Cecilia, eine Kellnerin in New Jersey zur Zeit der Depression, versucht ihrem unglücklichen Leben zu entfliehen. In der Fantasiewelt des Kinos findet sie die Ablenkung, die sie vom ihrem miesen Job und ihrer festgefahrenen Ehe braucht.
Am liebsten lässt sie sich von Hollywoodstar Gil Shepherd ablenken, der den draufgängerischen Abenteurer Tom Baxter in dem Film "The Purple Rose of Cairo" spielt. Als Cecilia wieder einmal das Kino besucht, steigt zu ihrem großen Erstaunen Tom Baxter aus der Leinwand in die reale Welt – und erobert sofort Cecilias Herz. Der Leinwandheld scheint in jeder Hinsicht perfekt zu sein, bis auf die Tatsache, dass er eben leider nicht real ist – im Gegensatz zu Schauspieler Gil Shepherd, dem Cecilia kurz darauf ebenfalls begegnet.
Die Hollywood-Studios schlagen derweil Alarm: Andere Tom Baxters versuchen in anderen Kinos ebenfalls die Leinwand zu verlassen. Wird Tom Baxter jemals zurückkehren und den Film beenden oder wird er für immer in der echten Welt bleiben ..?
Mia Farrows Blick ist hinreißend. Ihre Cecilia sitzt im Kino, blickt auf die Leinwand, auf der Fred Astaire mit Ginger Rogers tanzt und "Cheek to Cheek" singt, und in der Großaufnahme können wir in Cecilias Gesicht zusehen, wie sie sich zunehmend in jener schwarzweißen Welt da oben verliert, verliebt, versinkt.
Woody Allen hat so etwas wie einen Traum verfilmt: Das Kino kommt in die Wirklichkeit und befreit die Menschen von den Fesseln ihrer Realität. Cecilia lebt in New Jersey. Sie kellnert mehr schlecht als recht, ist ungeschickt, kann Bestellungen nicht auseinander halten, weiß dafür aber alles über das Leben der Stars in Hollywood, über das sie in den Klatschmagazinen liest. Sie ist verheiratet mit Monk, einem grobschlächtigen Lagerarbeiter, der in der großen Wirtschaftskrise seinen Job verloren hat, ihr die sauer verdienten Kellnerinnen-Dollars abnimmt, um sie beim Spielen einzusetzen, und sie zu schlagen, wenn sie „mal wieder nicht spurt“. Cecilias Leben ist nicht schön. Nur im Kino, wo sie die wöchentlich wechselnden Abenteuer- und Liebesfilme verschlingt, ist sie glücklich. Und dieses Leben – Kellnern, Monk, Kino – würde ewig so weitergehen, wenn nicht Tom Baxter von der Leinwand gestiegen wäre.
Jetzt hat Cecilia jemanden, für den es sich zu leben, zu kämpfen lohnt. Sie blüht auf. Das Leben ist wunderbar. Wenn Tom Baxter nur real wäre: „Ich habe gerade einen wunderbaren neuen Mann kennengelernt. Er ist zwar fiktiv, aber man kann nicht alles haben.“ Tom bleibt auch in New Jersey eine Drehbucherfindung. Ist höflich, zuvorkommend, immer korrekt gekleidet und wenn er sich prügelt, trägt er keine Schramme davon: „Ich werde nicht verletzt und blute nicht, meine Haare kommen nicht in Unordnung; das ist einer der Vorteile, wenn man imaginär ist.“
Der ihn spielende Gil Shepherd ist da schon handfester und bald beschert das Kino der staunenden Kellnerin sogar zwei attraktive Männer, die um ihre Gunst buhlen – ein irrealer und ein realer Mann.
Während in die still stehende Welt der Great Depression durch die Leinwandflucht Bewegung kommt, kommt das Leben auf der Leinwand zum Stillstand: „Die wirklichen Menschen wollen, dass ihr Leben eine Fiktion ist. Und die erfundenen, dass ihr Leben Realität wird“, stöhnt der Anwalt des Filmproduzenten. Die Figuren aus dem Film können ohne Tom Baxter nicht weitermachen, sind gefangen in ihren Rollen und streiten sich, wer eigentlich die Hauptfigur des Films im Film ist. Irgendwann wird einem Kellner in dieser schwarzweißen Welt klar, dass er nicht mehr an ein Drehbuch gefesselt ist und er frei ist. Er feuert die Big Band auf der Bühne an und startet einen wilden Stepptanz. In der Welt ohne Drehbuch herrscht Anarchie. In der realen Welt, die immer schon ohne Drehbuch klarkommen musste, in der Konventionen und gesellschaftliche Normen das Zusammenleben regeln, steht derweil der ebenfalls von seinen Drehbuchfesseln befreite Tom Baxter einer Gruppe von Prostituierten gegenüber, die von seiner höflichen Art so begeistert sind, dass sie sich ihm alle ohne Geld hingeben wollen. Baxter, der Befreite, kann das nicht annehmen. So frei ist er gar nicht. Auch ihn regeln Konventionen, es sind die Fesseln der im Drehbuch definierten Kinofigur Baxter.
Es ist kein Film allein über den Zauber des Kinos. Woody Allen erzählt eine Geschichte über die Wahl zwischen Realität und Fantasie. Er lässt seine Hauptfigur wählen, in welcher Welt sie fortan leben will. Folglich muss Cecilia, und mit ihr der Zuschauer im Kinosessel, abwägen und eine Entscheidung treffen. Und mit dieser Entscheidung dann leben. Das ist natürlich eine Binsenweisheit, dass man mit seinen Entscheidungen leben muss. Aber sie ist selten so schön und melancholisch verfilmt, wie hier. Nachdem dieser Film vorab in Testvorführungen gezeigt worden war, erklärten die Produzenten Woody Allen, er können einen ganz großen Hit landen, wenn er nur das Ende ändern würde. Allen lehnte dies ab und erklärte, dass das Ende seines Films einer der Gründe sei, warum er den Film gedreht habe. Er hat rund 15 Millionen Dollar für "The Purple Rose of Cairo" ausgeben. An den Kinokassen weltweit kamen dann nur knapp 10,6 Millionen Dollar wieder zurück.
Woody Allens Film ist eine vielschichtige, elegant gefilmte, wunderbar gespielte Philosophie über die Unmöglichkeit, ein richtiges Leben im falschen leben zu wollen.
Die Filme von und mit Woody Allen
- Drehbuch, Schauspieler: Was gibt's Neues, Pussy? (What's New Pussycat), 1965
- Regie: What's up, Tiger Lily (What's up, Tiger Lily), 1966
- Schauspieler: Casino Royale (Casino Royale), 1967
- Regie, Schauspieler: Woody, der Unglücksrabe (Take the Money and run), 1969
- Regie: Bananas (Bananas), 1971
- Schauspieler: Mach's noch einmal, Sam (Play it again Sam), 1972
- Regie, Schauspieler: Was Sie schon immer über Sex wissen wollten (Everything You wanted to know about sex but were afraid to ask), 1972
- Regie, Schauspieler: Die Letzte Nacht des Boris Gruschenko (Love & Death), 1975
- Regie, Schauspieler: Der Schläfer (Sleeper), 1973
- Schauspieler: Der Strohmann (The Front), 1976
- Regie, Schauspieler: Der Stadtneurotiker (Annie Hall), 1977
- Regie: Innenleben (Interiors), 1978
- Regie, Schauspieler: Manhattan (Manhattan), 1979
- Regie, Schauspieler: Stardust Memories (Stardust Memories), 1980
- Regie, Schauspieler: Eine Sommernachts-Sexkomödie (A Midsummernight Sexcomedy), 1982
- Regie, Schauspieler: Zelig (Zelig), 1983
- Regie, Schauspieler: Broadway Danny Rose (Broadway Danny Rose), 1984
- Regie: The Purple Rose of Cairo (The Purple Rose of Cairo), 1985
- Regie, Schauspieler: Hannah und ihre Schwestern (Hannah and her sisters), 1986
- Regie: Radio Days (Radio Days), 1987
- Regie: September (September), 1987
- Regie: Eine andere Frau (Another woman), 1988
- Regie, Schauspieler: New Yorker Geschichten (New York Stories), 1989 Episodenfilm
- Regie, Schauspieler: Verbrechen und andere Kleinigkeiten (Crimes and Misdemeanors), 1989
- Regie: Alice (Alice), 1990
- Schauspieler: Ein ganz normaler Hochzeitstag (Scenes from a mall), 1991
- Regie, Schauspieler: Schatten und Nebel (Shadow and Fog), 1992
- Regie, Schauspieler: Ehemänner und Ehefrauen (Husbands and Wifes), 1992
- Regie, Schauspieler: Manhattan Murder Mystery (Manhattan Murder Mystery), 1993
- Regie: Bullets over Broadway (Bullets over Broadway), 1994
- Regie, Schauspieler: Geliebte Aphrodite (Mighty Aphrodite), 1995
- Regie, Schauspieler: Alle sagen: I love you (Everyone says I love You), 1996
- Regie, Schauspieler: Harry außer sich (Deconstructing Harry), 1997
- Regie: Celebrity - Schön. Reich. Berühmt (Celebrity), 1998
- Stimme: Antz (Antz), 1998
- Regie: Sweet and Lowdown (Sweet and Lowdown), 1999
- Schauspieler: Picking up the Pieces - Ich habe doch nur meine Frau zerlegt (Picking up the Pieces), 2000
- Regie, Schauspieler: Schmalspurganoven (Small Time Crooks), 2000
- Regie, Schauspieler: Im Bann des Jade Skorpions (The curse of the Jade Scorpion), 2001
- Regie: Sounds from a Town I love (Kurzfilm), 2001
- Regie, Schauspieler: Hollywood Ending, 2002
- Regie: Anything else, 2003
- Regie: Melinda und Melinda (Melinda and Melinda), 2004
- Regie: Match Point (Match Point), 2005
- Regie: Scoop - Der Knüller (Scoop), 2006
- Regie: Cassandras Traum (Cassandra's Dream), 2007
- Regie: Vicky Cristina Barcelona, 2008
- Regie: Whatever works - Liebe sich wer kann (Whatever works), 2009
- Regie: Ich sehe den Mann Deiner Träume (You will meet a tall dark Stranger), 2010
- Regie: Midnight in Paris, 2011
- Regie: To Rome with Love, 2012
- Regie: Blue Jasmine, 2013
- Schauspieler: Plötzlich Gigolo, 2013
- Regie: Magic in the Moonlight, 2014
- Regie: Irrational Man, 2015
- Regie: Café Society, 2016
- Regie: Wonder Wheel, 2017
- Regie: A Rainy Day in New York, 2019
- Regie:
Rifkin's Festival, 2020 - Regie:
Ein Glücksfall, 2023
