IMDB

Plakatmotiv: Amistad – Das Sklavenschiff (1997)

Geschichtsstunde wider die Unterdrückung
in Form eines Gerichtssaalthrillers

Titel Amistad – Das Sklavenschiff
(Amistad)
Drehbuch David Franzoni
Regie Steven Spielberg, USA 1997
Darsteller

Matthew McConaughey, Djimon Hounsou, Morgan Freeman, Stellan Skarsgård, Anthony Hopkins, Nigel Hawthorne, David Paymer, Pete Postlethwaite, Razaaq Adot, Abu Bakaar Fofanah, Anna Paquin, Chiwetel Ejiofor, Tomás Milián, Xander Berkeley, Arliss Howard u.a.

Genre Drama, Historie
Filmlänge 155 Minuten
Deutschlandstart
26. Februar 1998
Inhalt

1839: La Amistad ist ein spanisches Segelschiff, das als Fracht etwa 40 schwarzafrikanische Sklaven, darunter Sengbe Pieh, der im Fort Lomboko gefangen gehalten wurde, an Bord mit sich führt, die auf dem Seeweg von einer kubanischen Stadt nach Spanien meutern und das Schiff in ihre Gewalt bringen. Sie töten die Besatzung bis auf zwei Angehörige, die sie nach Afrika zurückbringen sollen.

Knapp drei Monate später wird die beschädigte Amistad von einem Schiff der US-Küstenwache aufgebracht. Die Afrikaner werden als herrenloses Eigentum in den US-Staat Connecticut verschleppt. Nachdem sie dort angekommen sind, wird aus dem Drama ein Politikum, denn gleich mehrere Parteien beanspruchen das Schiff und die Sklaven: die überlebenden Seeleute Ruiz und Montes, die US-amerikanischen Kommandeure, die das Schiff in ihre Kontrolle gebracht haben, sowie die spanische Königin Isabella II.

Der junge Rechtsanwalt Roger Baldwin wird von zwei christlichen Abolitionisten engagiert, sich des Falles anzunehmen. Baldwin will den Prozess als einen Prozess über Eigentumsverhältnisse an landwirtschaftlichen Nutzmitteln (Sklaven) führen, während die Abolitionisten den Prozess aus Idealismus führen wollen. Baldwin versucht zu beweisen, dass die Afrikaner weder aus Spanien noch aus den USA kommen, sondern auf neutralem Boden gefangen und illegal in die Sklaverei verkauft wurden. Dabei lernt er deren Anführer Cinque kennen und erfährt, dass er zum Volk der Mende gehört.

Plakatmotiv: Amistad – Das Sklavenschiff (1997)Durch einen Dolmetscher erzählt Cinque, wie er in Afrika von anderen Afrikanern gefangen und an weiße Sklavenhändler verkauft wurde. Er berichtet ferner von den Grausamkeiten auf dem Schiff; eine Szene wird später von einem britischen Kapitän erklärt, der vor Gericht über den Sklavenhandel aussagt: Da die Schiffsführer nicht genug Proviant mitgenommen hatten, ertränkten sie fünfzig Afrikaner.

Nach einem ersten – für die Sklaven günstigen – Urteil legt der US-Präsident Martin Van Buren u. a. aus Furcht vor Schwierigkeiten mit den Südstaaten Berufung beim Obersten Gerichtshof ein …

Was zu sagen wäre

Ein Menschenrechtsanwalt vertritt die Auffassung, es wäre gut für die Afrikaner, wenn sie gehenkt würden; ein Märtyrertod sei das stärkste Argument für die Sache der Menschenrechte. Ein ehemalige Vizepräsident findet es lächerlich, die Afrikaner frei zu lassen. Die Sklaverei sei ein verbrieftes Recht, „der Süden“ würde ein Urteil, das die Afrikaner frei kommen lässt, niemals akzeptieren und malt die Schatten eines aufziehenden Bürgerkriegs an die Wand. Ein Ex-Präsident schließlich schaut in die Verfassung, findet dort sehr schnell die unveräußerlichen Freiheitsrechte und sagt „Und wenn das zu einem Bürgerkrieg führt, werden wir ihn führen!“ Und ein Regisseur, der seine Zuschauer nun zweieinhalb Stunden lang im Kinosessel mit wohltemperiert fotografierten Bildern und langen Dialogen über die Politik des Machbaren und das Machbare im Gesetz unterrichtet hat, lässt am Ende noch die böse Sklavenburg explodieren.

Steven Spielberg arbeitet sich durch ein dunkles Kapitel in der Geschichte der USA, die Sklaverei, dessen Ausgang allerdings eines ist, das die nationalstolzen Hörner schallen lässt. Denn das Recht auf freie, eigenverantwortliche Entfaltung und das Streben nach Glückseligkeit, wie es die Verfassung der Vereinigten Staaten verspricht, obsiegt.

Zäh beginnt der Film. Wir erleben den Aufstand der Sklaven an Bord des Schiffes, wir hören sie eine fremde Sprache sprechen, können schwer unterscheiden, wer wer ist. Zwei Spanier sind an Bord, deren Spanisch in rudimentären Untertiteln übersetzt wird. Sie werden von den Sklaven gezwungen, sie heim zu segeln; weil aber die Afrikaner keine Ahnung von Navigation oder der notwendigen Pflege eines Segelschiffes auf hoher See haben – das spielte in ihrem bisherigen Leben in Sierra Leone einfach keine Rolle – landen sie irgendwann vor der US-Küste. Dieser Handlung kann ich im Kinosessel problemlos folgen, allein, mir fehlt mein Fremdenführer, eine Identifikationsfigur, an der ich mich orientieren könnte.

Auf dem Festland sprechen die Männer zwar meine Sprache, verstehen kann ich das dennoch nur schwer. Hier lässt sich Spielberg Zeit, den Zuschauer am Ende des 21. Jahrhunderts in die Feinheiten der Sklaverei zu Beginn des 20. Jahrhunderts einzuführen. „Wenn es aber Sklaven sind, handelt es sich um eine Sache. Ich klage auch kein Bücherregal an, jemanden getötet zu haben.“ Es bleibt hängen, dass diese Gesellschaft, die sich wenige Jahrzehnte zuvor erst aus dem britischen Joch befreit hat, einer bigotten Moral das Wort redet, in der im Zweifelsfall recht hat, wer Geld und Macht besitzt.

In mehreren Instanzen bekommen die Afrikaner unter dem unermüdlichen Einsatz des jungen Anwalts Baldwin, den Matthew McConaughey (Contact – 1997; Die Jury – 1996; "Kaffee, Milch & Zucker" – 1995) als jungen, Justiztheoretiker mit funkelndem Ehrgeiz einführt und ihn bis zur Desillusion vor der Jurisprudenz spielt, Reicht zugesprochen. Aber immer findet sich ein Schlupfwinkel, das Urteil anzufechten. Mal will man es sich nicht mit der spanischen Königin verscherzen, einem 11-jährigen Mädchen, das Ansprüche auf Schiff, Besatzung und Fracht erhebt. Mal droht bei missliebigem Urteil der Bürgerkrieg. Und weil die Afrikaner weder etwas verstehen noch sich verständlich machen können, bleiben sie lange stummer Spielball der Gewalten. Dem zuzuschauen ist mäßig spannend. Selten befinden wir uns im Gerichtssaal, meist in staubigen Amtsstuben oder im modrigen Gefängnis, in dem die Afrikaner ihres Schicksals harren. Bis endlich jemand auf die Idee kommt, einen Übersetzer zu besorgen.

Die Suche nach so einem Mann löst Spielberg sehr schön, indem er die Anwälte durch die Hafengegend gehen und unablässig von eins bis zehn zählen – in der Sprache des Volkes der Mende. Mit dem auf diese Weise gefundenen Dolmetscher kann nun Cinque, einer der Afrikaner, der sich mittlerweile als eine Hauptfigur herausgeschält hat, seine Geschichte erzählen. Spielberg setzt das Geschehen in Bilder um, die kaum zu ertragen sind. Man soll nicht relativieren, darf nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Aber die Szenen auf dem Sklavenschiff sind grausamer als die Bilder, die Spielberg für die deutschen KZ fand.

Die Grausamkeiten sind das eine – fünfzig Gefangene werden auf offener See ertränkt, weil die Besatzung des Sklavenschiffes die Rationen falsch berechnet hatte und nun zu wenig Nahrung für zu viele Sklaven hat – es ist aber die Art, wie Spielberg erzählt. Eben noch lächelt Cinque seiner Frau und seinem Sohn zu, da wird er mit einem Netz eingefangen, verschleppt, in Käfige gesperrt. Kinoplakat (US): Amistad (1997) Die Kamera ist immer nah bei ihm, nie erklärt einer irgendwas und wir können uns auch mit historischem Wissen im Kinosessel vorstellen, wie grausam das für jeden einzelnen Menschen in Ketten sein muss. Auf einem Sklavenmarkt in Kuba sehen wir aus Sklavenperspektive in die gelangweilt-interessierten Gesichter Vergnügung suchender Familien. Die Einsamkeit des Sklaven ist in jedem Frame spürbar. Derart aufgerüttelt, sind wir nun mittendrin im Film. Nach mehr als einer Stunde. Dann beginnt ein Gerichtssaal-Thriller.

Spielberg hält sich eng an die historischen Fakten und setzt seinen Weg durchs historische Fach fort, das bei ihm eine Geschichte der Unterdrückung ist, die sich selbst überlebt hat. Streng genommen ist "Amistad" der direkte Folgefilm auf Spielbergs Schindlers Liste (1993). Dass zwischen beiden Filmen in seiner Filmbiografie Jurassic Park 2 (1997) steht, ist dem Umstand zu schulden, dass die Universal-Studios an das Schindler-Projekt nicht glaubten und Spielberg die dafür benötigten Millionen nur zusicherten, wenn der im Gegenzug „noch einen Dinosaurier-Film“ für sie drehe.

Der meisterhafte Kinoerzähler umgeht die Gefahr, trockenen Geschichtsunterricht zu leisten durch die populäre Form des Gerichts-Thrillers. Kalte Kläger, flammende Plädoyers, dramatisches Unrecht. Großes Pathos. Das Plädoyer, das Anthony Hopkins (Auf Messers Schneide – 1997; Nixon – 1995; Legenden der Leidenschaft – 1994; Was vom Tage übrig blieb – 1993; Bram Stoker's Dracula – 1992; Wiedersehen in Howard's End – 1992; Freejack – Geisel der Zukunft – 1992; Das Schweigen der Lämmer – 1991; 24 Stunden in seiner Gewalt – 1995; Die Bounty – 1984; Der Elefantenmensch – 1980; Die Brücke von Arnheim – 1977; Achtzehn Stunden bis zur Ewigkeit – 1974) als John Quincy Adams als ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten für die Afrikaner hält, nachdem er sich im Film lange ziert, hier Position zu beziehen, ist, für den Fall, dass jemand nicht versteht, worum es gerade geht – und es geht natürlich um Alles – mit gebremsten Fanfaren unterlegt. Und wenn die historischen Gegebenheiten einigermaßen so gewesen sind, wie im Film geschildert, verlassen wir das Kino mit dem guten Gefühl, das Verfassung, Menschenrechte und Menschenwürde doch noch einen Wert haben in unserer zynischen Gesellschaft. Das lässt den Film in dieser humanitären Grundidee klangvoller dastehen als er eigentlich ist.

Wertung: 7 von 11 D-Mark
IMDB