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Plakatmotiv: Manhattan Murder Mystery (1993)

Woody Allen macht einen
Krimi in seinem Milieu

Titel Manhattan Murder Mystery
(Manhattan Murder Mystery)
Drehbuch Woody Allen & Marshall Brickman
Regie Woody Allen, USA 1993
Darsteller

Woody Allen, Diane Keaton, Jerry Adler, Lynn Cohen, Ron Rifkin, Joy Behar, William Addy, John Doumanian, Sylvia Kauders, Ira Wheeler, Alan Alda, Anjelica Huston, Melanie Norris, Marge Redmond, Zach Braff u.a.

Genre Drama, Komödie
Filmlänge 104 Minuten
Deutschlandstart
3. Februar 1994
Website woodyallen.com
Inhalt

Larry Lipton und seine Frau Carol sind ein Ehepaar, das in New York lebt. Ihre Ehe läuft gut, doch Carol fehlt es an Aufregung. Damit nicht allzu viel Langeweile aufkommt, nimmt sie einen merkwürdigen Vorfall zum Anlass, Nachforschungen anzustellen.

Die Nachbarin, eine ältere, gestern noch quietschfidele Dame, erliegt einem Herzversagen, aber der Witwer Paul scheint nicht angemessen traurig zu sein. Während Larry dem Verhalten des verwitweten Nachbarn keine große Bedeutung zubilligt, ist seine Frau wie besessen davon, das von ihr vermutete Verbrechen aufzuklären.

Sie und Ted, ein befreundeter Schriftsteller, finden heraus, dass Paul ein Verhältnis mit einer anderen Frau hat. Während Larry mit zunehmender Unruhe beobachtet, wie Carol nicht nur in fremde Wohnungen einbricht, sondern auch viel Zeit mit Ted verbringt, wird aus den Amateurermittlungen eine mörderische Geschichte, bei der es nicht bei einer Toten bleibt …

Was zu sagen wäre

Woody Allen präsentiert seine Version von Hitchcocks Das Fenster zum Hof. Eine tote Frau in der Nachbarwohnung und eine Idee, die schnell zur Besessenheit führt, ausgelöst durch die Winzigkeit, dass der frisch gebackene Witwer so gar nicht betrübt oder depressiv scheint – dabei hatten sich beide doch so auf den nahenden Hochzeitstag gefreut.

Natürlich bleibt auch dieser Woody Allen-Film ein echter Woody Allen-Film. Bald tummeln sich mehrere Hobbydetektive mit blühender Fantasie im Geschehen – alle kommen aus dem schreibenden Milieu – und verstricken sich in größere und kleinere Ehekrisen, Eifersüchteleien, schmachtende Blicke und Ehemann Larry, der gar nicht begeistert ist, dass seine Frau Carol eingebildete Mörder jagt, indem sie in fremder Leute Wohnung einbricht, verlässt fluchtartig eine Opernaufführung: „Wenn ich Wagner höre, verspüre ich den Drang, in Polen einzumarschieren.“ – seine Allenesken Punchlines fehlen auch nicht.

Diane Keaton ist zurück in Allens Filmkosmos. Eigentlich sollte Mia Farrow die ermittelnde Ehefrau spielen, aber die hat sich kurz vor Drehbeginn lautstark von Woody Allen getrennt. Allen besetzte sehr kurzfristig seine ehemalige Stammschauspielerin (Der Pate 3 – 1990; "Baby Boom" – 1987; Radio Days – 1987; Manhattan – 1979; Innenleben – 1978; Der Stadtneurotiker – 1977; Die letzte Nacht des Boris Gruschenko – 1975; Der Pate 2 – 1974; Der Schläfer – 1973; Mach's noch einmal, Sam – 1972; Der Pate – 1972) und frühere Lebensgefährtin. Und das passt wunderbar. DVD-Cover (US): Manhattan Murder Mystery Die beiden liefern sich Schnellfeuerdialoge und hibbelige Meinungsverschiedenheiten, als wäre Keaton nie weg gewesen. Denn nur, weil im Mittelpunkt diesmal eine Mördersuche statt einer Midlife Crisis steht, muss Allen ja nicht auf seine Neurosen und One-Liner verzichten: „Im Fahrstuhl stecken und Stromausfall?! Für Phobiker ist das der Jackpot!“ Allen hat es lange als „vertane Zeit“ bezeichnet, einen Krimi zu drehen. Irgendwann habe er plötzlich „einfach diese Lust verspürt“, es doch mal zu versuchen, sagt er jetzt.

Und alle machen mit. Alan Alda (…und das Leben geht weiter – 1993; Verbrechen und andere Kleinigkeiten – 1989) als Ted, schriftstellernder, geschiedener Single, der sich mit Carol und Feuereifer in die Hobbyermittlungen wirft, weil er sich eigentlich gerne auf Carol werfen würde, die in ihrer Ehe mit Larry gerade ein wenig unzufrieden ist. Anjelica Huston ist die coole, souveräne Autorin, die in ihrem Verleger, Larry, eine Art Vaterfigur sieht und all die losen Enden der im Dunkeln tappenden Amateurdetektive in Nullkommanichts richtig zusammensetzt – und dazu neues Feuer in Ted entfacht, was nun wieder Carol in die Eifersucht treibt, weil es ihr ganz gut gefiel, wieder begehrt zu sein.

Also geht es im Grunde doch wieder um die Neurosen erwachsener Großstadtmenschen, während aber die Mordtat nicht etwa ein bisschen nebenbei läuft. Woody Allen und Marshall Brickman haben eine sehr ausgefeilter Kriminalstory ersonnen, in der Tote wieder auferstehen um noch einmal getötet zu werden und Ehefrauen mit Liebhaberinnen betrogen werden, die ihrerseits mit Liebhaberinnen betrogen werden. Eingerahmt wird das von einem Setdesign, in dem ein altes Kino eine Rolle spielt, in dem nur noch Schwarz-Weiß-Klassiker laufen. Allen nutzt das, um einigen der großen Leinwandklassiker seine Referenz zu erweisen. Nicht einfach, indem sie auf der Leinwand des alten Kinos laufen, nein, es stehen jede Menge alte, auch gesplitterte Spiegel im Lager herum, in dem es später zu Showdown kommt. In diesem Finale finden sich viele Klassiker wieder, vor allem aber Orson Welles' "Die Lady von Shanghai" (1948), von dem Verleger Larry sogar ein Filmplakat im Schlafzimmer hängen hat.

Gewöhnungsbedürftig ist die Kameraarbeit von Carlo Di Palma, der schon die vorherigen drei Allen-Filme fotografiert hat. Auf Stative und Dolly hat seine Kameracrew im vorliegenden Fall verzichtet, wodurch die Bilder ununterbrochen zittern. Womöglich soll das Unruhe und Spannung unterstreichen, dabei sind die schnellen Dialoge und der ängstlich fuchtelnde Hauptdarsteller eigentlich Unruhe genug. Häufig war der Einsatz schwerer Dollys wohl schlicht nicht möglich. Woody Allen hat nicht im Studio gedreht, sondern in echten New Yorker Appartements und in diesem Film feiert er lange Einstellungen. Wenn er und Diane Keaton also unentwegt reden, streiten, diskutieren und dabei durch ihre Wohnung gehen, kann man das nur mit der Schulterkamera drehen. Diese Wackelbilder, die mittlerweile immer häufiger im Film zu sehen sind, zerstören die Magie des Kinos: Zittert das Bild, wird mir bewusst, dass ein Kameramann anwesend ist. Die angesprochenen langen Einstellungen in diesem Film andererseits sind fantastisch.

Der oben bereits erwähnte Alfred Hitchcock hat mal einen Film gedreht, der ohne sichtbaren Schnitt auskam. Er wollte wissen, ob das für den Suspense funktioniert. Als er Cocktail für eine Leiche abgedreht hatte, wusste er, dass es ohne Bildschnitt nicht funktioniert. Woody Allen schafft lange Sequenzen ohne Bildschnitt locker. Er füllt seine Bilder so mit Dramatik, Schnellfeuerdialogen und hektisch fuchtelnder Körpersprache auf, dass jeder Bildschnitt nur stören würde. "Manhattan Murder Mystery" hat für einen 100-Minuten-Film wenige Bildschnitte bei dennoch hohem Tempo.

In der letzten Einstellung durchbricht er dann noch rasch die Vierte Wand: Er verschwindet mit Diane Keaton im Hauseingang, dreht sich nochmal rum und kniet den Zuschauern grimassierend zu. Sollte das am Ende ein Ätsch an Mia Farrow sein?

Wertung: 7 von 10 D-Mark
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