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Plakatmotiv: Alles ist gut gegangen (2021)

Ein Sterbehilfe-Drama, das
nicht an die Substanz geht

Titel Alles ist gutgegangen
(Tout s'est bien passé)
Drehbuch Emmanuèle Bernheim & François Ozon & Philippe Piazzo
Regie François Ozon, Frankreich, Belgien 2021
Darsteller

Sophie Marceau, André Dussollier, Géraldine Pailhas, Charlotte Rampling, Éric Caravaca, Hanna Schygulla, Grégory Gadebois, Judith Magre, Jacques Nolot, Daniel Mesguich, Nathalie Richard, Annie Mercier, Denise Chalem, François Perache, Catherine Chevallier, Quentin Redt-Zimmer, Alexia Chicot, Madeleine Nosal Romane u.a.

Genre Drama
Filmlänge 113 Minuten
Deutschlandstart
14. April 2022
Inhalt

Die Pariser Schriftstellerin Emmanuèle und ihre Schwester Pascale werden ins Krankenhaus gerufen. Ihr Vater André hatte einen schweren Schlaganfall.

Unter vier Augen bittet der nunmehr halbseitig gelähmte und deshalb todessehnsüchtige Lebemann und Kunstliebhaber seine Tochter Emmanuèle darum, für ihn eine Sterbehilfe zu organisieren. Emmanuèle und ihre Schwester hoffen zunächst vergebens auf einen Sinneswandel ihres meinungsstarken Vaters. Sie quartieren ihn unter anderem in eine bessere Klinik um – doch der manipulative Charmeur bleibt fest entschlossen.

Zum Verdruss der beiden Frauen kreuzt in der Zwischenzeit auch Andrés aufdringlicher und von ihnen verhasster Ex-Liebhaber Gérard unangekündigt am Krankenbett ihres Vaters auf.

In Rücksprache mit Andrés Anwalt beginnen Emmanuèle und Pascale widerwillig, die Möglichkeiten eines assistierten Suizids zu recherchieren. Angesichts eines geltenden Sterbehilfeverbots in Frankreich nehmen sie Kontakt zu der Vertreterin eines Schweizer Sterbehilfevereins in Bern auf.

Trotz intellektueller Vorbehalte gegen einen Tod in Bern zeigt sich André davon begeistert, dass sein letzter Wunsch Form anzunehmen beginnt. Bei einem Kennenlernen mit der Schweizer Kontaktdame seiner Töchter präsentiert er mit geradezu spitzbübischem Stolz seine Fähigkeit, eigenständig ein Glas zu halten und auszutrinken – was eine Grundbedingung dafür ist, dass er das Sterbehilfeangebot wahrnehmen kann.

Trotz seines unerschütterlichen Sterbewillens irritiert André Emmanuèle und Pascale sowie seine depressive und an Parkinson erkrankte Ex-Frau Claude in seinen letzten verbleibenden Wochen mit immer neuen Anwandlungen einer ebenso unbändigen Lebens- und Genusslust: Emmanuèle muss ihn über das aktuelle Kunsttreiben auf dem Laufenden halten, zudem wünscht sich André, noch einmal in seinem Lieblingsrestaurant zu essen, und lässt einen ersten Termin für seine illegale Ausreise in die Schweiz verschieben, um ein Konzert seines Enkels an Pascales Seite nicht zu verpassen.

Als Emmanuèle und Pascale ihren Vater am Tag des Abschieds bereits aus seinem Krankenzimmer geschmuggelt haben, müssen die beiden kurzzeitig umdisponieren, als sie die lokale Polizei vorlädt, die einen anonymen Tipp zu ihrem Vorhaben erhalten hat …

Was zu sagen wäre

Ein Mann will sterben. Nach einem Schlaganfall ist er halbseitig gelähmt. Er ist Mitte 80 und wenn wir im Kinosessel ihn so sehen in seinem Krankenbett, weitgehend hilflos, kann man seinen Wunsch sogar nachvollziehen. Aus Gesprächen der handelnden Figuren erfahren wir, er sei erfolgreicher Unternehmer gewesen, in der Pariser Kunstszene gut vernetzt, ein homosexueller Lebemann, der eine Frau heiratet, mit der er zwei Töchter zeugt. Die Frau lebt getrennt von ihm, hat Parkinson und ist nicht gut auf ihn zu sprechen.

Auch seine Tochter Emmanuèle ist nicht gut auf ihn, den „miserablen Vater“ zu sprechen. „Aber ich liebe ihn.“ In ein paar Rückblenden erleben wir, dass der Vater mit "miserabel" noch freundlich beschrieben ist. André Dussollier hat unter der Maske des Patienten wenig Entfaltungsmöglichkeit (Die fabelhafte Welt der Amelie – 2001; Drei Männer und ein Baby – 1985). Daneben gibt es noch die Tochter Pascale, die einen weniger engen Draht zu ihrem Vater hat. Das sehen wir an Gesten, Blicken. Was wir nicht sehen, ist eine emotionale Entwicklung. Der Vater will sterben, die Töchter, nach ein paar zögerlichen Momenten, kümmern sich drum.

François Ozon ("Sommer 85" – 2020; Eine neue Freundin – 2014; Jung & Schön – 2013; Das Schmuckstück – 2010; Swimming Pool – 2003; 8 Frauen – 2002; "Unter dem Sand" – 2000) verfilmt hier eine weitestgehend wahre Geschichte. Sterbehilfe ist in Frankreich verboten, in der Schweiz unter Auflagen möglich. Die Schriftstellerin Emmanuèle Bernheim ging im realen Leben diesen Weg mit ihrem Vater, dessen Krankengeschichte eine andere war. Das Buch wurde ein Bestseller, viel diskutiert, weil das Thema dauerhaft unter den Nägeln brennt. Ozon kann dem mit seinem Film außer betroffenen Gesichtern und der Schönheit Sophie Marceaus nichts hinzufügen. Er gilt als Regisseur, der Frauen dirigieren kann und tatsächlich liefert Marceau ihre beste Performance seit langem. Aber ein Film braucht mehr als ein schönes Gesicht. Ein durchdachtes Drehbuch zum Beispiel.

Wenn der Vater so miserabel war, wäre es im Film schön zu erfahren, warum Emmanuèle sich dennoch so liebevoll um alles kümmert und ihn zärtlich umhegt. Dass sie eine offenbar erfolgreiche Schriftstellerin ist, mögen die französischen Zuschauer aus der öffentlichen Geschichte der realen Emmanuèle wissen, hierzulande erfahren wir das aus dürren Nebensätzen während einer Begrüßungsfloskel und es spielt auch darüberhinaus keine Rolle. Da, wo die Buchvorlage mit der klinisch sauberen, trockenen  Beschreibung der Suche nach legaler Sterbehilfe Tabus bricht und Gesprächsanlässe liefert, bietet der Film eine Leerstelle. Plakatmotiv (Fr.): Tout s'est bien passé (2021) Statt dessen erkennt man, wie begeistert François Ozon zu sein scheint, dass der große französische Star Sophie Marceau endlich sein Flehen, mit ihm zu arbeiten, erhört hat – vorher hatte sie alle Angebote abgelehnt. Für sie ist es nach langer Zeit ihr erster Auftritt in einem Autorenfilm (Mrs. Mills von nebenan – 2018; Ein Augenblick Liebe – 2014; Und nebenbei das große Glück – 2012; Vergissmichnicht – 2010; Don't Look Back – Schatten der Vergangenheit – 2009; Auf der anderen Seite des Bettes – 2008; LOL (Laughing Out Loud) ® – 2008; Fluchtpunkt Nizza – 2005; Belphégor - Das Phantom des Louvre – 2001; James Bond – Die Welt ist nicht genug – 1999; Verborgenes Feuer – 1997; Anna Karenina – 1997; Braveheart – 1995; D'Artagnans Tochter – 1994; Meine Nächte sind schöner als deine Tage – 1989; Die Studentin – 1988; Chouans! – Revolution und Leidenschaft – 1988; Abstieg zur Hölle – 1986; Der Bulle von Paris – 1985; Fröhliche Ostern – 1984; La Boum 2 – Die Fete geht weiter – 1982; La Boum – Die Fete – 1980).

Der Film ist ganz auf Marceau zugeschnitten, beginnt schon mit lauter Einstellungen ihres, nun ja, Seins. Sie sitzt, sie blickt versonnen, sie schreibt auf ihrem Laptop, sie erhält eine erschreckende Telefonnachricht, versonnen blickend fährt sie Bus. Alles Großaufnahmen und Halbtotalen. Dann sehen wir: Krankenhaus, Schwester, Vater, Schlaganfall. Ab da findet eine Entwicklung im Film nicht mehr statt. Das Drama der grollenden Parkinson-Ehefrau, die Charlotte Rampling in einem Gastauftritt spielt (Red Sparrow – 2018; Assassin's Creed – 2016; Jung & Schön – 2013; Nachtzug nach Lissabon – 2013; Basic Instinct – Neues Spiel für Catherine Tramell – 2006; Swimming Pool – 2003; Spy Game – Der finale Countdown – 2001; D.O.A. – Bei Ankunft Mord – 1988; Angel Heart – 1987; "Stardust Memories" – 1980; Orca, der Killerwal – 1977; Fahr zur Hölle, Liebling – 1975; Der Nachtportier – 1974; Zardoz – 1974), bleibt ebenso unerzählt, wie das Drama der Tochter, eine vor glühenden Emotionen knisternde Auseinandersetzung über eine offenbar schreckliche Kindheit und Jugend findet nicht statt; die müssen wir uns ausmalen.

So sitzen wir im Kino und schauen zu, wo wir besser die Buchvorlage gelesen hätten, die uns das Drama um Sterbehilfe beschreibt, das der Film nun nur als roten Faden nutzt.

Wertung: 3 von 8 €uro
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