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Plakatmotiv: Killers of the Flower Moon (2023)

Eine atemberaubende Geschichte in
einem nur mäßig aufregenden Film

Titel Killers of the Flower Moon
(Killers of the Flower Moon)
Drehbuch Eric Roth & Martin Scorsese
nach dem gleichnamigen Sachbuch von David Grann
Regie Martin Scorsese, USA 2023
Darsteller

Leonardo DiCaprio, Robert De Niro, Lily Gladstone, Jesse Plemons, Tantoo Cardinal, John Lithgow, Brendan Fraser, Cara Jade Myers, Janae Collins, Jillian Dion, Jason Isbell, William Belleau, Louis Cancelmi, Scott Shepherd, Everett Waller, Talee Redcorn, Yancey Red Corn, Tatanka Means, Barry Corbin, Gary Basaraba, Sturgill Simpson, Ty Mitchell, Pat Healy, Charlie Musselwhite, Steve Witting, Pete Yorn, Larry Sellers, Cara Jade Myers, JaNae Collins, Jillian Dion, Michael Abbott Jr, Elden Henson, Steve Eastin, Katherine Willis, Gene Jones, Jack White, Larry Fessenden u.a.

Genre Krimi, Drama, Geschichte
Filmlänge 206 Minuten
Deutschlandstart
19. Oktober 1923
Inhalt

Die USA in den 1920er Jahren: Auf dem Gebiet der Osage Nation im Bundesstaat Oklahoma wurde jede Menge Öl gefunden, weswegen die dort lebenden indigenen Völker Nordamerikas zu großem Reichtum gelangt sind. Doch auch die weißen Siedler haben es auf das schwarze Gold abgesehen, allen voran der einflussreiche Rancher William Hale und dessen Neffe Ernest Burkhart, der mit der Osage Mollie verheiratet ist.

Unter den Angehörigen des Osage-Stammes kommt es plötzlich zu immer mehr Todesfällen, die irgendwie im Zusammenhang mit den begehrten Ölbohrrechten zu stehen scheinen. Dies löst eine groß angelegte Untersuchung einer völlig neuen Polizeieinheit – dem FBI – aus. Tom White, ehemaliger Texas Ranger und Gesetzeshüter alter Schule, leitet die Ermittlungen für die neue Bundesbehörde und stößt dabei in ein Wespennest aus Korruption und Mord …

Was zu sagen wäre

Martin Scorsese macht sich um das Volk der Osage verdient, indem er eine Geschichte erzählt, die noch einmal die Kaltblütigkeit weißer Eroberer zeichnet, die die Native Americans über Jahrzehnte immer weiter zurückgedrängt und sich deren Reichtum angeeignet haben. Scorsese stützt sich auf ein 2017 erschienenes Sachbuch, "Das Verbrechen: Die wahre Geschichte hinter der spektakulärsten Mordserie Amerikas", welches aber nur einen Bruchteil der Menschen erreicht, die sich den neuen Film von einem Regisseur wie Martin Scorsese anschauen (The Irishman – 2019; "Silence" – 2016; The Wolf of Wall Street – 2013; Hugo Cabret – 2011; Shutter Island – 2010; "Shine a Light" – 2008; Departed – Unter Feinden – 2006; Aviator – 2004; Gangs of New York – 2002; Bringing Out the Dead – 1999; Casino – 1995; Zeit der Unschuld – 1993; Kap der Angst – 1991; GoodFellas – 1990; "Die letzte Versuchung Christi" – 1988; Die Farbe des Geldes – 1986; New York, New York – 1977; Taxi Driver – 1976; Hexenkessel – 1973). Das heißt, die Reichweite für solch einen Skandal ist viel größer.

Der Film erzählt von einer perfiden Mordserie, durch die die Osage um ihren unverhofften, aber sehr reellen Ölreichtum gebracht werden sollen. Weiße Siedler heiraten gezielt Osage-Frauen, die Anteile am Ölreichtum besitzen, und bringen diese dann um – möglichst so, dass es nach Unfall, Suizid oder natürlicher Todesursache aussieht. Im vorliegenden Film sorgt Großrancher Hale dafür, dass sein Neffe Ernest erst Molly heiratet, eine Osage, und dann, dass erst deren Schwestern samt Ehemännern umkommen; als letzte soll Molly dran glauben. Das wäre schon eine krasse Drehbuchidee. Aber diese Morde sind historisch verbürgt – „based on a true Story“ – und die Charaktere weitgehend historisch, wenn auch natürlich dramaturgisch gefeilt.

Scorsese springt gleich mitten rein ins Geschehen. Wir lernen Ernest Burkhart kennen, der als Soldat aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrt, es muss sich also um das Jahr 1918/19 handeln. Sein Onkel William Hale, großer Viehzüchter und Indianerfreund in Oklahoma, verschafft ihm einen Job als Taxifahrer und motiviert ihn, der Osage-Frau Molly den Hof zu machen und zu heiraten. Erst nach und nach treten die grausamen Hintergedanken des Viehzüchters zutage, die dann erschwert werden, weil Ernest seine Molly wirklich liebt und die Idee, diese irgendwann töten zu sollen, nicht gut findet.

Ein Problem des Films erwächst aus der Tatsache, dass für die Handlung wichtige Hintergründe nur oberflächlich abgehandelt werden. Wie das mit den Anteilen an Öl oder Boden oder wie oder was ist, die die einzelnen Osage besitzen und was es mit denen auf sich hat und was der Unterschied zwischen Vollblut und Halbblut in diesem Zusammenhang bedeutet. Auch bleibt unklar, was dieser weiße Beamte von großer Körperfülle im „Indianergebiet“ zu sagen hat und warum, wenn der Molly einmal erklärt, Ausgaben, die deren Mutter beim Fleischer gemacht habe, könne er nicht genehmigen. So richtig eintauchen können wir in die Strukturen nicht. Wir werden nicht Mitglied im Film, nicht mitgenommen.

Statt dessen bekommen wir Ernest an die Seite gestellt, den Leonardo DiCaprio mit markanter Verbissenheit spielt (Don't look Up – 2021; Once upon a Time in Hollywood – 2019; The Revenant – Der Rückkehrer – 2015; The Wolf of Wall Street – 2013; Der große Gatsby – 2013; Django Unchained – 2012; J. Edgar – 2011; Inception – 2010; Shutter Island – 2010; "Zeiten des Aufruhrs" – 2008; Der Mann, der niemals lebte – 2008; "Blood Diamond" – 2006; Departed – Unter Feinden – 2006; Aviator – 2004; Catch Me If You Can – 2002; Gangs of New York – 2002; The Beach – 2000; Celebrity – Schön, reich, berühmt – 1998; Titanic – 1997; William Shakespeares Romeo & Julia – 1996; Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa – 1993). Immer kraftvoll nach unten gedrückte Mundwinkel, entweder aus unterdrücktem Zorn auf Irgendwas oder aus enttäuschten Gefühlen. Nie ist er die treibende Kraft, nie lehnt er sich gegen den Patriarchen Hale auf. Es gibt keine Kontrahenten. Scorsese scheint überzeugt davon, dass die Ungeheuerlichkeit der sich nach und nach entblätternden Kriminalstory im Kinosessel ausreicht; was sie nicht mehr tut, weil die Grundzüge dieses Skandals seit der Weltpremiere bei den Filmfestspielen in Cannes in allen Medien längst breit getreten worden sind. Filme bekommen ein Problem, wenn ihr zentrales Thema zum nationalen Filmstart von den Feuilletons schon durchdebattiert worden sind. Ein zweites Problem des Films ist, dass Leonardo DiCaprios Rolle eine rein gehorchende ist. Sein Ernest bekommt Ansagen von William Hale und die führt er aus. Er begehrt nie auf, stellt nichts in Frage und will sich am Ende lieber selbst als seine Frau vergiften. Daraus erwächst keine Spannung. In einem Film von dreieinhalb Stunden Länge wäre Spannung aber ungemein wichtig.

Elemente, die in Scorseses Œvre zentral sind, stolpern hier über die scheinbar uneingeschränkte Machtfülle des Regisseurs bei dieser Produktion. Bei Scorsese treiben oft die Machtverhältnisse zwischen Männern die Handlung voran, aus Bewunderung und Abhängigkeit wächst Verrat. Das ist in "Killers of the Flower Moon" schon auch so, wird aber nicht erzählt. Sondern nur gezeigt. Sowas altmodisch Kommerzielles wie Mitfiebern im Kinosessel ist bei diesem überlangen Film nicht vorgesehen. Der Film ist maßgeblich von Apple produziert worden. Das Paramount-Studio wertet ihn kurz im Kino aus, damit er bei der Oscar-Show am 10. März 2024 eine Rolle spielen darf, bei der er mit unglaublichen zehn Nominierungen auftritt (Film, Regie, Hauptdarstellerin Gladstone, Nebendarsteller De Niro, Kamera, Szenenbild, Kostüme, Filmmusik, Song, Schnitt). Aber dann wird er hauptsächlich auf Apples Streaming-Plattform ausgewertet. In den Streaming-Plattformen sind den Kinos und Verleihern große Konkurrenz erwachsen. Dass Filme heutzutage immer länger werden, hängt mit dem ungeheuren Content-Hunger der kräftig konkurrierenden Streaming-Plattformen zusammen. Produzenten und Regisseure sagen, wenn Du meine Vision nicht unterstützt, gehe ich halt zu den anderen. Einen Scorsese einfach ziehen zu lassen, kann sich niemand leisten. Und schon kann der in dreieinhalb Stunden Film eine Geschichte erzählen, die man gut in zwei bis zweieinhalb Stunden hätte erzählen können.

Es ist ja nicht so, dass es nichts zu gucken gäbe in den dreieinhalb Stunden. Look and feel, wie man im Influenzer-Sprech heute sagt, sind top. Die sehr dynamische Kamera von Rodrigo Prieto bietet mir ein zwar zweidimensionales, aber Rundum-Erlebnis; Scorsese begrenzt ihn zwar größtenteils auf Talking Heads, selten unterbrochen von einer Landschaftsaufnahme oder einem Panorama, aber Preit zaubert Kunstwerke aus den namhaften Gesichtern. Das Setting, die Ausstattung sind so perfekt, dass selbst der Routinier Scorsese vergisst, die große Ranch des Viehzüchters Hale zu Beginn seines Films einmal für die Zuschauer richtig erfassbar zu machen – die Luftaufnahme, die er uns von dem Gelände spendiert, reicht nicht. Und auch ist es schön, Robert De Niro in einer gnadenlosen Schurkenrolle lustvoll brillieren zu sehen, wie er sie seit seinem Max Cady in Kap der Angst (1991) nicht mehr gespielt hat, und dabei akademisch zu beobachten, wie er die Gnadenlosigkeit seiner Charaktere von 1991 (laut und dominant) bis heute (leise, lächelnd und dominant) verfeinert hat (Kings of Hollywood – 2020; The Irishman – 2019; Joker – 2019; The Comedian – 2016; Joy – Alles außer gewöhnlich – 2015; Man lernt nie aus – 2015; Zwei vom alten Schlag – 2013; American Hustle – 2013; Last Vegas – 2013; Malavita – The Family – 2013; Killing Season – 2013; Silver Linings – 2012; Happy New Year – 2011; Killer Elite – 2011; Ohne Limit – 2011; Meine Frau, unsere Kinder und ich – 2010Machete – 2010; Kurzer Prozess – Righteous Kill – 2008; Inside Hollywood – 2008; Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich – 2004; The Score – 2001; 15 Minuten Ruhm – 2001; Meine Braut, ihr Vater und ich – 2000; Men of Honor – 2000; Makellos – 1999; Reine Nervensache – 1999; Ronin – 1998; Große Erwartungen – 1998; Wag the Dog – 1997; Jackie Brown – 1997; Cop Land – 1997; Sleepers – 1996; The Fan – 1996; Heat – 1995; Casino – 1995; Mary Shelley's Frankenstein – 1994; Kap der Angst – 1991; Backdraft – Männer, die durchs Feuer gehen – 1991; Schuldig bei Verdacht – 1991; Zeit des Erwachens – 1990; GoodFellas – 1990; Midnight Run – 1988; Die Unbestechlichen – 1987; Angel Heart – 1987; Mission – 1986; Brazil – 1985; Der Liebe verfallen – 1984; Es war einmal in Amerika – 1984; Die durch die Hölle gehen – 1978; New York, New York – 1977; Der letzte Tycoon – 1976; 1900 – 1976; Taxi Driver – 1976; Der Pate II – 1974; Hexenkessel – 1973).

Lily Gladstone, die in der Rolle der Molly ein Drittel des Films als siechendes Vergiftungsopfer ausfällt, ist im Rest der Zeit eine tragende Figur und der lebende Beweis dafür, wie ein vermeintlich unscheinbares Gesicht vor laufender Kamera einen Magnetismus entwickelt, der in einer großen Filmkarriere gipfelt. Sie hat hier wenige Chancen, aber die nutzt sie souverän. Sie ist in Kalispell, Montana, geboren und wuchs auf der Blackfeet Reservation in Browning, Montana auf. Sie hat indigene Wurzeln, die in den Völkern der Piegan Blackfeet, Nez Percé und Kainaiwa liegen.

Die Thematik des Films ist es, die nach dem Kinobesuch noch beschäftigt: Erst vertreiben wir die Ureinwohner und wenn die dann auf dem für sie vorgesehenen kargen Land durch Öl reicher werden als alle Weißen zusammen, dann heiraten wir ein, morden und kommen ganz legal an ein Vermögen. Der langweilige Film mit seinen auftretenden Superstars als solches beschäftigt nicht mehr lange. Die Sachbuchvorlage erzählt das Drama aus der Perspektive der Beamten des gerade im Entstehen befindlichen FBI. Das kommt im Film unter die Räder. Dass nach den ersten vielen Morden gar nicht ermittelt wird, fällt im Film gar nicht auf, weil es zwar thematisiert, aber nicht mit einer möglicherweise vorhandenen lokalen Polizeibehörde verbunden wird. Der fette Sheriff tritt auf wie einer, dem irgendwie vielleicht die Hände gebunden sind – und dann übernimmt der Zuschauer diese Info als gegeben: Gab halt 1920 noch keine lokalen Polizeibehörden (Oder?). Dass das Federal Bureau of Investigation sich an diesem Fall einige seiner ersten Sporen verdient hat, wäre eine Kurve wert gewesen in diesem Film über weiße Trickbetrügermörder, die sich ganze Landstriche erobern. Interessiert Martin Scorsese für seinen Film aber nicht.

Wertung: 4 von 8 €uro
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