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Plakatmotiv: Little Women (2019)

Hinreißend moderne Interpretation
eines 150 Jahre alten Mädchenbuchs

Titel Little Women
(Little Women)
Drehbuch Greta Gerwig
nach dem gleichnamigen Roman von Louisa May Alcott
Regie Greta Gerwig, USA 2019
Darsteller

Saoirse Ronan, Emma Watson, Florence Pugh, Eliza Scanlen, Laura Dern, Timothée Chalamet, Chris Cooper, Meryl Streep, Bob Odenkirk, Tracy Letts, James Norton, Louis Garrel, Jayne Houdyshell, Rafael Silva, Mason Alban u.a.

Genre Drama, Romantik
Filmlänge 135 Minuten
Deutschlandstart
30. Januar 2020
Inhalt

Massachusetts, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Die Familie March lebt in Concord in bescheidenen Verhältnissen. Im andauernden Amerikanischen Bürgerkrieg kämpft Vater March auf der Seite der Nordstaaten gegen die konföderierten Truppen.

Die liberale Mutter March, von ihren Kindern liebevoll Marmee genannt, kümmert sich um den Haushalt, dem auch vier Töchter angehören. Die zweitälteste Tochter Josephine, genannt Jo, schreibt in ihrer Freizeit Abenteuerromane und träumt von einer Karriere als Schriftstellerin in New York. Die älteste Tochter Margaret, genannt Meg, ist wohlerzogen und bereitet sich auf ihren Debütantinnenball vor, der sie offiziell in die Gesellschaft von Concord einführen soll. Die drittälteste Tochter, die eitle Amy, begeistert sich für das Zeichnen und Malen und träumt davon, die größte Künstlerin der Welt zu werden, ein Genie, oder aber wenigstens einen reichen Ehemann zu heiraten. Die jüngste Tochter, Elizabeth, genannt Betty, ist gutmütig, jedoch etwas schüchtern und liebt das Klavierspiel. Trotz der bescheidenen finanziellen Verhältnisse, in die der Krieg die Familie March gestürzt hat, verbringen sie ein idyllisches Leben in Neuengland, das von kostümierten Aufführungen eigener Theaterstücke und dem Schreiben einer fiktiven Zeitung, dem Pickwick Kurier, bestimmt wird.

Bei einer Abendgesellschaft in Concord und dem ersten gesellschaftlichen Auftritt von Meg und Jo macht die zweitälteste March-Tochter die Bekanntschaft des jungen Theodore Laurence, der sich ebenso wie Jo in einem Nebenraum vor der Gesellschaft geflüchtet hat. Laurie, wie er genannt wird, interessiert sich sehr für die Musik. Er ist der Neffe des reichen Mr Laurence, eines Nachbarn der Familie March. Der in Europa aufgewachsene junge Mann findet bald Aufnahme im Zirkel der vier Mädchen, und alle fünf genießen den schneereichen Winter, der mitunter von Zwistigkeiten der March-Töchter untereinander getrübt wird.

Jo verdingt sich als Gesellschafterin ihrer reichen Großtante und übernimmt den Unterricht ihrer Schwester Amy, die nach einer an ihr vollstreckten Prügelstrafe von der Schule genommen wird. Meg bandelt schon bald zärtlich mit John Brooke, dem Privatlehrer von Laurie, an.

Als die Marchs ein Telegramm über die Einlieferung ihres Vaters ins Hospital von Washington erhalten, verkauft Jo ihr langes Haar, um die Zugfahrkarte für ihre Mutter bezahlen zu können. In Abwesenheit der Mutter steckt sich Betty mit Scharlach an, als sie einer verarmten und kranken deutschen Familie Nahrungsmittel bringt. Die Idylle, in der Jo gelebt hat, ist jäh beendet, als Betty mit dem Tode ringt und Amy zu ihrer Großtante geschickt wird, da die jüngste Tochter noch kein Scharlachfieber hatte. Amy wird von Laurie, dem sie von ihren Ängsten berichtet und dem Wunsch einmal im Leben von einem Jungen geküsst zu werden, zu Großtante March begleitet. Laurie gibt ihr daraufhin das Versprechen, Amy vor ihrem Tod einmal zu küssen. Mit der Ankunft ihrer Mutter und der aufopferungsvollen Pflege verbessert sich der Gesundheitszustand von Betty; sie ist jedoch zeit ihres Lebens von schwacher Konstitution.

Mit den Jahren beginnen die Schwestern sich auseinanderzuleben. Meg und John Brooke heiraten und werden Eltern von Zwillingen. Amy hat sich zu einer hoffnungsvollen Künstlerin und schönen heiratsfähigen Frau entwickelt und reist mit ihrer Großtante nach Europa, sehr zum Kummer von Jo, die selber von einer Reise in die alte Welt träumt. Gleichzeitig weist Jo einen Heiratsantrag Lauries ab, der schon kurze Zeit später auch nach Europa aufbricht, um das Geschäft seines Großvaters zu übernehmen. Jo zieht bald hinaus in die Welt, um ihr Glück als Schriftstellerin zu versuchen, und lässt damit auch ihre Kindheit hinter sich …

Was zu sagen wäre

Greta Gerwig hat den Romanklassiker von Louisa May Alcott genommen, alle Figuren gestrichen und nur das Ambiente und die starren Regeln jener Zeit für ihren Film hergenommen. Dann hat sie vier lebenslustige Massachussetts-Gören aus dem 21. Jahrhundert in 150 Jahre alte Kostüme gesteckt, in ihre Filmkulisse gesetzt und dann May Alcotts Romanhandlung mit kleinen Änderungen neu verfilmt – es ist die mindestens fünfte Verfilmung des Stoffes (s.u.). Ich hätte einfacher schreiben können, Gerwig habe Alcotts Roman mal kräftig durchgepustet, entstaubt, aber weil die Hauptrolle einer jungen Schriftstellerin gehört, sollten wir Klischeesätze vermeiden.

Die beiden jüngeren Schwestern haben die Rollen getauscht, die eitle Amy ist nicht mehr die Jüngste, Beth ist das nun, allerdings bleiben ihre Charaktere identisch zu denen im Buch. Es bleibt offen, warum Greta Gerwig das so entschieden hat, womöglich ist diese Entscheidung der prominenteren Besetzung geschuldet. Florence Pugh (Lady Macbeth – 2016) gibt der eitlen Ziege Amy eine Aura der kühlen Berechnung, würde als jüngste Tochter aber rein äußerlich nicht mehr durchgehen. Die knapp 20-jährige Eliza Scanlen wiederum, die die kränkliche Beth spielt, wäre als zweitälteste nicht durchgegangen. Das nimmt im Film der Logik, in der die reiche Erbtante ihre Nichten eine nach der anderen zu folgsamen Damen erziehen will, zwar die strenge Logik, die sie in der Vorlage hat, dem Film aber nichts von seiner hinreißenden Dynamik; zumal Meryl Streep als standesbewusste Erbtante March ein großartiges Kleinod an Schauspielkunst liefert ("Die Geldwäscherin" – 2019; Mary Poppins' Rückkehr – 2018; Die Verlegerin – 2017; Florence Foster Jenkins – 2016; Im August in Osage County – 2013; Die eiserne Lady – 2011; Julie & Julia – 2009; Von Löwen und Lämmern – 2007; Der Teufel trägt Prada – 2006; Robert Altmans Last Radio Show – 2006; Der Manchurian-Kandidat – 2004; Die Brücken am Fluss – 1995; Am wilden Fluss – 1994; Das Geisterhaus – 1993; Der Tod steht ihr gut – 1992; Jenseits von Afrika – 1985; Der Liebe verfallen – 1984; Kramer gegen Kramer – 1979; Manhattan – 1979; Die durch die Hölle gehen – 1978).

Die älteste Schwester Margaret, genannt Meg, spielt Emma Watson, die sich längst aus ihrer Hermine-Granger-Rolle emanzipiert hat (The Circle – 2017; Die Schöne und das Biest – 2017; "Colonia Dignidad" – 2015; Noah –2014; The Bling Ring –2013; Vielleicht lieber morgen – 2012). Watson spielt dieses wohlerzogene Mädchen mit großer Hingabe und Mut zum Kitsch.

Ihr Counterpart, die freigeistige Josephine, genannt Jo, wird von Saoirse Ronan als aufbrausender Feuerkopf gespielt (Lady Bird – 2017; Brooklyn – Eine Liebe zwischen zwei Welten – 2015; Grand Budapest Hotel – 2014; Wer ist Hanna? – 2011; Abbitte – 2007). Wenn sie mit ihren Filmgeschwistern herumtollt oder mit ihrem potenziellen Verleger über Urheberrecht verhandelt, habe ich keinen Moment den Eindruck, dass sie spielt; sie ist in ihren Szenen der aufbrausende Feuerkopf mit dem angriffslustigen Lächeln und dem ruppigen Charme einer Best Friend Forever. Sie war für den Oscar nominiert, blieb dabei zweite Siegerin hinter Renée Zellwegers Titelrolle in Judy.

Gerwig hat die Verfilmung des Romans, der autobiografisch aus Alcotts eigenem Leben erzählt, mit Alcotts tatsächlicher Biografie verquickt, springt auf der Zeitachse immer wieder sieben Jahre vor und zurück, was dem Zuschauer unnötige Darstellungen von Entwicklungsschritten erspart und früh klar macht, wohin sich die vier Schwestern nach dem Eintreten ins Erwachsenenleben entwickeln; die Jugend sprüht in den goldenen Farben eines ewigen Sommers, in dem die Mädchen goldene Vorstellungen ihrer Zukunft haben. Als sie später merken, dass die Realität des Lebens anders ist, kühler, verlieren die Bilder an Farbe. Das mit den Zeitsprüngen muss man zu Beginn über zwei, drei Sprünge verstehen, danach ist aber immer sofort klar, wo wir uns befinden – eben auch dank der Farbgebung, die als dramaturgisches Element hier ebenso genutzt wird, wie als Orientierungshilfe.

Auch wenn #Aufschrei oder die #MeToo-Debatte anderes wieder nahelegt, sind aus den Frauenproblemen des 152 Jahre alten Romans heute dann doch weitläufig Lehren gezogen, Gesetze erlassen, die westliche Gesellschaft insgesamt gleichberechtigter geworden. Gerwig hat deshalb aus den vier Mädchen aus den 1860er Jahren junge Frauen aus dem hier und heute gemacht. Sie bewegen sich wie junge Frauen des 21. Jahrhunderts, sie reden auch so, tragen halt nur 150 Jahre alte Kostüme und ärgern sich über das gesellschaftlich herrschende Korsett der damaligen Zeit. Das macht das in Pastellfarben erzählte Stück sehr heutig, mit dem Nachteil, dass die jungen, historisierten Damen manchmal wirken, als sagten sie feministische Traktate und Kalendersprüche aus einer Frauenzeitschrift der 1970er Jahre auf. Meg, deren Traum aus Mann, Kindern und Haushalt besteht, erklärt ihrer jüngeren Schwester Jo, der unbändigen Schriftstellerin: „Nur weil ich andere Träume habe, heißt das nicht, dass sie kleiner sind.“ Amy klärt Laurie von gegenüber über die gesellschaftliche Stellung der Frau auf: „Als Frau habe ich keine Möglichkeit, mein eigenes Geld zu verdienen. Nicht genug Geld für mein Auskommen oder das Auskommen meiner Familie. Und hätte ich mein eigenes Geld, was nicht so ist, würde es meinem Ehemann gehören, sobald wir verheiratet wären. Wenn wir Kinder hätten, wären es seine, nicht meine, sie wären sein Eigentum. Also sitz' nicht da und erzähl mir, die Ehe wäre kein ökonomisches Konzept! Vielleicht nicht unbedingt für Dich, mit Sicherheit aber für mich!“ Das klingt nicht nach Mädchensprech aus dem 19. Jahrhundert, erklärt dem 2020-Zuschauer aber ein paar Grundsätzlichkeiten aus jener Zeit.

Die pastellfarbenen Bilder schwelgen in Sonnenuntergängen, Herbststimmungen, Winterlandschaften und großem Pomp und Kostüm, wie das bei Filmen dieser Art – Bsp.: Jane-Austen-Verfilmungen – zu erwarten ist. Auch der Score von Alexandre Desplant klimpert fröhliche Weisen über alle Bilder, was bisweilen die Bilder klein macht. Greta Gerwig kommt aus der Independent-Szene der liberalen Ostküste, sie weiß, was das Kommerzkino erwartet und hält mit eigenem Esprit dagegen; das hat sie in Lady Bird (2017) gezeigt. Die Konzessionen ans Kommerzkino kommentiert sie süffig in ihrem neuen Film: Wenn der Verleger Jo in den abschließenden Verhandlungen zu ihrem ersten Buch ihr ein Happy End abtrotzt, indem die Heldin am Ende doch heiratet – „Sie lebt anschließend als graue Jungfer bis zu ihrem Tod? Das will doch keiner wissen! Lassen Sie sie bitte einen Mann finden und glücklich werden.“ – dann klingt das, wie ein möglicherweise stattgefundenes Gespräch ihres Produzenten mit ihr: „Sie wollen diese wunderschönen Bilder ohne Musik lassen. Wie sollen denn die Zuschauer wissen, was sie fühlen sollen. Lassen Sie Alexandre noch ein Piano darüber schmeicheln. Das wird zahlreiche junge Frauen zu Tränen rühren, die sich mit Ihrer komplizierten Zeitsprungmontage nicht anfreunden können.“ Als Ergebnis wurde Alexandre Desplats Musik für einen Oscar nominiert, Gerwigs kunst- und lustvolle Regiearbeit hingegen nicht (s.u.).

Und in ihrem Eigensinn liefert Gerwig dann zu viel Musik und ein Finale, aus dem wir uns herauspicken können, ob es ein Very Happy Ending, ein Happy Ending oder einfach nur ein Ending ist. Gerwig hat in der Verquickung von autobiografischem Roman und der Biografie der Autorin ganz schön viel Spielraum gefunden und weidlich genutzt. Von den 135 Minuten ist keine zäh.

Wertung: 7 von 8 €uro
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