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Plakatmotiv: Die Jury (1996)

Ein komplexes Selbstjustizdrama
packend erzählt und gespielt

Titel Die Jury
(A Time to Kill)
Drehbuch Akiva Goldsman
nach dem gleichnamigen Roman von John Grisham
Regie Joel Schumacher, USA 1996
Darsteller

Sandra Bullock, Samuel L. Jackson, Matthew McConaughey, Kevin Spacey, Brenda Fricker, Oliver Platt, Charles S. Dutton, Ashley Judd, Patrick McGoohan, Donald Sutherland, Kiefer Sutherland, Tonea Stewart, Rae'Ven Larrymore, Darrin Mitchell, LaConte McGrew u.a.

Genre Drama
Filmlänge 149 Minuten
Deutschlandstart
7. November 1996
Inhalt

Im tiefsten Süden der USA vergewaltigen zwei rassistische Rednecks ein 10-jähriges schwarzes Mädchen. Die Männer sollen vor Gericht gestellt werden. Auf dem Weg dorthin werden sie vom Vater der Kleinen, dem farbigen Arbeiter Hailey, erschossen. Bei der Schießerei trifft Hailey auch den bewachenden Polizisten Dwayne Powell Looney am Bein, das daraufhin amputiert werden muss.

Carl Lee Hailey wird des Mordes an den beiden Männern angeklagt, im schlimmsten Fall droht ihm die Todesstrafe.

Der junge Anwalt Brigance übernimmt die Verteidigung Haileys. Brigance sticht damit in ein Wespennest und gerät zwischen die Fronten mächtiger Interessengruppierungen: hier der Ku Klux Klan, da die "Aktion gegen Rassismus" …

Was zu sagen wäre

Das Schlussplädoyer des Verteidigers macht den Unterschied, öffnet auch im Kinosessel den Blick. Oh, es fängt an, wie solche Plädoyers der Verteidigung in solchen Justizdramen immer anfangen: Es geht um Wahrheit, um die Definition von Gerechtigkeit. Solche Sachen. Dann hält er inne, atmet durch, setzt neu an.

Ein 10-jähriges Mädchen, eine Schwarze, ist vergewaltigt worden, brutal misshandelt. Von zwei angetrunkenen Mittzwanzigern, zwei Weißen. Der Vater des Mädchens erschießt die beiden Vergewaltiger auf der Treppe im Justizpalast. Er sieht sich im Recht. Er plädiert auf nicht schuldig.

John Grisham, Bestseller-Lieferant auf dem Buchmarkt, ist beliebt bei Hollywoods Studiobossen: Nach Der Klient (1994), Die Firma (1993) und Die Akte (1993) ist "Die Jury" die vierte Verfilmung eines Grisham-Romans. Joel Schumacher (Batman Forever – 1995; Falling Down – 1993; Flatliners – 1991; The Lost Boys – 1987; St. Elmo's Fire – 1985), der gerade erst Der Klient vorgelegt hatte, ist damit die (bisher) beste Grisham-Adaption gelungen. Es geht um Selbstjustiz. In einem Rechtsstaat, der, das wissen wir aufgeklärten Bürger im Kinosessel, nicht immer so farbenblind ist, wie er sein sollte – sicher ist er das nicht in Mississippi im Süden der USA. Aber dennoch ist Selbstjustiz ein No Go. Was wären das für Zustände, wenn jeder sein eigenes Gesetz machen würde?

Auch wenn im Jahr zuvor, wie es im Film heißt, weiße Vergewaltiger eines schwarzen Mädchens freigesprochen worden sind?

Der Film macht es den Zuschauern schwer, vorbehaltlos zu den Prinzipien des Rechtsstaates zu stehen, wenn sie nach zehn Filmminuten erleben, was dem kleinen Mädchen passiert. Der verzweifelte Vater, Carl Lee, wird eingesperrt und wegen zweifachen Mordes angeklagt. Als Schwarzer, der es wagt, im amerikanischen Süden Lynchjustiz an den weißen Peinigern seiner Tochter zu üben, erwartet ihn das Todesurteil. Carl Lee engagiert einen talentierten, aber unerfahren – weißen – Anwalt. Und bald ist in dem kleinen Städtchen im Süden der USA der Teufel los.

Der Ku Klux Clan steigt aus der Versenkung wieder auf und lässt Kreuze in Vorgärten brennen. Bürgerrechtler recken die Fäuste, die Gesellschaft zur Gleichstellung von Schwarzen reist an sowie der Staatsanwalt, der gerne Gouverneur werden will und in diesem Fall seine große Chance sieht. Und alle sind dauernd umgeben von einem Pulk aus Reportern und Kameraleuten – für einige der Angereisten der Grund, überhaupt angereist zu sein: „Der Kampf der Schwarzen geht heute weiter, hier in Canton“, freut sich der Vorsitzende der Gleichstellungs-Gesellschaft und bittet um reichlich Spenden in den kirchlichen Klingelbeutel der Gemeinde, weil die Verteidigung durch einen renommierten Anwalt ja teuer ist. Jake Brigance, der talentierte, aber unerfahrene – weiße – Anwalt, arbeitet auch nicht umsonst. Es sind Rechnungen zu bezahlen, eine Familie zu ernähren. Er braucht Geld, dringend sogar, „weil ich leben muss“. Aber er begnügt sich vorläufig mit 900 Dollar Anzahlung, weil Carl Lee, „Ja, ich muss auch leben“, gerade nicht mehr aufbringen kann; seine Familie braucht Unterstützung, die er hinter Gittern nicht bieten kann, seinen Job im Sägewerk hat er nach zehn Jahren natürlich sofort verloren. Beide müssen leben. Der Weiße und der Schwarze. Die eine Seite und die andere Seite, die aber letztlich dieselbe Münze sind.

Joel Schumacher und sein Autor Akiva Goldsman (Batman Forever – 1995) achten peinlich darauf, dass sensible, gute, freundliche, reflektierte Menschen sowohl unter Schwarzen wie unter Weißen im film vertreten sind, ebenso wie Arschlöcher und Hassprediger auf beiden Seiten auftauchen. Die Gleichheit der Menschen zieht sich als Thema unterschwellig durch den Film, in dem an der Oberfläche Menschen ermordet werden, Häuser brennen und Frauen misshandelt werden. In dem Schuldige gesucht, Freundschaften beendet und neue geknüpft werden. Zum Beispiel zwischen Jake und der Jurastudentin Ellen Roark aus reichem Ostküsten-Haus, die ihre Recherchekünste und ihre clevere Schnüffelnase kostenfrei zur Verfügung stellt.

Ellen Roark liefert wichtige Unterlagen und hat ein enzyklopädisches Gedächtnis über wichtige Urteile in früheren Verfahren. Aber schon im Buch ist ihre Rolle vor allem dafür da, dem verheirateten Helden ein romantisches Problem an den Hals zu hängen. Jake ist ja eigentlich glücklich verheiratet. Nur hat seine Frau mit der gemeinsamen Tochter, die im Alter des vergewaltigten Mädchens ist, die Stadt aus Sicherheitserwägungen verlassen. Gespielt wird sie von Ashley Judd (Heat – 1995) als zärtlich lächelnde Blonde, Typ ehemalige Cheerleaderin, die zu fauchenden Katze wird, wenn die Sicherheit ihrer Familie in Gefahr ist. Ashley Judds Auftritt ist, obwohl er nicht sehr lang ist, immer sehr präsent, wenn Jake mit der Jura-Studentin flirtet, die vom neuen Superstar in Hollywoods Himmel, Sandra Bullock mit schwer zu widerstehendem Charme, gespielt wird (Das Netz – 1995; Während du schliefst – 1995; Speed – 1994; Demolition Man – 1993). Die beiden Frauen hat Joel Schumacher gut gecastet.

Grisham hat gesagt, "Die Jury" sei sein persönlichster Roman. Und weil er bei Akiva Goldsmans Drehbuch und beim Dreh Mitspracherecht hatte, ist seine message auch überreif in den Film mit eingeflossen. In der Tat ist es „verstörend“, wie Kritiker sagten, dass der Film Selbstjustiz befürwortet. Aber darum geht es ja in der Kunst: den Menschen mit sich selbst und seinen Vorurteilen zu konfrontieren.

Diese sehr komplexe Geschichte hätte genau so gut scheitern können; bei dem Stoff liegen Ergriffen und Verpeilen nah beieinander. Die Schauspieler verhindern das. Matthew McConaughey als engagiertes juristisches Talent mit Dickkopf ist die größte Überraschung; ihn habe ich noch als SixPack-Modeltyp, Marke Sexiest man alive, im Kopf ("Kaffee, Milch & Zucker" – 1995; "Texas Chainsaw Massacre: Die Rückkehr" – 1994; "Angels – Engel gibt es wirklich" – 1994). McConaughey ist mehr, präsent, leidenschaftlich, am Ende beeindruckend. Samuel L. Jackson (Stirb langsam – Jetzt erst recht – 1995; Pulp Fiction – 1994) als angeklagter Vater, der seinen eigenen, umgedrehten Rassismusm lebt, Kevin Spacey, der gerade einen Lauf mit seinen Filmen hat (Sieben – 1995; Outbreak – 1995; Die üblichen Verdächtigen – 1995; Glengarry Glen Ross – 1992), als stahlkalter Staatsanwalt, und Kiefer Sutherland (Machen wir's wie Cowboys – 1994; Die drei Musketiere – 1993; "Spurlos" – 1993; Eine Frage der Ehre – 1992; Flatliners – 1990; Young Guns – 1988; Die grellen Lichter der Großstadt – 1988; The Lost Boys – 1987; Stand by Me – 1986) als beinharter Redneck-Killer auf Rachefeldzug. Eine charmante Idee, seinen Vater Donald als liberalen Freund und Förderer des Verteidigers auftreten zu lassen (Donald und Kiefer haben aber keine gemeinsamen Szenen).

Nachdem der Verteidiger in seinem Plädoyer durchgeatmet  hat, setzt er neu an und erzählt eine Geschichte, die schon deshalb, weil sie nur aus gesprochenen Worten besteht, ohne Bilder, die unsere Imagination nur trüben würden, noch grausamer ist, als jene, die wir zu Beginn erleben mussten. Jetzt fasst Matthew McConaughey in Großaufnahme zusammen, was der Film uns die ganze Zeit schon mitteilt, ohne dass wir das vor lauter Feuerzauber immer gleich erkannt haben; in einem bewegenden Plädoyer, das dann ohne Worthülsen wie Wahrheit oder Gerechtigkeit auskommt, aber die in Generationen eingebrannten Perspektiven vom Sockel rammt.

Wertung: 10 von 11 D-Mark
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