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Plakatmotiv: Zelig (1983)

Woody Allen erzählt von der Jagd auf hohe
Auflage und dem dazu nötigen Subjekt

Titel Zelig
(Zelig)
Drehbuch Woody Allen
Regie Woody Allen, USA 1983
Darsteller
Woody Allen, Mia Farrow, Sol Lomita, Mary Louise Wilson, Richard Litt, Ada Smith, Susan Sontag, Irving Howe, Saul Bellow, Bruno Bettelheim, Patrick Horgan, John Buckwalter, Marvin Chatinover, Stanley Swerdlow, Paul Nevens, Howard Erskine, George Hamlin, Ralph Bell, Richard Whiting, Will Hussung, Robert Iglesia, Eli Resnick, Edward McPhillips, Gale Hansen, Michael Jeter, Peter McRobbie u.a.
Genre Historie, Drama, Komödie
Filmlänge 79 Minuten
Deutschlandstart
30. September 1983
Website woodyallen.com
Inhalt

Auf der Suche nach seiner Identität und mit dem ständigen Bedürfnis von allen Menschen gemocht zu werden, nimmt der Anpassungskünstler Leonard Zelig nicht nur die Persönlichkeit der ihn umgebenden Menschen an, er meistert auch die äußere Verwandlung scheinbar spielerisch.

So wird Zelig in der Nähe von Indianern zum Indianer, in einem Krankenhaus übernimmt er die Rolle eines Psychiaters und im Baseball-Stadion spielt er an der Seite des legendären Babe Ruth. Zunächst als Sensation und Kuriosum gefeiert, wird Zelig mit der Zeit zum erbitterten Streitfall für die verschiedensten Gesellschaftsteile …

Was zu sagen wäre

Woody Allen ist auf der Suche nach neuen Themen für sein Filmschaffen, weg vom lustigen Woody hin zu einem Auteur, der witzig ist, dabei aber unbedingt was zu sagen hat. Das wissen wir spätestens seit Stardust Memories. Jetzt führt sein Bestreben zu einer Pseudo-Filmdokumentation über einen Mann ohne Eigenschaften. In Allens Schaffen ist dies seine zweite Mockumentary nach Woody, der Unglücksrabe (1969); "Zelig" ist nicht so lustig, aber filmtechnisch nicht einfach besser, filmtechnisch ist "Zelig" ein Wunderwerk.

Woody Allen mischt originale Wochenschaubilder aus den 1920er Jahren mit heute gedrehtem, aber auf alt, auf 1920er Style getrimmtem Filmmaterial und mogelt in die historischen, grobkörnigen Schwarzweiß-Aufnahmen seinen Titelhelden hinein. Dazu setzt er bekannte Intellektuelle wie Susan Sontag, Saul Bellow oder Bruno Bettelheim vor seine Kamera, die in den wenigen Farbsequenzen des vorliegenden Films das Geschehen rund um das „menschliche Chamäleon“ kommentieren und historisch wie psychologisch einordnen. Kombiniert ergibt das einen Film, der aussieht wie eine echte TV-Dokumentation über eine real existierende Person, nur eben auf der Leinwand, statt im Fernsehen.

Es gibt die klassischen Woody-Allen-Oneliner, wenn etwa sein Zelig in der Person eines Psychiaters sich sorgt, nicht pünktlich in seine Vorlesung über männliche Selbstbefriedigung zu gelangen, „die Studenten könnten ohne mich anfangen“. Plakatmotiv: Zelig (1983) Aber sie stehen nicht im Mittelpunkt. "Zelig" ist keiner von den lustigen Woody-Allen-Filmen.

In "Zelig" führt er seine Zuschauer sehenden Auges aufs Glatteis. Und führt mit großer technischer Finesse vor, wie leicht der Mensch verführbar ist, solange er nur ein Bild sieht zu Behauptungen, die von der Tonspur kommen – wie leicht also Nachrichtenbilder in den Abendnachrichten manipulieren können.

Die Nachrichten stürzen sich auf das Phänomen Zelig. Ein Mann, der sich in kürzester Zeit in einen Indianer, einen Rabbi, einen Baseballspieler oder einen fetten Mann verwandelt, ist gefundenes Fressen für die sensationslüsternen Kameras. Der Mann wird gefeiert für seine Besonderheit. Und dann wird er gehasst für seine Besonderheit, in der er offenbar mehrere Frauen geheiratet und medizinische Eingriffe vorgenommen hat. Und die Medien dirigieren die US-amerikanischen Stimmungsschwankungen, wie es ihnen gerade für die Auflage passt. Ein medienkritischer Film ist keine neue Erfindung. Es gibt da schon einige von. Viel böser etwa war vor sieben Jahren schon Sidney Lumets Network (1976). Aber der drehte sch auch nur um das Medium Fernsehen.

Woody Allen begleitet auch noch einen sonderbaren Charakter, den man als solchen kaum bezeichnen kann. Hat er überhaupt einen Charakter? Eigenschaften? Leonard Zelig, aufgewachsen in gewalttätiger Familie und Nachbarschaft, in der jeder Andere verprügelt wurde, ist ein Mann, der von allem gemacht werden möchte. und das geht am besten, wenn man weder Meinung noch Eigenschaft hat, sondern einfach so ist, wie alle anderen um einen herum.

Er nimmt also nicht nur die Persönlichkeit der ihn umgebenden Menschen an, er meistert auch die äußere Verwandlung spielerisch. Mit seiner Gabe gelingt es dem Juden Leonard Zelig auf dem Höhepunkt der gegen ihn gerichteten Zeitungskampagnen in den USA sogar, an der Seite des Judenvernichters Adolf Hitler als vermeintlicher Nazi zu erscheinen. Mit der Zeit wird Zelig zum erbitterten Streitfall für die verschiedensten Gesellschaftsteile. Ärzte, Psychologen, Politiker setzen sich eigenwirksam vor den Kameras der TV-Networks in Szene, um ihre unumstößliche Wahrheit über den Fall Zelig zu postulieren. Selbst der Ku-Klux-Klan meldet sich zu Wort und missbraucht Zelig für eine rassistische Hetzkampagne. Kaum hat der Titelheld seine wundersame Gabe aufgegeben, sich also der Öffentlichkeit zu erkennen gegeben, passiert genau das, was er immer vermeiden wollte: Er wird zum Streitfall, man zerreißt sich das Maul über ihn. Plötzlich ist er gar nicht mehr wie alle anderen um ihn herum.

Aber natürlich ist es auch schwierig, in einem Vielvölkerstaat wie den USA so sein zu wollen, wie alle anderen. Einzig die Psychiaterin Eudora Fletcher zeigt wirkliches Interesse an Leonard Zelig, sorgt sich um ihn und diagnostiziert sein Leiden schließlich als ernstzunehmende Persönlichkeitsstörung. Hier baut Woody Allen mit seinem sorgsam kurierten Schwarzweiß-Material eine Liebesgeschichte in seinen Film, die ohne die woanders üblichen, romantischen Streichinstrumente auskommen. Bei Woody Allen ist musikalisch auch in diesem Film alles Jazz.

Bewundernswert erzählt. Technisch brillant. Aber für einen Zuschauer, der in seinem Kinosessel unvermittelt in eine schwarzweiße TV-Dokumentation geraten ist, auch ein wenig anstrengend.

Wertung: 7 von 9 D-Mark
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