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Plakatmotiv: Interstellar (2014)

Große Science Fiction mit
viel Wort und zu lauter Musik

Titel Interstellar
(Interstellar)
Drehbuch Jonathan Nolan & Christopher Nolan
Regie Christopher Nolan, USA, UK 2014
Darsteller

Matthew McConaughey, Anne Hathaway, Michael Caine, Jessica Chastain, Ellen Burstyn, Mackenzie Foy, John Lithgow, Timothée Chalamet, Topher Grace, Casey Affleck, William Devane, David Oyelowo, Collette Wolfe, Francis X. McCarthy, Bill Irwin, Andrew Borba, Wes Bentley, David Gyasi u.a.

Genre Science Fiction, Abenteuer
Filmlänge 169 Minuten
Deutschlandstart
6. November 2014
Inhalt

Ich bin kein Farmer. Ich bin Ingenieur!“ „Die Welt braucht aber keine Ingenieure mehr. Es mangelt den Menschen nicht an Fernsehgeräten. Es mangelt ihnen an Nahrung.

Cooper ist Farmer. Er baut Mais an. Wie alle in der Gegend. Wie alle überall in der Welt. Mais ist so ziemlich das Einzige, was noch angebaut wird. Gigantische Sand– und Staubstürme suchen regelmäßig das Land heim und verwüsten, was keinen Widerstand leistet – Mais und Mensch halten stand, noch.

Cooper war mal Testpilot. Früher, VOR dem Staub, als die Wissenschaft noch technologische Höhenflüge erfand, als überhaupt noch Geld in Wissenschaft und Technik investiert wurde. Heute wird nur noch in Mais und experimentelle Landwirtschaft investiert. Cooper hat darüber seine Frau verloren; sie starb, weil im Krankenhaus eine harmlose Zyste nicht entdeckt wurde, die dann üble Metastasen ausbildete.

Cooper lebt mit seinem Vater und den beiden Kindern auf der Farm; sein Sohn Tom liebt die Farm, seine Tochter, Murph, nicht – sie liebt zur Freude Coopers Wissenschaft, womit sie in der Schule regelmäßig aneckt. Aber Zuhause macht ihr ein „Geist“ zu schaffen, den sie wissenschaftlich nicht zu packen bekommt, der aber eines Tages dazu führt, dass Cooper und Murph eine geheime Basis der NASA entdecken; dort, tief unter der Erde arbeitet man an einem Plan, die Erde zu evakuieren und die Menschheit auf einen fernen Planeten umzusiedeln. Möglich macht das ein Wurmloch, das hinter dem Saturn aufgetaucht ist … das dort Jemand platziert haben könnte, mutmaßen die NASA-Leute, quasi als Einladung.

Der NASA-Plan ist so weit fortgeschritten, dass schon zwölf Missionen durchgeführt wurden und drei Astronauten Nachrichten über möglicherweise bewohnbare Planeten in einer fernen Galaxis senden konnten. Eine nächste Mission soll diese drei Planeten erkunden und bei der Gelegenheit auch die Astronauten zurück holen.

Ex-Testpilot Cooper wird für diesen Flug durchs Wurmloch verpflichtet, was Murph nicht gefällt, aber schließlich steht die Menschheit vor dem Aus.

Drei Jahre später jagt Coopers Crew durch das Wurmloch und nähert sich dem ersten von drei möglichen Planeten. Sie haben nicht viel Zeit. Jede Stunde, die sie im Orbit und auf dem Planeten verbringen, vergehen auf der fernen Erde sieben Jahre – Zeit ist relativ. Dort unten auf dem ersten Planeten verlieren sie nicht nur Zeit, sondern entgehen auch nur knapp einer Katastrophe, die Menschenleben und Treibstoff kostet. Cooper und seine Leute müssen eine epochale Entscheidung treffen …

Was zu sagen wäre

Ein großer Wurf mit kleinen Schönheitsfehlern. Ein Multimillionen-Dollar-Science-Fiction auf der großen Leinwand, das sich als komplexe philosophische Abhandlung über das Wesen der Zeit und die Unvergänglichkeit der Liebe entpuppt. Sowas hat es lange nicht mehr gegeben. Jonathan und Christopher Nolan beweisen Mut mit diesem Film, der sich von Minute zu Minute mehr den Erwartungen seiner Zuschauer entzieht – und der Film dauert 167 Minuten.

Wenn ich bedenke, wieviel überraschungsarmer Mist Jahr für Jahr aus den kommerziellen Studios in die Kinos gespült wird, dann ist allein das schon eine Leistung, einen solchen Film finanziert und vertrieben zu bekommen – einen solch teuren Film (165 Millionen Dollar soll er etwa gekostet haben), in dem sehr viel geredet wird, der sich Hollywoods ad-hoc-Dramaturgie verweigert, der fast drei Stunden dauert und keine Story erzählt, die man nachvollziehbar in drei Sätzen erzählen kann. Christopher und Jonathan Nolan haben einen Film geschaffen, der eigen ist, der den Gesetzen einer Geschichte folgt, nicht denen eines formatierten Produktes.

Eine geschickte Täuschung

Nolan beginnt seine Sinnsuche des Menschen noch sehr überschaubar mit gebrochenem Helden, der nicht darf, was er kann, wissensdurstiger Tochter mit Fähigkeiten, Farbigen, die umkommen, erfolgreiche Frauen, die dann doch in Tränen ausbrechen und dem weisen Alten, dem Nolens Lieblingsschauspieler Michael Caine Gesicht und Integrität verleiht. Das geht so weit, dass er auf dem ersten fremden Planeten gleich eine Ticking-Clock-Melodie auf die Tonspur setzt, die klar macht, auf diesem Planeten ist nichts zu holen, aber gleich wird's gefährlich. Nolan kennt seine Zuschauer, weiß, dass er mit plumpen Überraschungen in der Science-Fiction und hinter-der-Tür-hervorspringenden-Katzen niemanden mehr erschreckt; weil er diese Szenen aber für seine Geschichte braucht, inszeniert er sie auf Wirkung. Das macht im Kinosessel Spaß zu gucken.

Je weiter der Film fortschreitet, desto weniger Wirkung muss Nolan inszenieren, desto mehr fesselt das Drehbuch. Aus demselben Grund verzichtet er auch auf bremsende Astronauten-verabschieden-sich-steigen-in-den-Kälteschlaf-während-das-Schiff-jahrelang-durchs-All-gleitet-Bilder: Der Zuschauer kennt dieses Procedere aus zahllosen Serien und Filmen und Nolan braucht die Zeit, die solche Bilder nur kosten ohne etwas zu bringen, für das Ausbreiten seiner Idee.

Die Macht des Wortes

Nolan ist der bild- und wortgewaltige Erklärer unter den modernen Kinoerzählern (The Dark Knight Rises – 2012; Inception – 2010; The Dark Knight – 2008; Prestige – Die Meister der Magie – 2006; Batman Begins – 2005; "Insomnia" – 2002; Memento – 2000). Schon Inception (2010) liefert zu imposantem Soundtrack und fremdartigen Bildern über die Dialogspur eine einzige lange Erklärung, was mit wem in welchem Traum wie zusammenhängt. Das ist in "Interstellar" ähnlich, wenn auch nicht so überbordend. Dafür ist der Soundtrack genauso wuchtig und vor allem: viel zu laut.

Hans Zimmers Fanfaren blasen derartig aus den Boxen, dass ich manche Dialoge nicht verstehe; als hätte er den Begriff Weltraumoper sehr frei interpretiert. Und ist es nicht Hans Zimmers Score, sind es Soundeffekte bei Abstürzen und Katastrophen, die die panischen Kommandos und Funksprüche überlagern. Das ist blöd, weil die philosophische Geschichte durchaus mehr Ruhe vertragen würde. Diese Ruhe gibt es. Bemerkenswerterweise bei den großen Explosionen im All, bei denen sich Nolan an die Physik hält, die da sagt „Im All hört Dich niemand schreien“ – Vakuum transportiert keinen Schall. Weil er dabei aber nicht konsequent bleibt, wirken die stummen Szenen, als ob sie umso lauter „Effekt!!!“ schreien.
Auf der Tonspur bleibt James Cameron der Meister, der mit Terminator (1984) und Aliens (1986) gezeigt hat, wie man Sound so inszeniert, dass er unter die Haut geht und erst dort Beben erzeugt.

Nolans Lärm verhindert den Zauber für einen Klassiker

Spätestens im letzten Drittel hat sich Nolan von den Erwartungen seiner Zuschauer emanzipiert und gleitet ins Philosophische; wäre der Film nicht so unangenehm laut, könnte er sich mit Kubricks Odysee im Weltraum (1968) messen, der vergleichbar Fragen nach dem „Wer sind wir?“, „Wo wollen wir hin?“ und „Sind wir eigentlich allein im Universum?“ diskutierte.

Dialoge über das Wesen der Liebe, über den Wert sozialer Bindungen im humanen Gefüge und über ein Universum, in dem Zeit lediglich eine weitere zu durchschreitende Dimension und Gravitation das alles überwindende, alles verbindende Element darstellt, werden an Bord des Raumschiffs und auf unwirtlichen Planetenoberflächen geführt, während – harte Schnitt-Gegenschnitt-Montagen – auf der sehr fernen Erde NASA-Wissenschaftler hektisch versuchen, die Menschheit zu retten und rätselhafte Zeichen zu entschlüsseln. In diesen Montagen zeigt Nolan, dass er sein Timing beherrscht – da ist keine Minute langweilig, die Spannung zerrt am Gemüt im Kinosessel; bis Hans Zimmer wieder vorlaut wird.

Ein Film aus der Zukunft? Hoffentlich!

In der aktuellen Kinoumgebung ist „Interstellar“ ein unmöglicher Film, wie aus der Zeit gefallen – aber aus einer künftigen Zeit. Er lässt sich nicht in drei Sätzen erzählen, war mit 165 Millionen Dollar aber so teuer, wie Hollywoods Wanna-be-Blockbuster um Riesenroboter und adoleszente Sinnsucher in Fantasialand, die sich in einem Satz zusammenfassen lassen. Nolan hat on location gedreht, nicht im Studio vor Green Screen, was dem Film einen ungewohnt gewordenen Realismus verleiht. 3D braucht er bei solchen Bildern gar nicht erst – die sind in sich mehrdimensional; dazu sind die Special Effects gerade so groß, dass sie eine Rakete ins All und durch ein Wurmloch treiben. Der große Rest ist handmade Film. Sehr klassisch. Sehr schön.

Ein Wort zur Besetzung: Sie kann wahrscheinlich nichts dafür, aber ich nehme Anne Hathaway die Astrophysikerin und energische Raumfahrerin einfach nicht ab (Don Jon – 2013; The Dark Knight Rises – 2012; Zwei an einem Tag – 2011; Alice im Wunderland – 2010; Valentinstag – 2010; "Bride Wars – Beste Feindinnen" – 2009; Der Teufel trägt Prada – 2006; Brokeback Mountain – 2005; Plötzlich Prinzessin! – 2001). Dabei gibt sie sich sicher alle Mühe und macht auch nichts auffallend falsch. Aber ich habe ihr auch schon die Catwoman aus Nolens Dark-Knight-Trilogie nicht abgenommen. Die schlanke Frau mit den zu großen Augen ist in der Romantic Comedy offenbar besser aufgehoben. Matthew McConaughey trägt seine Rolle leichtfüßig. Er hat es auch leichter als Hathaway. Eine Berufung als Farmer nehme ich ihm nicht ab, aber die weist sein Cooper ja selbst von sich; und als Testpilot ist der vormals sexiest man alive, dem das Leben manche Spur ins Gesicht getrieben hat, perfekt für die Heldenrolle.

Michael Caine ist ... Michael Caine (Die Unfassbaren – Now You See Me – 2013; Die Reise zur geheimnisvollen Insel – 2012; Inception – 2010; 1 Mord für 2 – 2007; Prestige – Die Meister der Magie – 2006; Batman begins – 2005; Miss Undercover – 2000; Get Carter – 2000; Gottes Werk & Teufels Beitrag – 1999; Hannah und ihre Schwestern – 1986; Der 4 1/2 Billionen Dollar Vertrag – 1985; Die Hand – 1981; Dressed to Kill – 1980; Freibeuter des Todes – 1980; Die Brücke von Arnheim – 1977; Der Adler ist gelandet – 1976; Der Mann, der König sein wollte – 1975; Die schwarze Windmühle" – 1974; "Mord mit kleinen Fehlern" – 1972; Jack rechnet ab – 1971; Charlie staubt Millionen ab – 1969; Ein dreckiger Haufen – 1969; Das Milliarden Dollar Gehirn – 1967; Siebenmal lockt das Weib – 1967; Finale in Berlin – 1966; Ipcress - streng geheim – 1965). Er hat wissenschaftliche Texte aufzusagen und ist auch hier jovial und weise wie Batmans Butler Alfred.

Die göttliche Jessica Chastain

Coopers Tochter Murphy wird von drei Schauspielerinnen gespielt: als Kind und als erwachsene Wissenschaftlerin, als alte Frau spielt sie die Grand old Lady des Kinos, Ellen Burstyn – ein schönes, sentimentales Wiedersehen auf der Leinwand ("W." – 2008; Requiem for a Dream – 2000; The Yards – 2000; Leben und lieben in L.A. – 1998; Der Exorzist – 1973). Als Wissenschaftlerin wird Murph von Jessica Chastain gespielt (Das Verschwinden der Eleanor Rigby – 2013; Mama – 2013; The Help – 2011; Coriolanus – 2011), die nach Zero Dark Thirty (2012) ihre fesselnde Ausstrahlung bestätigt. Sie erfüllt das Magie-Versprechen, das jede Kinokamera anbietet, aber von den wenigsten angenommen wird – Anne Hathaway beispielsweise hat das nicht, Chastain muss sich nur ins Kameralicht stellen.

Und wenn die Crew dann in das Wurmloch fliegt, um fremde Lebensräume zu erforschen und alte zurückzulassen, ergebe ich mich der wuchtigen Schönheit dieses Films.

Wertung: 7 von 8 €uro
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