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Plakatmotiv: West Side Story (2021)

Spielberg überlässt sich ganz dem Rythmus
und verlässt sich auf seinen Kameramann

Titel West Side Story
(West Side Story)
Drehbuch Tony Kushner
nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Leonard Bernstein, Stephen Sondheim & Arthur Laurents
Regie Steven Spielberg, USA 2021
Darsteller

Ansel Elgort, Rachel Zegler, Ariana DeBose, David Alvarez, Rita Moreno, Brian d'Arcy James, Corey Stoll, Mike Faist, Josh Andrés Rivera, Iris Menas, David Aviles Morales, Sebastian Serra, Ricardo Zayas, Carlos E. Gonzalez, Ricky Ubeda, Andrei Chagas, Adriel Flete, Jacob Guzman u.a.

Genre Crime, Drama, Musical
Filmlänge 156 Minuten
Deutschlandstart
9. Dezember 2021
Inhalt

Im Jahr 1958 sind Teile der Upper West Side eine einzige große Baustelle. Hier soll das schicke neue Lincoln Center entstehen. Viele Menschen aus verschiedenen Nationen leben hier in den teils völlig heruntergekommenen Mietshäusern. Manche von ihnen sind Nachkommen weißer europäischer Einwanderer in der x-ten Generation, andere sind Kinder von Einwanderern der letzten Generation aus Lateinamerika, und zwischen ihnen kommt es immer wieder zu Rivalitäten.

Tony, ein junger weißer Mann, war Mitglied der Jets und ist gerade aus dem Gefängnis entlassen worden, wo er wegen Körperverletzung einsaß, was ihn jedoch davor bewahrte, tiefer in einen immer brutaler werdenden Bandenkrieg verwickelt zu werden. Nun wohnt Tony im Haus der Witwe Valentina, deren verstorbener Mann Inhaber von Doc's Drugstore war. Tony hat sich Besserung geschworen und will nie wieder in alte Verhaltensweisen zurückfallen. So befüllt er nun tagsüber die Regale für die verwitwete Drogeriebesitzerin.

Tonys bester Kumpel Riff, der Anführer der Jets, will ihn unbedingt für einen geplanten Kampf mit den puerto-ricanischen Sharks gewinnen, die in stetig wachsender Zahl ihr Territorium zu übernehmen versuchen. Diese werden von Bernardo angeführt, dem Kind puerto-ricanischer Einwanderer, der eine feurige Beziehung mit seiner Freundin Anita führt und gemeinsam mit ihr und seiner jüngeren Schwester Maria lebt, als deren Aufpasser er agiert.

Als sich Tony und Maria beim Tanzen während "The Dance at the Gym" kennenlernen, verlieben sie sich trotz all ihrer Unterschiedlichkeit ineinander und erfahren schnell, was es bedeutet, wenn man versucht, aus den etablierten sozialen Strukturen auszuscheren

Was zu sagen wäre

Es ist bemerkenswert, wie wenig sich in 60 Jahren Nachkriegsgesellschaft verändert hat. Oder anders: wie visionär "West Side Story" schon 1957, im Jahr ihres Entstehens war. Es geht um Rassismus, es geht um Gentrifizierung. Die rivalisierenden Gangs sind aus Sicht der Stadtplanung beide Fremdkörper da wo sie sind. Da wird gerade Bausubstanz abgerissen, um das Lincoln Center zu errichten, jenes Kulturzentrum, dass die meisten Menschen wegen der in ihr beheimateten Metropolitan Opera kennen. Es macht sich damals das heutige New York breit – reich, gebildet, kulturbeflissen; die Schönen, die Reichen und die ganz schön Reichen nehmen Besitz von Manhattan. Da stecken sowohl die zugewanderten, puertoricanischen Sharks als auch die sich als "einheimisch" empfundenen „Polacken“ der Jets auf dem Abschuss. Sie werden nicht gewollt. Anstatt sich zusammen zu raufen und für ein gemeinsames Ziel zu kämpfen, zergliedern sich die Gruppen der Jugendlichen. Wir gegen Die, das war immer der einfachste Weg, die Unentschlossen hinter sich zu versammeln, ohne ein konkretes Ziel auszurufen.

Nun haben wir nicht mehr 1957, das Jahr, in dem die "West Side Story" Premiere feierte, sondern 2021. Eigentlich sollte diese Neuinterpretation schon im Dezember 2020 in die Kinos kommen, aber da kam die Covid-19-Pandemie dazwischen und so ging ein leeres Jahr ins Land – Musicals gehen im Kino heute nur noch in der Weihnachtszeit, nicht im Sommer. Über die Handlung kommt der Film denn auch nicht an mich heran. Rassismus und Gentrifizierung bilden den Rahmen, haben aber keine personifizierten Akteure.

Alle Protagonisten und Antagonisten finden sich in der ursprünglich schon von William Shakespeare vorgegebenen Struktur der Capulets ("Sharks") und Montagues ("Jets"), verfeindete Clans, deren Lebensinhalt darin besteht, sich gegenseitig das Leben schwer zu machen. Shakespeares "Romeo und Julia" erzählt einen Zeitraum von fünf Tagen, "West Side Story" kommt mit drei Tagen aus. Was die Charaktere im Alltag machen, bleibt dem Zuschauer seit jeher verschlossen, sie bilden ja nur den Rahmen für die unmögliche, Grenzen überwindende Liebesgeschichte.

Über die Frage, warum Steven Spielberg uns ausgerechnet mit einem 64 Jahre alten Stoff besucht, der kaum aktualisiert immer noch im Jahr 1958 spielt, drehe ich mich im Kreis. Die Handlung spielt eine untergeordnete Rolle in diesem Projekt und Spielberg erklärt selbst in allerlei Making-Ofs, dass er Musicals immer geliebt habe und halt mit Robert Wises West Side Story (1961) groß geworden sei. Ob das stimmt, sei im professionellen Marketing-Management der Hollywoodstudios dahingestellt, aber: Dass Spielberg eine Affinität zu Musicals hat, durften wir in der Titelsequenz von Indiana Jones und der Tempel des Todes (1984) erahnen, als er Kate Capshaw als Willie Scott "Anything goes" singen ließ, bevor Diamanten und Eiswürfel einen launigen Pas de Deux eingingen. Auf eben dieser Schiene wird aus der neuen "West Side Story" ein Schuh: Steven Spielberg hatte Bock, ein Musical zu drehen – was ihm in seiner Vita ja noch fehlte.

Hier kommt Janusz Kaminski ins Spiel, seit Schindlers Liste (1993) Spielbergs Haus- und Hof-Kameramann. Kaminski macht aus dem Guckkasten-Theater, das Musicals auf der Leinwand lange waren, ein dreidimensionales Erlebnis, für das es keine 3D-Brille braucht. Jahrzehnte lang wurden Musicals beherrscht von Totalen und Close Ups, die von geschickten Schnitten zusammengehalten wurden. Jetzt steht die Kamera mitten im Tanz. Und sie tanzt auch noch mit. In aufregenden Plansequenzen lässt er die Kamera von der Musik leiten.

Der Ohrwurm, die Emazipationshymne America („I like to be in AmericaOkay by me in AmericaEverything free in AmericaFor a small fee in America“), explodiert bei Spielberg und Kaminski in einem Spektakel aus Bewegung und Farbe. Die Ermächtigungshymne "Cool" vor der finalen Prügelei gerät zu einer schwebenden Ausweicherei auf einem Abrissgelände mit lauter Kratern im Boden, die einen eleganten Hindernisparcours bilden.

"West Side Story" anno 2021 bringt in der Erzählung keinen weiteren Erkenntnisgewinn, bietet aber ein buntes, dramatisches, musikalisches, aufregendes Fest fürs Auge.

Wertung: 5 von 8 €uro
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