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Plakatmotiv: Orca, der Killerwal (1977)

Ahab heißt jetzt Orca,
Moby Dick Richard Harris

Titel Orca, der Killerwal
(Orca)
Drehbuch Luciano Vincenzoni + Sergio Donati
Regie Michael Anderson, Italien, UK 1977
Darsteller
Richard Harris, Charlotte Rampling, Will Sampson, Bo Derek, Keenan Wynn, Robert Carradine, Scott Walker, Peter Hooten, Wayne Heffley, Vincent Gentile, Don 'Red' Barry u.a.
Genre Abenteuer, Drama
Filmlänge 92 Minuten
Deutschlandstart
15. Dezember 1977
Inhalt

Nolan, Kapitän eines kanadischen Walfängers, will um jeden Preis einen Orca fangen, da ein lokales Aquarium eine Belohnung verspricht. Obwohl Nolan von der Meeresbiologin Rachel Bedford vor der Gefährlichkeit des Unternehmens gewarnt wird, fährt er mit seiner Besatzung aufs Meer. Als sie auf eine Herde von Orcas treffen, harpuniert Nolan aus Versehen ein trächtiges Weibchen, welche im Todeskampf gegen die Schiffsschraube gerät und dabei schwer verletzt wird.

Plakatmotiv: Orca, der Killerwal (1977)Als der Wal an Bord gehoben wird, verliert das Weibchen ihr Ungeborenes und verendet darauf hin an den Verletzungen. Das Weibchen wird losgeschnitten und im Meer versenkt. Der Orca-Bulle muss mit ansehen, wie sein Weibchen und sein Junges sterben und sinnt auf Rache. Wieder zurück im Fischerdorf terrorisiert das Männchen den ganzen Ort. Nolan versucht zunächst einem Kampf mit dem Orca aus dem Weg zu gehen. Die Dorfbewohner zwingen Nolan jedoch dazu, aufs Meer hinauszufahren und den Entscheidungskampf anzunehmen.

Als es dem Orca bei seinem gnadenlosen Rachefeldzug gelingt, mehrere Besatzungsmitglieder zu töten, ist Kapitän Nolan gezwungen, sich dem Wal zu stellen …

Was zu sagen wäre

Na klar: Will man dem Hai Konkurrenz machen, der so unfassbar erfolgreich an der Kinokasse war, muss man ein Wesen inszenieren, das dem Hai als eines der wenigen gefährlich werden kann: den Orca. Zu deutsch Schwertwal, gerne aber auch Killerwal genannt – was daher rührt, dass Walfänger deren Jagdmethoden als brutal empfanden und sie also entsprechend betitelten. Es reicht allerdings nicht, für einen Thriller Hai gegen Wal zu tauschen und dann eine ähnliche Geschichte zu erzählen. Orcas jagen andere Wale, Robben oder Fische in Küstennähe; Menschen jagen sie eher nicht. Zudem gelten sie als sehr soziale Tiere, Familientiere.

Deswegen erzählt Michael Anderson die Geschichte eines Kampfes zweier Familienoberhäupter gegeneinander. Der Film beginnt mit einer Liebesgeschichte im Zeitraffer. Zwei Orcas streifen gemeinsam durchs Meer. Dann, Schnitt, wird es hektisch und der Mensch taucht auf. Und kurz darauf ist das schwangere Orca-Weibchen tot, die Kamera zoomt das erste von vielen Malen groß auf das Auge des Orca-Männchens, das, so dürfen wir die Bildsprache übersetzen, Rache schwört. Dem anderen Familienoberhaupt. Das gar keine biologische Familie hat.

Nolan, der Skipper, hat aber seine Leute, mit denen er immer unterwegs ist und die vom Alter her seine Kinder sein könnten. Mit denen ist er auf dem Wasser unterwegs, als erfahrener, aber offenbar der Natur gegenüber arroganter Skipper. Der sieht auf Waljagd seinen Moment gekommen, als er eine Orca-Herde trifft:„Wir sind ganz groß im Rennen!“ Und die junge Bo Derek blickt ängstlich. Und dann schießt der Skipper. Und die Wale reagieren. „Mein Gott, was sind das für wahnsinnge Schreie?“ „Du hast das Männchen nur verletzt und das Weibchen getroffen!“, ruft sie. „Seine Schreie klingen fast menschlich!" wundert sich Richard Harris. „Das ist kein Er. Das ist eine Sie. Du siehst es an der Form der Schwanzflosse!“, erklärt die junge Meeresbiologin.

Hier kommt nun die in solchen Filmen unvermeidliche Expertenfigur ins Spiel. Beim Weißen Hai war das Richard Dreyfuss, hier ist es Charlotte Rampling (Fahr zur Hölle, Liebling – 1975; Der Nachtportier – 1974; Zardoz – 1974) als Orca-Expertin Rachel Bedford, die zum einen vom Alter her Nolans Frau (und Mutter der vom Alter her Nolans Crew-Kinder) sein könnte und uns zum anderen erst einmal in das Wesen des Orcas einführt: „Der Mörderwal ist zweifellos das stärkste und mächtigste Säugetier auf unserem Erdball. Er ist ein Warmblütler. Er ist in sämtlichen Weltmeeren beheimatet. Seine Stromlinienform und die unbeschreibliche Kraft seiner Schwanzflosse machen den Orca zum schnellsten Wal, den es gibt. Er wird zehn bis zwölf Meter lang. Ausgewachsene männliche Wale können bis zu sechs Tonnen wiegen. Es hat aber auch schon Exemplare mit über 20 Metern Länge gegeben (damit ist der Sieben-Meter-Hai aus Steven Spielbergs Klassiker um Längen geschlagen). Der Orca Orcinus kann ein guter Freund des Menschen werden, wenn man ihn liebevoll behandelt. Wenn nicht!!! (Bedeutsames Close-Up auf das Gesicht der Hai-Referentin Bedford) Hat man einen Feind. Den man mit seinen 48 prachtvollen Zähnen nicht unterschätzen sollte. Mörderwale haben einen ausgeprägten Familiensinn, was man von uns Menschen nicht immer sagen kann.“ Und an dieser Stelle klinken wir uns aus der Filmszene aus, weil spätestens jetzt klar ist, wohin die Kinoreise geht: Gieriger Mensch, angegriffener Familienwal mit viel smarterer Cleverness als der Mensch … kurz: Rache.

Es ist viel Dialog nötig, um das Drama aufzubauen – auch wenn Richard Harris und der Wal manches ohne Dialog hinbekommen hätten – aber schließlich baut Michael Anderson (Flucht ins 23. Jahrhundert – 1976; "Doc Savage - Der Mann aus Bronze" – 1975; "In den Schuhen des Fischers" – 1968; "In 80 Tagen um die Welt" – 1956) auf eben diesen Dialog, Plakatmotiv: Orca, der Killerwal (1977)um die subkutane Spannung aufzubauen, die irgendwann in blanken Horror übergehen soll. Für den Jungen im Kinosessel gelingt ihm das gut. Für die Cola beim anschließenden Kneipenbesuch zerfasert die Dramatik dann jedoch in zu viel Mythologie.

Es tauchen noch die besorgten Bürger auf. Unterbeschäftigte Fischer, die ohnehin zu wenig zum Leben haben und denen der vor der Küste lauernde Orca nun auch noch die letzten Fische weg frisst und außerdem gerade ein ganzes Benzinlager in die Luft hat fliegen lassen. Vor dessen nächtlichem Feuerschein hatte der Wal dann ausgiebig getanzt – der Wal wusste genau, welche Stege er zum Einsturz bringen muss, um das Benzinlager zu zerstören, ergo: Er ist so clever wie ein Mensch, ergo: ebenbürtig und mit Recht stinksauer auf den Skipper.

Die besorgten Bürger treiben Nolan in den Endkampf im hohen Norden, wo das Schicksal auf Nolan, den Orca und die Crew wartet. Da gibt es dann viel wettergegerbtes Gesicht von Richard Harris, das wirklich alles Hollywoodtaugliche schon gesehen hat, und immer das Orca-Auge zu sehen. „Er sagt: Er will mich! Das sagt er. Ich bin wie Du. Das sagt er auch. Mein Leben ist sinnlos geworden. Und Deins auch … sagt er.“ Der Wal als Überwesen. Und Harris als Drama-King, der seinem Nolan wirklich allen shakespear'schen Weltschmerz in die Mimik legen kann. Ich glaube, der Film funktioniert überhaupt nur, weil Richard Harris die Nolan-Rolle spielt (Treffpunkt Todesbrücke – 1976; Robin und Marian – 1976; 18 Stunden bis zur Ewigkeit – 1974; Ein Mann, den sie Pferd nannten – 1970; "Meuterei auf der Bounty" – 1962; Die Kanonen von Navarone – 1961).

Anderson inszeniert einen existenziellen Kampf zwischen Mensch und Biest, Nolan gegen Orca – irgendwie auch Ahab gegen Moby Dick, nur mit umgekehrten Vorzeichen: Ahab ist Orca, Moby Dick ist Nolan. Nachdem die Orcas zu Beginn im Licht der untergehenden Sonne ihr gemordetes, schwangeres Herdenmitglied betrauern und ein Indianer (= Ureinwohner = moralischer Kompass) vor dem Shoot Out im Ewigen Eis dem gestrauchelten Skipper Absolution erteilt, ist klar: Mensch = Arschloch, aber als Richard Harris dramatisches Hollywood.

Als aber der Wal Annies Bein nimmt, ist das echter State-of-the-Art-Thrill. „Du willst Rache??“ grölt dann Nolan. „Du sollst sie bekommen! Ich finde Dich!!!“ Für späte 16-Jährige wie mich ist das eine existenzielle Geschichte, gleichzeitig aber so mit Bedeutung aufgeblasen – „Er muss seine Familie noch mehr geliebt haben, als ich meine!“, sagt Nolan – dass ich schließlich abwinke. Die Rachegeschichte ist gut im dunklen Kinosaal aufgehoben. Bei Tageslicht betrachtet ist sie dann doch over the edge. Da ist die Formel: Hai – Strand – Menschen + Steven Spielberg und John Williams doch effektiver.

Wertung: 7 von 9 D-Mark
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