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Plakatmotiv: Ready Player One (2018)

Pixelgewitter-Film mit kritischen Tönen.
Liebeserklärung an die 1980er-Kultur.

Titel Ready Player One
(Ready Player One)
Drehbuch Zak Penn & Ernest Cline
nach dem gleichnamigen Roman von Ernest Cline
Regie Steven Spielberg, USA 2018
Darsteller

Tye Sheridan, Olivia Cooke, Ben Mendelsohn, Lena Waithe, T.J. Miller, Simon Pegg, Mark Rylance, Philip Zhao, Win Morisaki, Hannah John-Kamen, Ralph Ineson, Susan Lynch, Clare Higgins, Laurence Spellman, Perdita Weeks u.a.

Genre Science Fiction, Abenteuer
Filmlänge 140 Minuten
Deutschlandstart
5. April 2018
Inhalt

Im Jahr 2045 ist die Welt aufgrund einer schon viel zu lang anhaltenden wirtschaftlichen Rezession und eines massiven Ressourcenmangels ziemlich heruntergekommen. Das Leben vieler Menschen spielt sich nur noch in OASIS ab, einem grenzenlos wirkenden Multiplayer-VR-Spiel einer Online-Plattform. In dieser vom Game-Designer James Donovan Halliday erfundenen und programmierten virtuellen Welt können die Menschen dem düsteren Alltag entfliehen und Nutzer können hier fast alles tun und erleben, denn OASIS ist eine Welt, in der die Grenze der Realität die eigene Phantasie ist.

So verbringt auch der Teenager Wade Owen Watts aus Columbus in Ohio viel Zeit in der virtuellen Realität, wo er mit seinem Avatar Parzival zu verschiedenen Orten innerhalb der künstlichen Welt reist und dort eine virtuelle Schule besucht. Wade nennt seine Generation „die verlorenen Millionen“, und nur in OASIS hat er das Gefühl, dass er etwas wert ist.

Als Halliday stirbt, beginnt eine große Suche, denn der Programmierer hat in OASIS ein Easter Egg versteckt, und in seinem Video-Testament hat er verfügt, dass der Finder des Easter Eggs nicht nur sein Vermögen einer halben Billion US-Dollar, sondern auch die volle Kontrolle über OASIS erben soll. Um an das Ei zu gelangen, müssen die Spieler drei Schlüssel finden, die Halliday an verschiedenen Orten in der OASIS versteckt hat.

Wade wird zum Eijäger, einem der Gunters, und schlägt sich bei der Suche nach dem versteckten Objekt gut, und sein Wissen über Halliday ist dabei sein wichtigstes Kapital. In der virtuellen Welt ist er unter dem Namen Parzival bekannt. Auch Nolan Sorrento, Chef von Innovative Online Industries, will OASIS unbedingt erben und versucht die Kontrolle über das Spiel zu erlangen. Sorrento ist allerdings weniger idealistisch als Halliday, denn er will aus dem Spiel Profit schlagen. Daher hat er eine Armee von Drohnen, die die Avatare steuern, auf die Suche angesetzt und schreckt auch nicht davor zurück, seine Konkurrenten im realen Leben zu jagen und zu bedrohen …

Was zu sagen wäre

Steven Spielberg ist ein Romantiker, der keine Liebesgeschichten erzählen kann. Als er's mal versucht hat, kam dabei Always – Der Feuengel von Montana (1989) heraus, ein Film, der in die Annalen des Kinos einging, weil es der letzte Film mit Audrey Hepburn war (Charade – 1963; Frühstück bei Tiffany – 1961; Denen man nicht vergibt – 1960; Geschichte einer Nonne – 1959), sonst aber in den Annalen des Kinos nichts zu suchen hat; es war bombastischer Kitsch mit Kirschsoße. Spielbergs Romantik gehört dem Kino. Seine Figuren haben Emotionen, wie sie James Stewart unter Frank Capras Regie spielte, nicht wie sie Menschen haben, die seine Filme gucken. Spielbergs Helden führen Ehen mit einem Best Buddy statt mit einer Geliebten – so wie Tom Hanks zuletzt in Die Verlegerin (2017). Oder sie kommen gerade erst in die Pubertät, wo man alles für Liebe hält, was den Herzschlag erhöht – was dann manchmal auch eine Spielekonsole sein kann. Die Eltern sind meistens geschieden oder tot.

So wie der Clown im Zirkus seine Komik aus dem Schmerz schöpft, schöpft Spielberg Emotionen aus dem Schmerz des Verlustes, den seine Figuren wettmachen wollen. Die Menschen in seinen Filmen sind dabei so echt, wie die in den Abenteuerfilmen, die er in seiner Pubertät im Kino gesehen hat – John Fords WesternAlfred Hitchcocks Thriller. Spielberg verfilmt nicht Real Life. Spielberg verfilmt die Träume, die er früher im Kino erlebte und dabei genau aufgepasst hat, wie man das mit Kamera und Bildschnitt umsetzt.

Heute gibt es zwei Spielbergs. Der eine dreht immer Filme, die seinem Alter entsprechen – in seinen jungen Jahren waren das Abenteuer um fressfreudige Fische, erhabene Aliens, abenteuerlustige Archäologen; nach dem Scheitern seiner Ehe mit Amy Irving (Carrie – 1976) kamen Always und Hook, dieser Film über den alt, dick und langweilig gewordenen Peter Pan, den Jungen, der eigentlich nie erwachsen werden wollte.

Etwa zu dieser Zeit entstand der zweite Spielberg; der, der das Pixel-Kino erfand und damit Dinosaurier zum Laufen brachte, mit deren Geld der erste Spielberg, mittlerweile den Kinderschuhen entwachsen, seine Großkaliber Schindlers ListeAmistad – Das Sklavenschiff oder Der Soldat James Ryan drehte. Heute dreht der über 70-jährige Spielberg Lincoln oder Die Verlegerin, der andere die Filme für seine fünf Kinder – da gab es 2011 Tim & Struppi für die kleinen Söhne und die Pferdeoper Gefährten für die Töchter, fünf Jahre später das Roald-Dahl-Märchen BFG – Big Friendly Giant und heute eben – Spielbergs Kinder haben die ersten Altersbeschränkungen überschritten – "Ready Player One", eine abgewandelte König-Artus-Legende, in der ein Teenager mit einem Avatar namens Parzival nach dem Heiligen Grad sucht, der hier Easter Egg heißt.

Plakatmotiv: Ready Player One (2018)Der Film hält nicht, was der Trailer versprach, nämlich eines dieser nichtssagenden Pixelgewitter zu werden, in denen längst nicht mehr einzelne CGI-Dinosaurier durch verregnete, nächtliche Kuliseen stampfen, sondern in denen alles CGI ist und die Schauspieler vor Green Screen rumfuchteln, also im Grunde machen, was die Menschen in diesem Film hier machen. Sie stehen irgendwo, haben eine VR-Brille auf und fuchteln herum. Erst, wenn auch wir in diese Brille hinein schauen, wenn in das Green die Action gepixelt wurde, bekommt das Gefuchtel einen Sinn.

OASIS, die Spielewelt, wird beworben mit dem Satz „Hier setzt Dir nur Deine Fantasie Grenzen“. Weil das mittlerweile auch für die Visuellen Effekte des Kinos gilt, scheitern die meisten Filme an ihrer Beliebigkeit; die meisten Pixelgewitterfilme sind austauschbare Konfektionsware von der Stange, deren Regisseure kaum jemand auswendig nennen kann. Seit Filmemacher nicht mehr komplexe Kamerafahrten planen müssen, nicht mehr Szenen mit Vordergund und komplexem Hintergrundgeschehen in einer Einstellung kombinieren müssen, seit sie, was beim Dreh nicht passte, am Computer passend machen können, seit Regie also weniger Handwerk, aber mehr Fantasie verlangt, wird klar, wie eng die Grenzen der Fantasie vieler dieser Pixelgewitter-Regisseure sind.

Spielbergs Pixelgewitter hingegen ist unterhaltsames Popcornkino mit ethnisch ausgewogenen Helden – weiß, afroamerikanisch, asiatisch – eine Art Goonies des 21. Jahrhunderts. Spielbergs neuer Held, Wade – Eltern tot, lebt bei einer Tante, die sich mit wechselnden Liebhabern schlägt – verliebt sich. In der künstlichen Welt. In Art3mis, einen Avatar. Freundlich gesinnt könnte man sagen, er verliebt sich gleich in die Inneren Werte seines Gegenübers, deren reales Äußeres er nicht kennt – nicht mal, ob sich nicht vielleicht ein alter Mann hinter der jungen, poppig friesierten Motorrad-Rennerin Art3mis verbirgt. Aber tatsächlich verliebt er sich in die großen Augen und das burschikose Kumpelgehabe des Avatars. Spielbergs Romantik ist die des Kinos, nicht des realen Lebens. Und damit ist er seinem heutigen Publikum sehr nahe.

Die reale Welt, die der Film beschreibt, ist eine nahe, dystopische Zukunft mit wenigen reichen Menschen und vielen armen, die in Trailerparks leben – die Stacks heißen (Stapel), weil die Trailer hoch übereinander gestapelt sind; Wade muss sich aus dem seiner Tante jeden Morgen mühevoll abseilen und klettern, bis er endlich am Boden steht. Spielberg eröffnet mit dieser Szene seinen Film und wenn Wade klettert, sehen wir in den anderen Trailern, über die er nach unten gelangt, lauter Leute mit VR-Brillen, alte, junge, Frauen, Männer, dicke, dünne, die tanzen, sich prügeln oder Klavier spielen. Damit ist über diese Gesellschaft der Zukunft schon nahezu alles gesagt: Brot und Spiele – „Wir haben aufgehört, Probleme zu lösen. Heute laufen wir vor ihnen davon“, sagt Wade und flüchtet, wie alle anderen, in die irreale Welt der OASIS, die in der Romanvorlage auch noch eine Alternative zum heruntergekommenen Schulsystem bietet.

In der Kino-OASIS spielt das keine Rolle mehr. Sobald die VR-Brille sitzt, explodieren die Bilder. Da prügelt sich Mecha-Godzilla mit dem Gigant aus dem All, liefern sich die Leucht-Motorräder aus Tron ein Rennen mit Marty McFlys DeLorean, sind King Kong und Godzilla die härtesten Endgegner, an denen die Schlüsseljäger immer scheitern – bis Wade die richtige Idee hat; und als die Lösung funktioniert und er den ersten Schlüssel erhält, da ist das im Kinosessel so befriedigend, wie wenn man selbst an der Konsole gerade als Jedi-Ritter endlich das nächste Level erreicht hat. Eine wunderschöne, visuell tatsächlich in den Sitz drückende Hommage hat Spielberg hier – abseits der Romanvorlage – dem Film The Shining von Stanley Kubrick aus dem Jahr 1980 gewidmet. Da wandern seine Protagonisten durch das Overlook-Hotel mit seinen langen Gängen, dem schrillen Teppich ins Zimmer 237 mit der Frau in der Badewanne, die in den liebenden Armen verfault, mit den gruseligen Mädchen und dem blutenden Fahrstuhl – und Du sitzt im Kinosessel und, nun ja, traust Deinen Augen nicht: Es ist nahezu nur neu gedrehtes Material, sieht aber aus, wie 1980 schon mitgedreht. Diese wenigen Minuten mit dem Film seines verstorbenen Freundes Stanley Kubrick sind purer Spielberg-Eskapismus und heimlicher Star des aktuellen Films.

Alles in der OASIS unterliegt den Regeln der Gamerwelt. Wenn Du ausgeschaltet wirst, musst Du bei Null wieder anfangen. Die OASIS hat auch ein paralleles Währungs- und Wirtschaftssystem, wo sich die Spieler in den unterschiedlichsten Spielen Münzen erkämpfen können, mit denen sie ihre Ausrüstung wieder verbessern; man kann auch echtes Geld einsetzen, um seine Ausrüstung und Kampfkraft schneller zu stärken. Die Gamer im Kinosessel kennen das alles. Mancher verzockt in der OASIS seine letzten Ersparnisse.

In solchen Momenten nimmt sich Spielberg die Zeit, auch einen kritischen Blick auf sein Sujet zu werfen, das vielen Pixelgewitter-Filmen fehlt. Das Suchtverhalten mancher Gamer wird ebenso angesprochen wie das sich Ausgrenzen aus der realen Umgebung. Der OASIS-Erfinder Halliday, ein sanftmütiger Zottel-Nerd, den Mark Rylance spielt (Dunkirk – 2017; BFG – Big Friendly Giant – 2016; Bridge of Spies – Der Unterhändler – 2015; Anonymus – 2011; Die Schwester der Königin – 2008), sagt, gelangweilt von seiner Erfindung, er habe irgendwann gelernt, dass „nur die Realität real ist“ und alles andere, so schön es auch wirke, nicht einmal satt mache. Dieser Halliday wird als ein freundlicher älterer Herr gezeichnet, der schockiert ist über jedes Böse, über die geldgeilheit anderer Leute, die seine OASIS mit Werbung vollpflastern wollen.

Dass Halliday selbst milliardenschwerer Stockholder seiner OASIS ist, also ein Kapitalist, und auf dem Weg dahin selbst für diverse – im harten Geschäftsleben nicht zu verhindernde – Grausamkeiten verantwortlich zeichnen muss, erzählt der Film eher en passant. Halliday ist eher als der gute Milliardär von nebenan geformt, der den alten Silicon-Valley-Traum, die Welt ein Stückchen besser machen zu wollen, lebt. Das ist ein bisschen verlogen angesichts von Datenskandalen real existierender Silicon-Valley-Milliardäre, die sich die Datenwelt der Menschen mit charmantem Lächeln in Jeans und Sweatshirt untertan machen. Nun will Spielberg keine dystopische Zukunftsvision einer facebook-Google-Apple-Welt erzählen, sondern ein Abenteuer für Kinder und Jugendliche, das sich an der Kinokasse und als Game auf der heimischen Spielekonsole amortisieren soll. Im Alter der Zielgruppe geht es noch nicht um Geld, sondern um diese verflixten Gefühle, die man noch nicht trittsicher beherrscht. Und hier ist dann Spielbergs Film ganz bei seinem Regisseur.

Statt den auf den Milliardär aus dem Silicon Valley erlaubt der Erfinder Halliday ja auch den Rückschluss auf Steven Spielberg selbt – ebenfalls schwer reich und mit dem Image des kreativen, gütigen Onkels behaftet, der Gefühle perfekt im künstlichen Leben auf der Leinwand verführt. Das Geheimnis der künstlichen Spielewelt OASIS offenbart sich in einer geplatzten Romanze des schüchternen Halliday, der sich in der realen Welt nicht getraut hat, seine heimiche Liebe zu fragen „Willst Du tanzen?“ und statt dessen lieber seine künstliche Welt perfektioniert hat. Solche Gefühle kennt jeder, der mal zwischen 10 und 20 Jahre alt war.

Eine vielsagende Beobachtung liefert OASIS in ihrem Design, das James Donovan Halliday, großer Fan der 80er Jahre, schon in der Romanvorlage, die 2010 erschien, nach Filmen und Spielen aus dieser Zeit gestaltet hat. Das ist interessant: 1993 startete Steven Spielberg mit Jurassic Park die Zeitrechnung der Pixelgewitter-Filme, kurz nach Ende der 80er Jahre. Wenn der Kanon der Popkultur in dieser Popkultur mit den 80ern endet, sagt das also, dass mit dem Zeitalter der Pixel die Bilder zwar spektakulärer wurden, die Musik aufwändiger, die Games entfesseltere, grenzenlose Welten erlauben – die inhaltlich aber leer bleiben.

Ist es nicht bezeichnend, dass sich in Spielbergs visuell aufwändigem Abenteuerfilm der letzte Schlüssel hinter einem Computerspiel für die alten Commodore-Computer aus der 8-Bit-Ära verbirgt?

Spielbergs Kinder werden ihre helle Freude an Papas neuem Film haben.

Wertung: 4 von 8 €uro
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