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Plakatmotiv: Der Strohmann (1976)

Ein komplexes Drama über eine Zeit,
die man den USA kaum zutrauen würde

Titel Der Strohmann
(The Front)
Drehbuch Walter Bernstein
Regie Martin Ritt, USA 1976
Darsteller
Woody Allen, Zero Mostel, Herschel Bernardi, Michael Murphy, Andrea Marcovicci, Remak Ramsay, Marvin Lichterman, Lloyd Gough, David Margulies, Joshua Shelley, Norman Rose, Charles Kimbrough, Josef Sommer, Danny Aiello, Georgann Johnson, Scott McKay, David Clarke, I.W. Klein u.a.
Genre Drama
Filmlänge 95 Minuten
Deutschlandstart
21. Januar 1977
Website woodyallen.com
Inhalt

USA in den frühen fünfziger Jahren, während der McCarthy-Ära: Howard Prince ist Kassierer in einem Restaurant. Er verdient sich ein Zubrot mit Sportwetten. Als er bei einer Pferdewette sein Geld verliert, hilft ihm der Drehbuchautor Alfred Miller, mit dem er seit seiner Schulzeit befreundet ist, aus der Patsche.

Miller erhielt durch das Komitee für unamerikanische Umtriebe Berufsverbot, ebenso einige seiner Kollegen. Die nun arbeitslosen Schriftsteller überreden Howard, als Strohmann für sie tätig zu sein. Sie schreiben Drehbücher für Fernsehserien, und Howard gibt sie als seine aus. Die Idee hat Erfolg. Das Fernsehen ist seiner begabtesten Autoren beraubt und nimmt Howard mit Kusshand.

Nun beginnt sein sagenhafter Aufstieg. Howard wird der populärste Drehbuchautor des Fernsehens, und die Fernsehdramaturgin Florence Barrett verliebt sich in ihn. Er genießt den Ruhm, die neue Wohnung und das Geld. Die Beziehung zu Florence wird getrübt, als der Komiker Hecky Brown wegen angeblicher Teilnahme an einer kommunistischen Demonstration entlassen wird.

Hecky ist verzweifelt um Arbeit bemüht, braucht Geld und lässt sich auf eine Zusammenarbeit mit dem Komitee ein. Er soll Howard ausspionieren …

Was zu sagen wäre

Das erste, was Putschisten nach dem Regierungspalast abriegeln und übernehmen ist der Sendebetrieb der Medienhäuser. Bislang unabhängige Fernsehsender und Zeitungsverlage sind für diese Generäle die größte Gefahr ihrer noch jungen Regentschaft.

Die Macht der Medien, insbesondere der Fernsehsender mit ihren Nachrichten und Spielshows kennen auch demokratisch legitimierte Regierungen. Und manchmal artet diese Kenntnis in Hysterie aus. In den 50er Jahren, also noch kurz nach jenem Zweiten Weltkrieg, in dem die USA gemeinsam mit der Sowjetunion den deutschen Aggressor Adolf Hitler und dessen Nazi-Regime niedergerungen hatten, geriet das kommunistische Sowjet-System zum neuen ideologischen Großfeind der USA, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen galt. Plakatmotiv: Der Strohmann (1976) Aus dieser Prämisse entstand das "Komitee gegen unamerikanische Umtriebe" unter dem Vorsitz von Senator John McCarthy. Das Unterhaltungsmedium Fernsehen galt als für Kommunisten leicht zu unterwanderndes Medium, um – einfach ausgedrückt – die Bevölkerung einer politischen Gehirnwäsche zu unterziehen. Das Komitee konzentrierte sich auf Filmemacher, Drehbuchautoren und Schauspieler der damals populären TV-Shows, die dann entweder nachweisen konnten, keinerlei kommunistischer Umtriebe schuldig zu sein, oder über eine Schwarze Liste mit Berufsverbot belegt wurden. Wer in der Praxis einmal auch nur den Hauch eines Verdachts auf sich gelenkt hatte, und sei es nur, weil er mit jemandem vor langer Zeit das Klassenzimmer geteilt hatte, der viel später in einem Demonstrationszug einer Gewerkschaft marschiert war, dem drohte andauernde Arbeitslosigkeit – es sei denn, er nannte Namen potenziell kommunistisch getriebener Kollegen. Auf dieser Schwarzen Liste landeten zahlreiche Filmemacher, die heute, in den späten 70er Jahren zu den prominentesten Namen Hollywoods gehören.

In diesem quasi diktatorischen Regime inmitten der Großen Amerikanischen, Demokratischen Union spielt dieser Film, der sehr schnell sehr klar macht, welche Auswirkung diese Schwarze Liste hat. Denn da wird ein schriftstellerisch gänzlich unbedarfter Kassierer und nur mäßig erfolgreicher Buchmacher für Pferdewetten in kürzester Zeit zum gefeierten Autor sehr erfolgreicher Fernsehshows – die in Wahrheit aus der Feder gesperrter Qualitätsautoren entstanden sind.

Martin Ritt ("Die große, weiße Hoffnung" – 1970; Man nannte ihn Hombre – 1967; Der Spion, der aus der Kälte kam – 1965; Der Wildeste unter Tausend – 1963; Der lange heiße Sommer – 1958) seziert dieses inoffizielle Regime – offiziell werden hier keine Berufsverbote ausgesprochen, offiziell genügen hier die eingereichten Drehbücher plötzlich den Standards der Sender nicht mehr – von unten. Nicht die hohe Politik streitet über dieses Komitee. In Ritts Film erleben wir die Betroffenen, die die direkten Auswirkungen dieses Regimes erleben – und sie in manchem Fall nicht überleben.

Im Mittelpunkt steht der Kassierer in einer Bar, der in seinem Leben kaum einen Satz geschrieben hat, notorischer Spieler ist, dem Komitee aber als vollkommen unverdächtiger Autor präsentiert werden kann. Martin Ritt besetzt diese Rolle mit dem Shooting Star am US-amerikanischen Komödienhimmel, Woody Allen (s.u.). Das erweist sich als gute Wahl. Allen geht diese Rolle in einer Mischung aus naiv, subversiv und arrogant an, also in einer Komplexität, die seinem schlichten Äußeren – nicht groß gewachsen, schütteres, rotes Haar, Hornbrille – diametral entgegensteht. Plakatmotiv: Der Strohmann (1976) Sein Howard Prince erscheint als der perfekte Strohmann. Dessen Charakter im Lauf der knapp 90 Filmminuten dann ordentlich gerupft wird.

Dem unbedarften Kassierer steigt sein plötzlicher Ruhm zu Kopf, er verlangt bessere Konditionen von seinen durch die Schwarze Liste gesperrten "Kunden". Schließlich fordert er sogar Änderungen in einem Script, das seinem Geschmack zuwider läuft – ganz, als hätte er wirklich Ahnung, wovon er da spricht. Da nutzt er die Not der gesperrten Autoren ebenso gnadenlos aus, wie der Veranstalter, der den überall sehr beliebten Komiker Hecky Brown – ebenfalls Bewohner der Schwarzen Liste – für einen Bruchteil seiner normalen Gage auf die Bühne zwingt; und das auch kann, weil Brown Frau und Kinder hat, die er versorgen muss. Zero Mostel spielt diesen Hecky, als wäre der sein Zwillingsbruder – was nicht sehr verwunderlich ist: Zero Mostel stand Anfang der 50er Jahre selbst auf jener offiziell inexistenten Schwarzen Liste.

Aber der eigentlich unbedarfte Strohmann zieht seine Rolle dann knallhart bis zum Ende durch – auch getrieben durch eine etwas unmotiviert in die Handlug geschriebene aufkeimende Liebe zu einer Frau – und legt vor dem Ausschuss des Komitees gegen unamerikanische Umtriebe schließlich einen bemerkenswerten Auftritt hin.

Eine freie Gesellschaft mit demokratischen Strukturen ist nicht Gott gegeben. Es braucht jeden Tag Menschen, die für sie eintreten, sie verteidigen. Wie schnell das schief gehen kann, zeigt dieser Film. "Der Strohmann" ist ein erschreckendes Drama in klar strukturierten Bildern ohne künstlerisch leer klingelndes Lametta, das aus einer Zeit erzählt, in der Dinge normal waren, die dem System einer Demokratie widersprechen, aber aus Angst von allen ohne Widerspruch akzeptiert wurden.

Der Film entstand nach einem Drehbuch von Walter Bernstein, der ebenso wie Martin Ritt auf der genannten Schwarzen Liste Hollywoods stand. Herschel Bernardi spielt die Rolle des Fernsehproduzenten Sussman und Lloyd Gough die Rolle des Drehbuchautors Delaney. Beide standen ebenfalls auf der Schwarzen Liste. Der im Film geschilderte Selbstmord ist eine Anspielung auf den Schauspieler Philip Loeb, einen Freund Zero Mostels, der sich das Leben nahm, weil er auf der Schwarzen Liste stand.

Wertung: 8 von 9 D-Mark
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