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Plakatmotiv: Abstieg zur Hölle (1986)

Eine verschüttete Leidenschaft, an deren
Oberfläche der Film nicht einmal kratzt

Titel Abstieg zur Hölle
(Descente aux enfers)
Drehbuch Jean-Loup Dabadie & Francis Girod
nach dem gleichnamigen Roman von David Goodis
Regie Francis Girod, Frankreich 1986
Darsteller

Claude Brasseur, Sophie Marceau, Betsy Blair, Hippolyte Girardot, Sidiki Bakaba, Gérard Rinaldi, Marie Dubois, Jean-Baptiste Tiémélé, Sotigui Kouyaté, Umban U'kset, Baaron, Cyliane Guy, Thierry Ravel, Rassoul Labuchin, Ralph Boncy, Dhary Auguste, Monique Bastien, Mark Beckett u.a.

Genre Krimi, Drama
Filmlänge 88 Minuten
Deutschlandstart
17. März 1988
Inhalt

Mitten in der Nacht schleicht der alternde Schriftsteller Alan Kolber in sein Hotelzimmer auf Haiti zurück. Er ist betrunken, sein weißer Anzug ist zerzaust und mit Blut besudelt. Im Zimmer angekommen, sinkt er erschöpft in einer Ecke des Raums zusammen. Seine Frau Lola erwacht, schaut ihn fragend an. Rückblende: Der Mittvierziger Alan und die 22-jährige Lola kommen im schwül-heißen Haiti an.

Während Lola sich von ihrem Mann distanziert und jede Gelegenheit zum Flirt mit anderen Hotelgästen nutzt, ertränkt Alan seine Depressionen im Alkohol. Nachdem er eines Abends mitanhören musste, wie seine Frau ihn betrog, zieht Alan durch die Bars des Ortes. Auf dem Weg ins Hotel wird er spät nachts von einem Einheimischen überfallen.

In Notwehr ersticht der volltrunkene Alan den Angreifer. Zurück im Hotel findet er in seiner untreuen Ehefrau Lola eine unerwartet tatkräftige Gehilfin: Mit viel Geschick beseitigt sie sämtliche Spuren der Tat. Auch als wenig später ein mysteriöses Pärchen, das die Tat beobachtet hat, versucht, die beiden zu erpressen, ist es Lola, die das Schweigegeld auftreibt.

Fast scheint es, als würde sich durch die blutige Tat eine Intimität zwischen Alan und Lola einstellen, die ihrer Beziehung bisher fehlte. Aber kurz bevor er mit seiner Frau Haiti endlich verlassen kann, erfährt Alan, dass ein junger Einheimischer als Täter verhaftet wurde. Um den Mann vor einem sicheren Todesurteil zu retten, stellt Alan sich der örtlichen Polizei.

Zu seinem Erstaunen interessiert sich der ermittelnde Inspektor jedoch nicht im Geringsten für das Geständnis des Touristen. Bei seinen Nachforschungen findet Alan heraus, dass der Polizist ganz spezielle Gründe für sein merkwürdiges Verhalten hat. Und auch Lolas aufopfernde Komplizenschaft liegt in einem dunklen Geheimnis begründet, dessen Auswirkungen die junge Frau verfolgen wie ein böser Fluch …

 

Was zu sagen wäre

Ein elegantes Ferienresort in exotischer Landschaft. Ein Ehepaar, das sich schon nach einem Jahr nicht mehr viel zu sagen hat. Er trinkt eine ganze Menge. Sie liegt gelangweilt in der Badewanne. Ein Mord. Der Score wimmert mit Blechblasinstrumenten eine ferne Melancholie herbei, die den Film im Zusammenspiel mit seinem Erzähler aus dem Off in die Nähe der Hollywoodklassiker aus den 40er Jahren rückt: Männer, die im Dunstkreis schöner Frauen mit einem Glas Whisky in der Hand dumme Dinge tun. "Er" ist darin meist ein Privatdetektiv, oder ein bis über beide Ohren verknallter Abteilungsleiter in einer Büroumgebung.

Alan, den Claude Brasseur mit zerknittertem Gesicht und sehnsüchtigem Blick spielt, ist erfolgreicher Schriftsteller von Kriminalromanen. Jetzt versucht er sich an einem Roman für die anspruchsvolle Leserschaft, ein Roman, mit dem man einen Preis gewinnen könnte. Das Schreiben fällt ihm schwer. Es ist seine Stimme, die aus dem Off zu uns spricht. Seine Sätze sind die Zeilen, die er schreibt. Sein Roman scheint die Geschichte zu spiegeln, die wir auf der Leinwand sehen. Die Geschichte eines älteren Mannes, der eine viel jüngere Frau heiratet mit Namen Lola, was semantisch nicht weit von Nabokovs "Lolita" ist, die jüngere Schwester seiner ehemaligen Freundin, eine Frau, die sich nicht schminkt, die dem Off-Erzähler zufolge „schlecht im Bett“ ist und die ein Drama aus ihrer Vergangenheit umtreibt, das in Rückblenden eingestreut wird; eine Frau, die sich charmant lächelnd von jungen Hotelgästen umwerben lässt und ihren Mann eifersüchtig und trinkend an der Bar sitzen lässt. Plakatmotiv (Fr.): Descente aux enfers (1986) Außerhalb der Filmerzählung ist die Besetzung nicht ohne Pikanterie: Die junge Frau des alten Mannes spielt Sophie Marceau, die vor fünf Jahren noch die pubertierende Tochter von Claude Brasseur in La Boum 2 gespielt hat (Der Bulle von Paris – 1985; Fröhliche Ostern – 1984; La Boum – 1980). Es sagt viel über Francis Girods Film aus, wenn einen im Kinosessel die mit viel nackter Marceau-Haut inszenierten Erotikszenen zwischen Marceau und Brasseur mehr verstören, als die dramatisierte Geschichte.

Der Logik der oben erwähnten Hollywoodklassiker folgend würde der alte Ehemann nun einen vermuteten Nebenbuhler töten. Sie hilft ihm, die Spuren zu beseitigen, weil sie eigene Ziele verfolgt. Aber es ist dann eben kein Film aus den USA. Der Film kommt aus Frankreich. Es geht also um schwül schwitzende Leidenschaft (im Ferienresort im heißen Haiti schwitzen alle unentwegt), die zwei Menschen zu dummen Dingen treiben kann. Der Mord erweist sich als Totschlag aus Notwehr, der zuständige Commisaire geht der Sache aus selbstsüchtig libidinösen Gründen nicht weiter nach. Ein Erpresserehepaar taucht auf, dessen Erpressung scheitert, weil die Frau ihren Mann übers Ohr haut. Auch Alans etwas umwölkt wirkende Ehefrau, die plötzlich so professionell und taff handelt, hat keiner düsteren Motive, keine durchtriebene Strategie. Die Rückblenden, in denen sie in strahlend weiß gekachelten Gängen der Pariser Métro vor einem offensichtlichen Triebtäter flüchtet, enden mit einem Totschlag aus Notwehr. Diese Erfahrung damals, die sie als Geheimnis bislang alleine mit sich herumtrug, scheint sie verklemmt zu haben. Aber nun, nachdem ihrem Ehemann dasselbe widerfahren ist, kann sie sich ihm in Leidenschaft und mit geschminkten Lippen offen hingeben. Man weiß das nicht so genau. Sophie Marceau ist eine sehr schöne 20-jährige Frau und Francis Girod gibt ihr viel Zeit, sich an- und ausgezogen in Pose zu legen. Aber in ihrem Gesicht, ihren (ja, sehr schönen) Augen spielen sich keine Emotionen ab; sie bleibt eine schöne Oberfläche

Um dieses Pärchendrama hat Girod ein paar zwielichtige, schleimige und servile Figuren gestellt – Gauner, Hoteldirektor und Hotelangestellte, die kaum eine Funktion haben und in ihren Szenen giftig, schleimig oder servil blicken, während der alte Schriftsteller in blütenweißem Anzug durch die Hotelanlage und die pastellbunten Straßen der kleinen Stadt geht. Egal, wie oft der Anzug verdreckt, Alan holt immer noch wieder einen neuen aus dem Schrank, so blütenweiß wie der vorhergehende: der alte Schriftsteller mit der viel zu jungen Frau im Gewand eines unschuldigen Engels.

Der Film mit dem reißerischen Titel "Abstieg zu Hölle" erzählt ein emotionales Drama nicht aufregend. Die Romanvorlage von David Goodis, der auch die Vorlage für Schießen Sie auf den Pianisten (1960) geschrieben hat, mag die inneren Konflikte seiner Protagonisten nachvollziehbar erzählt haben. Es geht um lauter Menschen, die sich aus ihrer jeweiligen Not heraus gegenseitig austricksen und mittendrin der unschuldig weiß gekleidete Alan, der vergeblich alles richtig machen will und dafür schließlich seine Frau gewinnt. Francis Girod kratzt mit seinem Film nur an der Oberfläche dieses Dramas, lässt in Brasseurs faltigem Welpenblick die Verunsicherung des alten weißen Kolonialisten aufblitzen, der die Weltenläufte nicht mehr kontrolliert. Bei Marceau bleibt er gleich ganz auf deren kupferschimmernder Oberfläche.

Wertung: 4 von 10 D-Mark
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