IMDB

Plakatmotiv: Die Fabelmans (2022)

Eleganter Film, der einen Jungen zeigt, der
den Zauber des Bildausschnitts entdeckt

Titel Die Fabelmans
(The Fabelmans)
Drehbuch Steven Spielberg & Tony Kushner
Regie Steven Spielberg, USA, Indien 2022
Darsteller

Michelle Williams, Gabriel LaBelle, Paul Dano, Judd Hirsch, Seth Rogen, Mateo Zoryan, Keeley Karsten, Alina Brace, Julia Butters, Birdie Borria, Sophia Kopera, Jeannie Berlin, Robin Bartlett, Sam Rechner, Oakes Fegley, Chloe East, Isabelle Kusman, Chandler Lovelle u.a.

Genre Drama, Biografie
Filmlänge 151 Minuten
Deutschlandstart
9. März 2023
Inhalt

Die Leidenschaft von Sam Fabelman ist das Filmemachen – ein Interesse, das seine kunstbegeisterte Mutter Mitzi schätzt und fördert. Sams Vater Burt hingegen, ein erfolgreicher Ingenieur, befürwortet Sams Arbeit zwar, hält sie aber für nicht mehr als ein Hobby.

Doch die Faszination für bewegte Bilder lässt den jungen Sam nicht mehr los. In immer aufwendigeren Filmproduktionen mit der Super-8-Kamera seines Vaters setzt der Nachwuchsregisseur seine Schwestern und Freunde in Szene.

Als die Fabelmans umziehen und es zu Turbulenzen innerhalb der Familie kommt, muss sich Sam mehr denn je auf seine Liebe zum Kino und die Macht der Filme besinnen, um seine Träume nicht aus den Augen zu verlieren …

Was zu sagen wäre

Die Glanzzeiten des Kinos schlagen zurück, beschwören die Macht der analogen Bilder. Eben erst war "Babylon" (2022) von Damien Chazelle auf der Leinwand – ein großer Flop, der aber mit wahnsinnigem Aufwand die frühen Jahre des Kinos besingt. Die Trailer im Kino künden schon von "Empire of Light" (2022) von Sam Mendes. Und nun auch in Deutschland gestartet ist Steven Spielbergs "The Fabelmans", ein Familienfilm, eine Coming-of-Age-Geschichte, die Geschichte eines Jungen, der seine Liebe zum Kino entdeckt, die zur Liebe seines Lebens wird. Früh erliegt er der Macht der Bilder. Natürlich im Kino, in Cecil B. DeMilles "Die größte Schau der Welt" (1952). Es ist ein Zugunglück, das ihm fortan den Schlaf rauben wird.

Nacht. Eine Lokomotive mit mehreren Waggons steht auf den Schienen. Zwei Mann in einem Cabriolet stehen hinter dem Zug auf den Schienen. Wir hören einen Tuten in der Ferne, sehen weißen hoch aufsteigenden Qualm in unsere Richtung kommen. Eine zweite Eisenbahn schält sich aus dem Dunkel. Die Männer im Cabriolet fahren dem zweiten entgegen, wollen ihn warnen, dass da vorne ein Zug still steht. Es ist zu spät. Der zweite Zug kracht in das Cabriolet, schleudert es von den Schienen und donnert mit Wucht auf den stehenden Zug auf, Fenster splittern, Waggons verbiegen sich, Menschen schreien, es herrscht Chaos. Die Augen des kleinen Jungen im Kinosessel, Sam, etwa sechs Jahre alt, sind während der Szene immer größer geworden. Auf der Heimfahrt bringt er kein Wort heraus. Es ist die Weihnachtszeit. Alle Häuser sind im Dunkel mit bunten Lichtern dekoriert. Erst als der Vater des Jungen im Scherz sagt, in dem ganzen Licht könne man ja sein eigenes Haus nicht mehr finden, spricht Sam wieder: „Es ist das einzige Haus ohne Licht!“ Die Fabelmans sind Juden, sie feiern kein Weihnachten im Lichterglanz. Sie haben Chanukka. das kommt mit dem achtarmigen Leuchter aus. Allein unter vielen, Dunkelheit mit punktiertem Licht in Erkenntnis verwandeln; der Lebensweg des Jungen ist in dieser Szene schon vorgeschrieben.

Die Eisenbahn lässt Sam nicht mehr los. So wie sie die Menschen schon in den Ur-Tagen erster Kinovorführungen nicht losgelassen hast. In einer der allerersten Aufführungen zeigten die Gebrüder Lumière auf der großen Leinwand eine Eisenbahn, die über eine im Gleisbett liegende Kamera rollte. Menschen sollen schreiend vor Angst, überrollt zu werden, aus dem Saal geflohen sein. Die Macht der Bilder. Ton gab es damals noch nicht. Für den jungen Sam ist es noch zu früh, seine Albträume zu erklären, er weiß nichts von einer Macht der Bilder. Zu Chanukka bekommt er die gewünschte Modelleisenbahn, mit der er in den kommenden Wochen den Crash, der ihn seit dem Kinobesuch nicht mehr loslässt, nachspielt. Sein Vater ist davon gar nicht begeistert. Der ist Ingenieur und weiß um die feine Mechanik in solchen Modelleisenbahnen; bewusst herbeigeführte Zusammenstöße sind schlecht für die Feinmechanik. Sams Mutter Mitzi, künstlerisch veranlagt, begnadete Konzertpianistin, die ihren Traum nach drei Kindern an den Nagel hing, drückt Sam die Super-8-Kamera seines Vaters in die Hand. Profane Begründung: Damit müsse er Modelleisenbahn, Modellauto und ein zweites Hindernis nur noch einmal ineinander krachen lassen, weil er sich dann die Aufnahme davon ja immer wieder ansehen könne.

Jetzt erst legt sich bei dem Jungen ein Schalter um. Als der Super-8-Film mit dem (Modell)eisenbahnunglück fertig ist, sehen wir da unterschiedliche Kameraeinstellungen, die Sam damit begründet, dass er mehrere Anläufe gebraucht habe, um alles richtig im Bild zu haben. Fortan filmt er, sobald er Vaters Kamera haben darf, treibt seine in Klopapier gewickelten Schwestern als Mumien durchs Haus, filmt deren spitze Schreie im Kleiderschrank, in dem es mit Hilfe von viel Plastik und Pappmaché spukt; im Familienurlaub ist jetzt er derjenige, der die Kamera führt und die Bildausschnitte wählt. Schnell hat er gelernt, das "Film" nicht einfach Kamera draufhalten meint. Es sind die Bildausschnitte, die Realität ergeben – was rausgeschnitten ist, hat nicht stattgefunden.

Es gibt drei Schlüsselszenen in "Die Fabelmans", die die Macht der Bilder und die Verführung durch den Bildausschnitt beschwören. Nach einem Familienurlaub stellt Sam anhand seiner Aufnahmen fest, dass sich seine Mutter Mitzi und "Onkel" Bennie, der beste Freund ihres Mannes, ineinander verliebt haben (das ist eine kleine Verbeugung vor Michelangelo Antonionis "Blow Up" – 1966). Immer wieder kann man Mitzi und Bennie im Bildhintergrund oder am Bildrand in zärtlicher Zugewandheit sehen. Für den fröhlichen Familienabend schneidet Sam einen hübschen Familienurlaubsfilm. Es gibt aber auch ein, man könnte sagen, Outtakes-Reel, das er seiner Mutter zeigt und hier spielt Steven Spielberg seine ganze Kunst als Filmemacher aus. Immer noch dreht Sam mit der Super-8-Kamera ja Stummfilme. Das, was er seiner Mutter im dunklen Wandschrank vorführt, sehen wir nicht (wir haben vorher einige der Szenen im Originalmaterial des Urlaubsfilms gesehen), wir sehen nur ihren Gesichtsausdruck, der auf die stummen Bilder reagiert. Nach der Sequenz ohne Worte ist zwischen pubertierendem Teenager und Mutter alles gesagt.

Zwischendurch trennen sich dann die Eltern – Mitzi ist zu Bennie gezogen – Sam hat sich in Monica verliebt, eine sehr gläubige Christin, die ganz vernarrt ist in den andersgläubigen Jungen. Da finden Elemente Einzug in Sams behütetes Leben, die sich nicht mit einem anderen Bildausschnitt verändern lassen. Für diese Gefühlswallungen, die den Jungen auf unterschiedlichen Ebenen treffen, findet er in seinen – immer noch – Stummfilmen eine weitere Ausdrucksform. Musik.

Es gibt einen dritten Film, der für die Entwicklung des Jungen zum Regisseur wegweisend ist. Da filmt er, immer noch ohne Ton, eine Strandparty seiner High School, an der er als Jude („Jesus-Mörder“) angefeindet wird. Als der fertige Film auf der Abschlussfeier gezeigt wird, entpuppt der einen der antisemitischen Mitschüler als traurigen Einzelgänger, einen anderen als strahlenden, sportlichen Sieger, dem alle Herzen zufliegen. „Die Kamera zeigt nur was ist“, verteidigt Sam seinen Stummfilm – der aber diesmal nicht nur Bildausschnitte bewusst gewählt hat, sondern diese auch noch mit betont heroischer Musik unterlegt hat. „Nimm dich in Acht, wenn Du mit den Gefühlen anderer Leute spielst“, hat ihn sein Opa einmal gewarnt, der mit dem Zirkus durchs Land reiste, die ganz frühen Tage in Hollywood erlebt und im Haus der Fabelmans nach wenigen Minuten erkannt hat, dass der junge Sam kein Ingenieur wie sein Vater werden wird, sondern für die Kunst des Filme machen brennt. Kunst könne Familien auseinander reißen, warnt der Alte den Jungen.

"Die Fabelmans" ist eine halbautobiografische Nacherzählung der Kindheit und Jugend Steven Spielbergs. Vieles von dem, was wir sehen, spiegelt tatsächliche Begebenheiten, anderes nicht. Es ist müßig, nun das eine vom anderen zu unterscheiden, um dann doch nichts wirklich festklopfen zu können – wir sitzen ja in einem Spielfilm, nicht in einer Dokumentation. Wie oben erwähnt sitzen wir in einem Familienfilm, dessen Dramaturgie gelungen ist, in einer Coming-of-Age-Geschichte, in der die Liebesgeschichte wie immer bei Spielberg nicht so richtig zündet, und erleben die ersten Schritte eines Mannes, der das Kino, unsere Wahrnehmung davon, geprägt hat, wie vielleicht noch Cecil B. DeMille, Alfred Hitchcock oder John Ford, den der heranwachsende Sam am Ende trifft: „Ist der Bildhorizont tief, ist es gut. Ist der Horizont hoch, ist es gut. Ist der Horizont in der Mitte, ist das Bild scheiße!

Die Herausforderung dieses Films ist, dass wir es uns im Kinosessel nicht so einfach machen sollten, dass das Happy End ja vorgezeichnet sei, weil es ja um Spielbergs Vita gehe, also egal, was da an Schmerzen gezeigt wird, am Ende steht Der weiße Hai ff. Im Mittelpunkt des Films wie im richtigen Leben steht die Familie, drei bezaubernde Schwestern, die ihrem Regie führenden Bruder zur Seite stehen aber zunehmend ein eigenes Leben entwickeln. Da ist der freundliche Vater, ein Workaholic, der mit künstlerischer Ambition nicht viel anfangen kann, seinen Sohn dennoch unterstützt. Und da ist Michelle Williams (Venom: Let There Be Carnage – 2021; Venom – 2018; Alles Geld der Welt – 2017; "Manchester by the Sea" – 2016; "My Week with Marilyn" – 2011; Shutter Island – 2010; Blue Valentine – 2010; Brokeback Mountain – 2005; Halloween H20 - 20 Jahre später – 1998; Species – 1995), die im Film Mitzi heißt, im richtigen Leben wohl Leah Adler (Spielbergs Mutter), und hier Sams Mutter spielt. Sie ist das Herz dieses Films. Sowohl die Mutter, die ihre Kinder auf den Weg ins Leben – und täglich in die Schule – bringt, als auch die Frau, die für ihre Kinder ihren Traum als Konzertpianistin durchzustarten an den Nagel gehängt hat. Spielberg inszeniert diese Figur mit viel Liebe zum Detail. Beim Familienurlaub tanzt Mitzi nachts im durchsichtigen Nachthemd im Gegenlicht der Autoscheinwerfer; da ist sie gleichzeitig selbstbewusst und hauchzart und, nur für ihren Sohn mit der Kamera, exaltiertes Modell.

"Die Fabelmans“ ist mehrfach ausgezeichnet worden und auch für sieben Oscars nominiert. Der Zauber, der von ihm ausgeht, ist nicht in der Mehr-oder-weniger-Biografie eines der wichtigsten Regisseure des Kinos begründet, sondern in seiner bemerkenswert analogen Machart. Nicht, dass es nicht auch hier Szenen vor GreenScreen gibt (gerne bei Autofahrten). Die Geschichte aber da auf der Leinwand entwickelt sich zwischen Menschen und mit deren Träumen. Das ist im Zeitalter von digitalen Superhelden- und Fantasy-Orgien im Kino allein schon besonders. Die austauschbar gewordenen Bilder des digitalen Überwältigungskinos werden wieder unterscheidbar.

Und die Regie führt eben auch einer, der früh erkannt hat, dass der Bildausschnitt der alles entscheidende Kniff fürs Kino ist.

Wertung: 6 von 8 €uro
IMDB