wurde, lebt auch seine Freundin Shelly bei den McPhersons. Marion arbeitet in einem Krankenhaus, wo sie oft Doppelschichten schiebt.
Lady Bird besucht eine katholische Highschool. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Julie nimmt sie dort an einem Casting für ein Musical teil, das im Herbst an der Schule aufgeführt werden soll. Bei den Proben wird sie schnell auf Danny aufmerksam. Beim Homecoming-Western-Ball tanzen sie, küssen sich zum ersten Mal und verbringen in den folgenden Wochen viele romantische Momente miteinander. Auch Danny will raus aus Sacramento und träumt davon, in Paris zu leben. Zu Thanksgiving nimmt er Lady Bird sogar mit zu seiner wohlhabenden Großmutter.
Gegen den Wunsch ihrer Mutter bewirbt sich Lady Bird an verschiedenen Universitäten. Ihren Vater informiert sie hierüber. Auch wenn der gerade seinen Job verloren hat, versucht er seine Tochter bei ihren Zukunftsplänen zu unterstützen. Wirklich gut ist Lady Bird in der Schule allerdings nicht, und daher versucht sie, sich durchzuschummeln. Ihre Chancen auf einen Abschluss bringt sie allerdings dadurch in Gefahr, dass sie eine Referentin bei einem Vortrag zum Thema Abtreibung brüskiert. Da sich Lady Bird mit ihren rot gefärbten Haaren recht unangepasst benimmt, hat ihre Mutter Bedenken, man könnte die Familie für asozial halten, was die Chancen für ihren Vater, einen Job zu finden, nicht gerade verbessern würde.
Nachdem Lady Bird nach der Premiere des Musicals Danny beim Knutschen mit einem Jungen auf dem Klo erwischt, wendet sie sich Kyle zu, der Mitglied in einer angesagten Band ist. Dadurch zerbricht fast ihre Freundschaft zu Julie …
Angeblich ist es immer da schön, wo man selber gerade nicht ist. Sacramento liegt zwar im hippen Kalifornien, ist sogar dessen Hauptstadt, ist aber nicht San Francisco oder Los Angeles. Es lebt von der Landwirtschaft, viele Leute kamen als Dust-Bowl-Bauern dorthin. Für die 17-jährige Christine, die auf eine streng katholische High School geht, ist diese Welt, in der Nonnen dafür sorgen, dass beim Engtanz auf der Schulparty „15 Zentimeter Platz für den Heiligen Geist“ bleiben sollten, furchtbar und sie kann es gar nicht erwarten, endlich das richtige Leben zu beginnen – an der Ostküste, wo all die intellektuellen Künstler, Schriftsteller, Musiker leben (sollen). Ein bisschen will sie auch weg von ihrer strengen Mutter, mit der sie sich viel streitet.
Erst, als sich Lady Bird endlich gelöst, den Schritt nach Osten geschafft hat, wird ihr – und uns – klar, dass sie die ganze Zeit vor sich selbst weggelaufen ist; sie heißt in New York auch wieder Christine. Im Schlussbild, bevor die Titel beginnen, sieht sie verwirrter aus als je. Abgesehen davon, dass das eine von den schöneren, interessanteren Coming-of-Age-Filmen ist, ist es auch mehr als das: eine kluge Beobachtung und Beschreibung der Psychologie einer Mutter-Tochter-Beziehung.
Saoirse Ronan und Laurie Metcalf, die Tochter Christine und Mutter Marion spielen, sollten eine TV-Serie aus ihren Rollen machen. Die beiden Schauspielerinnen harmonieren prächtig, beweisen Gefühl für gutes Timing, wenn die beiden von jetzt auf gleich von Gespräch in Streit wieder ins Gespräch finden – am schönsten ist eine Szene, als Mutter und Tochter ein Ballkleid aussuchen. Sie streiten sich, da hält Marion ein gelbes Kleid hoch und schon ist das Kleid wichtiger als der Streit. Ich kann den beiden stundenlang zusehen: „Natürlich liebe ich Dich“, sagt die Mutter. „Aber magst Du mich auch?“, fragt Lady Bird.
Einmal mehr großartig ist Saoirse Ronan, die auch für diese Rolle wieder – wie übrigens auch Laurie Metcalf – für einen Oscar nominiert war (Brooklyn – Eine Liebe zwischen zwei Welten – 2015; „Lost River“ – 2014; Grand Budapest Hotel – 2014; Wer ist Hanna? – 2011; Abbitte – 2007). Diese Christine ist in ihrer Widersprüchlichkeit und Ablehnung ein unangenehmer Charakter, dem ich aber unverdossen verbunden bin, weil Saoirse Ronan sie mit Hingabe spielt. Obwohl die 23-Jährige sechs Jahre älter ist als ihre Filmfigur, ist sie so glaubhaft in der Rolle, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, dass sie in ihrem Privatleben anders ist als die impulsive, explosive, Sternenhimmelverliebte Christine.
Dass Ronan so gut spielt, liegt an den präzisen Dialogen, die ihr Greta Gerwig ins Script geschrieben hat. Gerwig ist selbst in Sacramento aufgewachsen und später in der New Yorker Künstlerszene zur Filmemacherin gereift. Das grobe Handlungsgerüst mag biografisch sein, die Figur der Lady Bird sei aber ziemlich das Gegenteil ihres eigenen jungen Ichs, sagt sie in Interviews. Dennoch kommt die gute Ortskenntnis dem Film zugute. Gerwig weiß, wo man in Sacramento welche Plätze für welche Emotionen verwenden kann. Die kalifornische Hauptstadt spielt in ihrer Nicht-Greifbarkeit eine eigene Rolle in diesem Film.
Greta Gerwig inszeniert ihr Regiedebut in bester Woody-Allen-Schule: Ihre Figuren sind charmant, komisch, seltsam, verrückt, sie reden viel – und erzählen dabei was über unser aller Leben; das Leben der Teenager berührt auch den erwachsenen Zuschauer, weil sie Zeitloses erzählen. So wie das der New Yorker Woody Allen das bis in die 1990er Jahre gemacht hat.