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Plakatmotiv: 18 Stunden bis zur Ewigkeit (1974)

Acht Sprengsätze auf dem Luxusliner,
Zehn abgekaute Fingernägel im Sessel

Titel 18 Stunden bis zur Ewigkeit
(Juggernaut)
Drehbuch Richard DeKoker
Regie Richard Lester, UK 1974
Darsteller

Richard Harris, Omar Sharif, David Hemmings, Anthony Hopkins, Shirley Knight, Ian Holm, Clifton James, Freddie Jones, Roy Kinnear, lian Julian Glover, Caroline Mortimer, Adam Bridge, Rebecca Bridge, Mark Burns, Roshan Seth, Simon MacCorkindale, Jack Watson u.a.

Genre Thriller
Filmlänge 109 Minuten
Deutschlandstart
27. März 1975
Inhalt

Der Luxusliner "Britannic" ist zur Kreuzfahrt auf hoher See. An Bord: mehrere scharfe Bomben. Deponiert von einem Erpresser mit Namen "Juggernaut". Der Mann fordert eine halbe Million Pfund. Ein paar kleine Demonstrations-Explosionen auf dem Schiff verleihen der Forderung Nachdruck. Die Reederei will das Geld zahlen, aber die Regierung ist dagegen, der Erpressung nachzugeben.

Ein Bombenexperte der britischen Marine, Anthony Fallon, und seine Leute werden auf das Schiff gebracht, um die Bomben zu entschärfen. Der Scotland Yard-Beamte John McCleod leitet derweil die Suche nach dem Erpresser, auch von persönlichen Motiven angetrieben, denn auch seine Frau und seine beiden Kinder befinden sich auf dem Schiff.

Fallon und seinen Leuten bleiben 18 Stunden zur Entschärfung der Bomben. Aber: eine falsche Bewegung, und die Bomben an Bord des Traumschiffs gehen sofort hoch …

Was zu sagen wäre

Die Welt ist ein Kreuzfahrtschiff. Die Gesundheit der Bewohner hängt am Wellengang – hohe Wellen gleich hoher verbrauch an Kotztüten. Das Überleben hängt an zwei Drähten, einem blauen und einem roten. Schneidet der gewiefte Experte den falschen durch, geht das Leben von 1200 Seelen auf dem dann absaufenden Schiff binnen weniger Minuten zu Ende.

"Juggernaut" ist kein Film für leicht zu erschreckende Weingummi-Kauer. Regisseur Lester, der sich mit Beatlesfilmen und luftiger Unterhaltung einen Namen gemacht hat (Die drei Musketiere – 1973; "Hi-Hi-Hilfe!" – 1965; Yeah! Yeah! Yeah! – 1964), verzichtet hier auf jeden Witz, hat statt dessen einen sesselkauernden Bombenthriller inszeniert, einen klassischen Fingernägel-Beißer. Die Produktion reitet, angefangen beim Design des Filmplakats, auf dem alle beteiligten Stars in Großaufnahme zu sehen sind, auf der Welle der gerade populären Katastrophenspektakel aus den Hollywoodstudios (Erdbeben – 1974; Flammendes Inferno – 1974; Giganten am Himmel – 1974). Während bei denen meist höhere Gewalt der Auslöser ist, ist es hier ein desillusionierter ehemaliger Staatsdiener, der glaubt, die Moral auf seiner Seite zu haben. Aber die Folgen sind dieselben: Das Weiterleben für die Gesellschaft auf dem Kreuzfahrtschiff wird von Minute zu Minute unwahrscheinlicher.

Lester hält sich nicht mit langen Vorreden auf. In den ersten Minuten wird überhaupt nicht geredet. Die fortan wichtigen Figuren lernen wir im Bild kennen, während sie ihre Kabinen oder Posten beziehen, das Schiff abgelegt und Kurs auf den Nordatlantik nimmt. Und dann kommt auch schon der Anruf des Erpressers, der sich "Juggernaut" nennt – im Englischen ist das ein Begriff, der  für eine unaufhaltsame Kraft steht, die alles vernichtet, was ihr im Wege steht. Plakatmotiv (UK): Juggernaut Ein gut gewählter Nom de Guerre, denn weder die Reederei noch Scotland Yard noch die Regierung verkennen den Ernst der Lage, steigen statt dessen gleich in die Strategien zur Lösung des Problems ein. Das heißt nicht, dass alle an einem Strang ziehen.

Der integre General Manager der Reederei will das Lösegeld sofort zahlen, denkt dabei glaubhaft an seine 1200 Passagiere – und daran, lieber keine 1200 Beileidsschreiben aufsetzen zu wollen. Der Vertreter des Innenministers, die britische Regierung aber hält nichts von Bezahlen. Wir können uns nicht erpressen lassen, signalisiert er, und stellt kalt lächelnd die Millionensubventionen in Frage, die die Reederei vom Staat erhalten hat und noch erhalten soll; hier spiegelt sich eine alte Weisheit des Kinos, dass dem Staat im persönlichen Ernstfall nicht zu trauen ist. Superintendant McCleod von Scotland Yard verrichtet seine Ermittlungsarbeit professionell sortiert, ist aber auch befangen – seine Frau und die zwei Kinder sind an Bord der "Britannica". Zu den genannten Katastrophenfilme gehört im Personentableau eine kaputte Ehe oder Liebesbeziehung und eine Zeit lang scheint das diese im Film durch die Kreuzfahrt getrennte Scotland Yard-Ehe zu sein. Das deutet sich mal an, als sie erwähnt, ihr Mann arbeite immer so viel, und vielleicht war das im Drehbuch auch mal so angelegt. <Nachtrag1999>Anthony Hopkins (Das Schweigen der Lämmer – 1991) als McCleod wartete damals noch auf seinen großen Durchbruch.</Nachtrag1999> Im Film ist davon aber keine Rede mehr, die kaputte Beziehung haben hier eine Passagierin und der Kapitän des Schiffes, der es schafft, seine "Freundin" im ganzen Film nicht einmal, nicht einmal nach einer intimen Nacht, in die Augen zu blicken. Omar Sharif spielt den Mann glutäugig (Der Coup – 1971; Mackenna's Gold – 1969; Mohn ist auch eine Blume – 1966; Doktor Schiwago – 1965; Der Untergang des Römischen Reiches – 1964; Lawrence von Arabien – 1962), hat aber keine Möglichkeit, in das eigentliche Drama einzuwirken. Der Kapitän bleibt ein gefühlskalter Mann am Rande des Bombendramas.

Im Mittelpunkt steht der Sprengstoffexperte, dem Richard Lester mit der Kamera so nahe auf den Pelz rückt, dass er uns visuell im Kino keine Chance zur Flucht vor der möglichen Explosion lässt. Mit dem Makro-Objektiv verfolgt er das Drehen an einer Schraube auf dem Weg zur Bombe. Jede Minidrehung kann den Zünder auslösen, lässt uns der Bombenexperte wissen, der über Funk seinen Leuten jede potenzielle Gefahr erklärt, weil die jede seiner Bewegungen verzögert nachmachen sollen; ein kluger Schachzug des Drehbuchs, weil die Zuschauer auf diese Weise eng in die Gefahrensituation eingebunden sind, immer nahe am Gesicht des Experten mit der Zange in der Hand, mit der er den blauen oder den roten Draht durchschneiden wird.

Wir erfahren nicht viel über diesen Experten, der von allen nur beim Nachnamen genannt wird. Er wird als versierter Experte eingeführt, der Beste seines Fachs, der keine Träume mehr hat im Leben und sagt, er lebe von Tag zu Tag von geliehener Zeit und erwarte jeden Tag den Tod. Das klingt schnell wie pathetischer Kitsch, aber diesen Fallon spielt Richard Harris, der Typen mit Pathos zu seinem Markenzeichen gemacht hat ("Cromwell – Krieg dem König" – 1970; Ein Mann, den sie Pferd nannten – 1970; Caprice – 1967; Sierra Charriba – 1965; Meuterei auf der Bounty – 1962; Die Kanonen von Navarone – 1961). Schicksal ergeben besingt er sich selbst dauernd als „Fallon ist der Champion!“ so penetrant gespielte Sorglosigkeit beschwörend, das wir jedes Mal, wenn er die Zange ansetzt mit der Explosion rechnen – dem ultimativen Drama. Vor dem uns Richard Lester mit seiner Sehr-nah-dran-Kamera kein Entkommen anbietet.

Wertung: 8 von 8 D-Mark
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