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Plakatmotiv: Der Nachtportier (1974)

Ein Film, der mehr
sein will, als er ist

Titel Der Nachtportier
(Il portiere di notte)
Drehbuch Liliana Cavani & Italo Moscati
Regie Liliana Cavani, Italien, Frankreich 1974
Darsteller

Dirk Bogarde, Charlotte Rampling, Philippe Leroy, Gabriele Ferzetti, Giuseppe Addobbati, Isa Miranda, Nino Bignamini, Marino Masé, Amedeo Amodio, Piero Vida, Geoffrey Copleston, Manfred Freyberger, Ugo Cardea, Hilda Gunther, Nora Ricci, Piero Mazzinghi, Kai-Siegfried Seefeld, Luigi Antonio Guerra u.a.

Genre Drama
Filmlänge 118 Minuten
Deutschlandstart
14. Februar 1975
Inhalt

Zwölf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitet der ehemalige SS-Offizier Maximilian Theo Aldorfer als Nachtportier in einem eleganten Wiener Hotel. Er erfüllt alle Wünsche seiner Gäste; so vermittelt er einer alternden Gräfin regelmäßig die gewünschten jungen Männer für ihre sexuelle Befriedigung. Theo gehört einem kleinen Kreis ehemaliger Nationalsozialisten an, die zur Vertuschung ihrer früheren Vergehen selbst vor Mord nicht zurückschrecken.

Eines Tages steigt die um einige Jahre jüngere Lucia Atherton im Hotel ab. Sie ist mit einem US-amerikanischen Dirigenten verheiratet, der in Wien ein Gastspiel gibt. Theo und Lucia erkennen einander wieder: Sie war als junge Frau in einem Konzentrationslager inhaftiert, dessen Wachpersonal Theo angehörte. Zwischen beiden entwickelte sich eine sadomasochistische Beziehung

Was zu sagen wäre

Wenn das Schießen im Krieg vorbei ist, Friedensvereinbarungen ausgehandelt sind, dann ist der Krieg in den Köpfen noch lange nicht vorbei. Traumatisiert durch Bomben, Folter und Mord die einen, ängstlich darauf bedacht, ihre aktive Rolle in den Kriegsjahren jetzt unter den Teppich zu kehren die anderen. Liliana Cavani, die Regisseurin, greift ein Thema auf, über das speziell in Deutschland nicht unbelastet gesprochen werden kann. „Skandal!“, riefen die Medienwächter, als der Film im Sommer 1974 erschien, die italienische Staatsanwaltschaft erklärte den Film für unmoralisch. Der Film wurde von der Zensur verboten. Die Filmindustrie organisierte daraufhin einen eintägigen Streik. Mehrere Regisseure, darunter Luchino Visconti, setzten sich für die Freigabe des Films ein. In einem Gerichtsverfahren wurde er schließlich zum Kunstwerk erklärt und ohne Schnitte freigegeben.

Im Zentrum des Films steht das sadomasochistische Verhältnis zwischen der ehemaligen KZ-Gefangenen Lucia und ihrem Aufseher Max. Das Verhältnis beginnt im KZ, da ist Lucia augenscheinlich noch nicht volljährig. Andere Szenen im KZ zeigen einen uniformierten SS-Wachmann, der die nackten Gefangenen mit einer Kamera filmt. Plakatmotiv (It.): Il Portiere di Notte (1974)Was wir im KZ nicht sehen sind Gaskammern und ausgehungerte Insassen. Einmal überreicht Max Lucia ein Paket. Darin liegt der abgeschnittene Kopf eines Häftlings, der Lucia ununterbrochen gequält haben soll, wie Max 1957 einer Freundin erzählt – das ist die blutigste Szene in dem Film, der zwischen zwei Zeitebenen hin und her springt.

Die Abhängigkeiten zwischen beiden wechseln. Schon im KZ sah es nur für das vorurteilende Auge so aus, als habe immer Max das Zepter in der Hand. 1957, in dem Hotel in Wien, ist die wechselseitige Abhängigkeit der beiden zueinander offensichtlich. Es ist eine seltsame Beziehung, die sich lange nicht offenbart, eher Irritationen hervorruft. Als Lucia Max zwölf Jahre nach Kriegsende, mittlerweile mit einem US-amerikanischen Dirigenten verheiratet, wiedersieht, erstarrt sie zur Salzsäule, wird fahrig, wirkt unkonzentriert. Man könnte annehmen, sie müsse mit dem Finger auf Max zeigen und laut herausschreien, dass der bei der SS und KZ-Aufseher war. Tut sie aber nicht. Statt dessen wechselt sie in der Oper lange Blicke mit ihm oder versteckt sich vor ihm. Irgendwann überfällt er sie in ihrem Hotelzimmer. Im Jahr 1973 war Das große Fressen in die Kinos gekommen, ein Jahr davor Der letzte Tango in Paris, beides Filme, die sich mit sexuellen Obsessionen älterer Herren beschäftigen. In deren Tradition, ein vermeintliches Tabuthema aufzugreifen, muss man "Der Nachtportier" wohl sehen.

Liliana Cavani kann nicht in die Köpfe der Menschen gucken, in die ihrer Hauptfiguren auch nicht, und so gibt es keinen Ausdruck dafür, dass die beiden sich lieben; kein zärtlicher Blick, kein Gurren. Wir sehen, wie sie einander verfallen sind und das darin endet, dass sie halb verhungert in Max' Wohnung delirieren. Die Freunde von Max, ehemalige SS-Männer, sind gar nicht begeistert davon, dass er eine Zeugin der damaligen Verhältnisse deckt und hindern die beiden, Lebensmittel für den täglichen Bedarf zu kaufen. Währenddessen hören wir, dass die Polizei nach Lucia sucht, denn deren Ehemann wundert sich, wo sie geblieben ist. Der Film spielt im Hotel, dort an der Rezeption oder in Lucias Zimmer, und später in Max' Wohnung, Außenaufnahmen sind rar; dass Tage in Max' Wohnung vergehen, müssen die Zuschauer zwischen den Bildern daran erkennen, dass beide erst im Bett, später apathisch am Boden sitzen, während draußen die SS-Leute aufpassen, dass die beiden nicht abhauen. Spätestens an dieser Stelle fliegt Cavanis Amour-fou-Konstrukt auseinander: Die SS-Schergen haben, anders als zunächst gedacht, keine Funktion in dieser Geschichte, es sei denn die zu erklären, dass da ein paar SS-Männer ihre Vergangenheit polieren. Das tun sie derart rigide, dass sie auch vor Mord nicht zurückschrecken. Es stellt sich alsbald die Frage, warum die SS-Männer ihren ehemaligen Kameraden, der offensichtlich nicht mehr zu kontrollieren ist, eigentlich so aufwendig beschatten, ihn von Nahrungsmitteln und Kontakten zu anderen Menschen abschneiden, anstatt ihn und die lästige Zeugin einfach auch aus dem Weg zu räumen.

Vielleicht, weil dann für die Sado-Maso- und Sexszenen, die "Der Nachtportier" zeigt, die Rahmenhandlung gefehlt hätte? Sicher ist neben all den Gräueltaten im KZ auch die körperliche und seelische Vergewaltigung von KZ-Häftlingen ein Thema, mit dem sich die Menschheit auch künstlerisch auseinandersetzen muss. Aber "Der Nachtportier" ist nicht das künstlerische Vehikel dafür.

Wertung: 3 von 8 D-Mark
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