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Plakatmotiv: Speed (1994)

Drei Filme in einem
Eine Wucht an Film

Titel Speed
(Speed)
Drehbuch Graham Yost
Regie Jan de Bont, USA 1994
Darsteller

Keanu Reeves, Dennis Hopper, Sandra Bullock, Joe Morton, Jeff Daniels, Alan Ruck, Glenn Plummer u.a.

Genre Action
Filmlänge 116 Minuten
Deutschlandstart
20. Oktober 1994
Inhalt

Ex-Bulle Payne hat eine böse Bombe platziert: Im Getriebe von Linienbus 2525. Fährt der Bus über 50 mph, schaltet sich die Bombe scharf, wird der Bus dann wieder langsamer als 50 mph, geht die Bombe hoch. Jack Traven, Cop der Anti-Terror-Einheit in Los Angeles, kann auf Bus 2525 aufspringen. Aber auch er kann den Verkehr nicht wegzaubern und in L.A. ist Rush Hour.

Bombenleger Payne will nicht nur ein paar Millionen Dollar sondern auch ein persönliches Hühnchen mit Jack Traven rupfen.

An Bord des Busses ist unterdessen der Busfahrer ausgefallen und die junge Annie hat sich ans Steuer gesetzt. Sie hat gerade keinen Führerschein. Den musste sie abgeben: „Ich bin zu schnell gefahren!” …

Was zu sagen wäre

Ein Auto spring von oben ins Bild. Das erste, was wir von Keanu Reeves sehen, ist dass er waghalsiger Autofahrer ist, wenn er zum Einsatz fährt. Er rast über eine Straßenkuppe und als wir sein auto sehen, von hinten, ist es quasi über die Kuppe, über die Kamera gesprungen. So inszeniert Regiedebütant Jan de Bont Rasanz.

Ein Film wie "Speed" entsteht am Schreibtisch, ist ein Konzeptfilm. Kein Was möchte uns der Autor sagen? Das Konzept lautet Spannungskino: Tempo, Adrenalin, Menschen in Spektakeln. Dazu gehört, dass man nicht einfach eine schnelle Schnittfolge inszeniert. Da muss der Wechsel zwischen ruhiger Kamera mit rasantem Bildinhalt – rasender Bus, abstürzender Fahrstuhl, Prügelei auf dem Dach einer fahrenden U-Bahn – und schnell geschnittenen Einstellungen desselben Bildinhaltes – Bombenzünder recherchieren, Kommandos bellen mit krachender lautstarke und leisem Laut Denken in einen Rhythmus komponiert werden. Da muss jede Abteilung – Ausstattung, Maske, Schauspiel, Kamera, Drehbuch, Kostüm, Pyro, Stunt, Schneideraum – ihr Handwerk beherrschen. Und die Regie muss alles fest im Auge behalten. Jan de Bont führt Regie, zum ersten Mal. Der Niederländer ist bisher als Kameramann aufgefallen und hat bei einschlägigen Produktionen offenbar viel gelernt (Basic Instinct – 1992; Jagd auf Roter Oktober – 1990; Black Rain – 1989; Stirb Langsam – 1988; Cujo – 1983).

De Bont, der Kameramann, hat ein paar knackige Einstellungs-Ideen. Er hängt zum Beispiel eine Kamera unter einen fliegenden Hubschrauber und lässt dann den Bus unter diesem Hubschrauber durch preschen, links und rechts flankiert von LalüLala-Polizeiwagen. Dieses Methode erzeugt einen unwiderstehlichen Sog: Die Kamera rast vorwärts, der Bus und die Polizeiwagen rasen schneller vorwärts und das dauert nur knapp eine Sekunde, ist aber Teil der Kunst, einen Film auf höchste Oktanzahl zu drehen. Dass der Film mehr ist, als hart geschnittener, fröhlich durchwitzelter Actionbrei liegt an Schauspielern, die auch in kürzesten Sequenzen um die Kraft des mimischen Augenblicks wissen und am Gespür für den Moment, in dem eine nur für wenige Frames lang eingeschnittene Einstellung den Unterschied zwischen Brei und Mitfiebern ausmacht.

In "Speed" ist ein Kinderwagen Auslöser für eine Au-Weia-in-den-Sessel-rutsch-Szene. Der Bus rast durch die halb vollen Straßen. Zwei Frauen, die eine mit Kinderwagen, verabschieden sich mit Küsschen voneinander. Per Funk versuchen Traven und Polizei-Capt. McMahon im Hubschrauber für Annie am Steuer des Busses eine freie Schneise zu schlagen. Gerade hat man einen Highway gefunden, der „nicht in Betrieb ist“, auf den der Bus gesteuert werden soll. Die Frau mit dem Kinderwagen will die Straße überqueren. Der Bus rast vorbei. Der Kinderwagen schleudert durch die Luft. Annie reist entsetzt die Hände vor den Mund „O mein Gott!!“ Und lässt das Steuer des Busses los. Zwischenschnitt. Traven greift ins Steuer, hält den Bus in der Spur. Sieht im Rückspiegel: Im Kinderwagen waren nur Dosen. „Nur Dosen!!“ schreit er Annie ins Gesicht, die sich langsam wieder fasst. Travens Griff ins Steuer erdet den Moment; die Kinoaction hätte auch ohne sie funktioniert. Aber mit dem kurzen Griff-ins-Steuer-Zwischenschnitt bekommt die Szene eine für die Handlung wichtige menschliche Qualität. Weil es eben in dieser auf Action ausgelegten Irrwitz-Story um Menschen geht. Die Szene betont die dauernde Gefahr der trotzdem notwendigen hohen Geschwindigkeit, charakterisiert Annie am Steuer, die eigentlich nur zur Arbeit wollte und jetzt … ein Kind totgefahren hat?? … als entschlossene Figur, und Traven als Cop der auch im heißesten Gefecht kühlen Kopf bewahrt. Hier erkennt man den gut organisierten Filmemacher, das vernünftig durchgeplante Shooting Script. Und den Autor, der sein Drehbuch klug aufeinander aufbaut. In Szenen wie diesen unterstreicht Jan de Bont, dass sein "Speed" immer noch ein Actionfilm ist. Und ein psychologisches Drama, das sich ohne viele Worte erzählt.

Für eine Charakterzeichnung ist in einem solchen Film so gut wie kein Platz, die muss mit solchen kurzen Zwischenschnitten gelingen: Keanu Reeves ("Little Buddha" – 1993; "Cowgirl Blues" – 1993; Viel Lärm um nichts – 1993; Bram Stokers Dracula – 1992; Gefährliche Brandung – 1991; Gefährliche Liebschaften – 1988) ist der professionelle, immer kühlen Kopf bewahrender Polizist Traven, der auch im größten durcheinander die junge unerfahrene Frau am Steuer höflich mit „Ma'am“ anspricht. Da ist Annie, etwas schusselig organisiert, was man erfährt, wenn sie gleich zu Beginn wieder mal den Bus verpasst, der Fahrer nochmal anhält und alle Buspassagiere sie fröhlich begrüßen. Dass sie aber grundsätzlich ihre fünf Sinne beisammen hat, zeigt sich in einer weiteren kurze Szene. Während Officer Traven die Bombe unter dem rasenden Bus untersucht, rast Fahrerin Annie auf einen Stau zu. Sie will Traven fragen, was sie tun soll. Aber der winkt – jaja, gleich – ab. Annie: „Officer …? OFFICER ..!?“ Weil Traven weiter nicht reagiert, greift Annie zum Fahrermikrofon für die Stationsdurchsagen: „OFFICER!?!?!“ Jetzt hat sie seine Aufmerksamkeit. Heißt: Annie weiß sich zu helfen. Den beiden entgegen steht Howard Payne, der skrupellose Bombenbauer, den Dennis Hopper als Mann spielt, der einem Nine-to-Five-Job nachgeht, was er in zwei Momenten zementiert, als er ungerührt Leute niederschießt. Eine gute Performance liefert auch Jeff Daniels in einer für seine Prominenz überraschend kleinen Rolle ("Ein Mädchen namens Dinky" – 1990; "Arachnophobia" – 1990; "Das Haus in der Carroll Street" – 1987; Gefährliche Freundin – 1986). Er ist Travens Partner Harry, hinter dessen traurigen Dackelaugen, den Widerworten und unbedingten Loyalität sich Scharfsinn verbirgt: „Ein Bombenleger ist in eine Bombe verliebt und dann sehr monogam. Der Kerl verwendet C4, Dynamit, verschiedene Zünder und jetzt auch noch diese blöde Armbanduhr.“ „Er ist ein wandelndes Bombenlexikon. Er kennt sie alle.“ „Und er weiß, was wir tun, um sie zu entschärfen. … Moment! Ich möchte mir gerne mal die Akten der letzten zehn Jahre angucken.“ „Das bringt nichts, Wir sind alle Dateien durchgegangen.“ „Nein! Ich meine die Dateien der Polizisten.“ Wenn der Film eine Pause in seiner Action einlegt, dann ist Jeff Daniels mit Teamwork zur Stelle um eine Kollegialität zu zeigen, die wir außerhalb unseres Kinosessels im Büro, an der Supermarktkasse, in der Werkhalle häufig schmerzlich vermissen. Der Puls bleibt dadurch auch in diesen Szenen hoch. Ein intelligent getimtes Drehbuch.

Ein anderes Beispiel dafür, wie Yost und de Bont an die Geschichte herangehen: Da geht es um einen Alles-oder-Nichts-Moment, um die Frage, ob Leben oder Tod die Folge sein wird; eine Szene, die bei genauer Betrachtung in der Kneipe anschließend zwar Quatsch ist, aber im Film an dieser Stelle gut funktioniert: Der Bus muss eine 15 Meter große Lücke in der Farbahndecke überwinden. Da denkt Autor Yost nicht nur daran, dass er Cop Traven vor vielen Drehbuchseiten mal einen panisch um sich schießenden Buspassagier an eine Haltestange ketten ließ und ihn den Mann nun von den Handschellen befreit – Menschlichkeit in der ununterbrochenen Action. De Bont inszeniert die Reise des Busses ins Ungewisse der 15 Meter auch mit großem Abschiedspathos. Plakatmotiv: Speed (mit Sandra Bullock im Motiv) Alle Begleitfahrzeuge des rasenden Busses, die Polizeimotorräder, der parallel fahrende Tieflader mit dem S.W.A.T.-Team auf der Ladefläche, die "To protect and to serve"-Polizeiautos fahren zur Seite, bleiben unter anschwellenden Posaunenklängen zurück, blicken dem rasenden Bus hinterher, wie er auf das Loch zu rast. Der große Herzzerreiß-Moment dieses auf Tempo fixierten Films, der eben auch die emotionalen Zwischentöne beherrscht. Geschenkt, wie Annie, Traven, der Bus und die Insassen das dann schaffen, das ist dann wieder die Freiheit des Kinos, in der Realität immer nur eine von mehreren Optionen ist.

Das Tempo ist hier selbst dann hoch, wenn mal ein paar Momente nichts kaputt geht, denn dann brüllen Polizisten Kommandos oder jagt de Bonts Cutter den Bildwechsel von lauten Bildern zu leisen Bildern, von schnellen Bildern zu langsamen Bildern und dann fragt Keanu Reeves den Besitzer des Jaguar Cabrios, das er gerade konfisziert hat, um auf Höhe des Busses zu bleiben, den verzweifelten Besitzer auf dem Beifahrersitz „Sind Sie versichert?“ Und als der bejaht, reist Reeves die Fahrertür des Cabrios auf, bremst scharf, lässt sich vom vorbeifahrenden Bombenbus die Tür abreißen und in die Verzweiflungs-Empörung des Mannes hinein greift Reeves zu dessen Handy und sagt höflich „Sir, das Handy brauch ich leider.“ „Klar“, winkt der Mann ab, „es gehört Ihnen.“ Dann lässt Traven das Steuer los und sagt: „Fahren Sie weiter!“ „Was haben Sie … was … Sie … oh … Shit!“ Und dann wechselt der L.A.-Cop bei einer Geschwindigkeit von etwa 60 Meilen aus dem Jaguar in den fahrenden Bus.

Ex-Kameramann de Bont baut Bilder mit großer Brennweite ein, Unschärfen, bewusste Detailaufnahmen, Close Ups von Gesichtern. Dann rast der Bus quer über die Cinemascope-Leinwand, während eine 747 startet und quasi – durch die Brennweite – über den Buss drüber stolpert.

Graham Yost und Jan de Bont bauen drei Actiongeschichten in einen. Film, denn als wie Keanu Reeves kennenlernen, da müssen er und sein Partner erst einmal Leute aus einem sabotierten Fahrstuhl retten. Anschließend gibt es den Der-Bus-darf-nicht-langsamer-als-50-mph-werden-Thriller und schließlich gibt es noch einen Actionfilm über die Killerhatz durch L.A.'s U-Bahnsystem.

Mit seiner Erfahrung im Rücken wusste Jan de Bont offensichtlich, auf was es ankommt. Sandra Bullock (Demolition Man – 1993; "Spurlos" – 1993) ist eine fantastische, panische, furchtlose Busfahrerin Annie, die gerade ihren Führerschein quitt ist, weil sie zu schnell gefahren ist. Für sie wurde dieser Film zum Sprungbrett ihrer Karriere – als "Speed" in die Kinos kam, stand sie nach Keanu Reeves und New-Hollywood-Ikone Dennis Hopper (True Romance – 1993; "Red Rock West" – 1993; Jack, der Aufreißer – 1987; Blue Velvet – 1986; Das Osterman-Weekend – 1983; Rumble Fish – 1983; Apocalypse Now – 1979; Der amerikanische Freund – 1977; Easy Rider – 1969; Hängt ihn höher – 1968; Der Unbeugsame – 1967; Die vier Söhne der Katie Elder – 1965; Giganten – 1956; … denn sie wissen nicht, was sie tun – 1955) erst an dritter Stelle auf dem Plakat und ins Bildmotiv des Plakats wurde sie erst (siehe rechts) eingebaut zu einer der Wiederaufführungen).

Graham Yost wurde von dem Film "Express in die Hölle – Runaway Train" (1985) inspiriert. Eine ähnliche Handlung hatte bereits auch der japanische Film "Panik im Tokio-Express" (1973).

"Speed" wurde einer der erfolgreichsten Filme des Jahres, dessen Fortsetzung Speed 2: Cruise Control nur einen müden Abklatsch des Erfolgkonzeptes bot.

Wertung: 10 von 10 D-Mark
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