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Plakatmotiv: Glengarry Glen Ross (1992)

Gewaltige Gesprächskaskade mit
Titanen vor und hinter der Kamera

Titel Glengarry Glen Ross
(Glengarry Glen Ross)
Drehbuch David Mamet
nach seinem gleichnamigen Bühnenstück
Regie James Foley, USA 1992
Darsteller

Al Pacino, Jack Lemmon, Alec Baldwin, Alan Arkin, Ed Harris, Kevin Spacey, Jonathan Pryce, Bruce Altman, Jude Ciccolella, Paul Butler, Lori Tan Chinn, Neal Jones, Barry Rohrssen, Leigh French, George Cheung, Murphy Dunne, Dana Lee, Julie Payne u.a.

Genre Drama
Filmlänge 100 Minuten
Deutschlandstart
4. Februar 1993
Inhalt

Aufgrund der wirtschaftlichen Rezession befinden sich die vier Grundstücksmakler Shelley Levine, Ricky Roma, George Aaronow und Dave Moss in einer heiklen Situation. Die Firmenleitung hat wegen der prekären Situation den Entschluss gefasst, dass sie nicht alle Mitarbeiter behalten kann.

Also lobt der schmierige Blake im Auftrag der Unternehmenszentrale einen Wettbewerb mit einfachen Regeln aus. Derjenige, der bis Ende des Monats die meisten Abschlüsse tätigt, bekommt einen Cadillac Eldorado. Der zweite ein Set mit sechs Steakmessern. „Dritter Preis: Ihre Entlassung.“ Es gilt, innerhalb der kommenden Nacht ein Stück wertloses Land an den Mann zu bringen. Zwischen den Mitarbeitern entbrennt eine harte Konkurrenzsituation, in der mit Haken und Ösen gekämpft wird.

Vor allem eine Liste mit Erfolg versprechenden Adressen wird zum Objekt der Begierde. Aber die ist im Büro des Niederlassungsleiters John Williamson unter Verschluss …

Was zu sagen wäre

Verkaufen steckt den Amerikanern offenbar in den Genen. Sie verkaufen Träume, versprechen Glückseligkeit und auf die Frage „How are You?“ kennen sie nur die Antwort „Fine! And You?“ Und natürlich ist die Antwort darauf wieder „Fine! Oh, Great!“, ganz egal, wie es dem Gefragten wirklich geht. Das will auch keiner hören. Beim Verkaufen geht es nur um das: Verkaufen. Entweder, Du gehst mit der Unterschrift unter dem Vertrag als Gewinner aus der Tür. Oder als Verlierer, ohne Unterschrift. Du oder Ich, die alte Regel beim Duell aus dem Wilden Westen. Aber damals, im Westen, konnte man wenigstens noch Pionierarbeit leisten. Land erobern, Land erschließen. Pionierarbeit im weiten Land ist heute nicht mehr. Heute kannst Du, nein musst Du das Land nur noch verkaufen. Deswegen eignen sich Verkäufer in der Literatur so gut zur Illustration des Amerikanischen (Alb)Traums. Schon Arthur Miller schickte Willy Loman als Handlungsreisenden von Tür zu Tür, an denen der nichts mehr verkauft bekam und der sich schließlich tötete. Er versagte an seinen eigenen Wertvorstellungen, glaubte, aus Status und Stellung in der Gesellschaft leite sich die eigene Bedeutung ab. Wer also verkauft, hat eine hohe Stellung. Wer nichts verkauft, fällt durch den Rost.

Arthur Millers Stück ist von 1949. David Mamets Bühnenstück "Glengarry Glen Ross" (deutsch: "Hanglage Meerblick") ist von 1984 und hier werden provisionsabhängige Verkäufer zu Kunden ohne Geld geschickt, um Grundstücke zu verkaufen, die wertlos sind. „Und wenn Sie das nicht schaffen sollten“, bellt der Vorgesetzte, „dann schaffen Sie den letzten Dreck nicht. Dann sind Sie nur Dreck!

New York, zweite Hälfte des Monats, ein tristes Großraumbüro. Nichts, was an die Weiten der Pioniere erinnert. Es ist schon spät. Draußen gießt es in Strömen. Aber bis morgen früh gilt für vier Vertreter, dass sie jeder noch zwei Verträge abschließen müssen. Am nächsten Tag wieder zwei und am übernächsten tag wieder. Wer Ende des Monats nicht genügend unterschriebene Verträge vorlegt, kann seine Sachen packen. Die Männer sind nicht mer die jüngsten. Das wär's dann auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt. Die Firma, für die sie arbeiten, hat auch offensichtlich kein Interesse mehr an ihnen. Die Adressen, zu denen die Vertreter mit ihren Verträgen geschickt werden, sind längst bekannte Nieten. Plakatmotiv (US): Glengarry Glen Ross (1992) Dort wohnen Menschen ohne Geld, Menschen, die nicht geschäftsfähig sind, „Inder, die sich über Besuch freuen, aber niemals etwas unterschreiben“.

Was jetzt passiert, inszeniert James Foley als gewitterartige Wortgewalt. Auf nur wenig Raum – Büro, Chinarestaurant, Auto, Haustüren – lässt er David Mamets Text von exquisiten Schauspielern zelebrieren. Es sind alles Männer, die die berühmte Chance, die sie nicht haben, zu nutzen gedenken, weil sie nichts anderes haben, nichts anderes können. Der alte Shelley Levene, den alle „Maschine“ nennen, weil er früher mal eine Verkaufskanone war, und der seine heutige Erfolglosigkeit als „Pechsträhne“ bezeichnet, beziehungsweise seinem Chef gegenüber als Pechsträhne verkauft, leiert am Telefon seine alte Nummer runter – „Ich hatte mit Ihrer Frau telefoniert … eine wirklich einmalige Gelegenheit … Mein Geschäftspartner hält exklusiv für mich den Preis noch 24 Stunden stabil, andere müssen jetzt schon deutlich mehr zahlenIch bin nur heute Abend noch in der Stadt … Wann würde es Ihnen denn besser passen?“ – und weiß doch, dass der Mann am anderen Ende nicht unterschreiben wird. Einmal steht er im strömenden regen vor einer Tür, quatscht sich ins Haus, redet ohne Punkt und Komma, hat auf jeden Einwand des potenziellen Unterschriften-Gebers eine Antwort, irgendeine Antwort, die meistens keine reale Entsprechung hat. Shelley Levene redet hier auf Leben und Tod, seine Tochter liegt im Krankenhaus, er kann die Rechnungen nicht mehr bezahlen. Er beschwört seinen Vorgesetzten John Williamson, der seinen Job nur hat, weil er ein Neffe von einem der großen Bosse ist und ein Arschloch vor dem Herrn (Kevin Spacey wird mit dieser Rolle wahrscheinlich seine Kleinstrollen wie in Die Glücksjäger, 1989, oder "Die Waffen der Frauen", 1988, hinter sich lassen), Levene droht ihm, beschimpft ihn, fleht ihn an, ihm bessere Adressen zu geben. Es ist ein großer Auftritt des großen Jack Lemmon, der in dieser Rolle zwischen verzweifelten Triumph und hoffnungsverlorenen Tränen die ganze Bandbreite seiner Filmgeschichte erstrahlen lässt (The Player – 1992; JFK: Tatort Dallas – 1991; "Vermisst" – 1982; "Buddy, Buddy" – 1981; Das China-Syndrom – 1979; Airport '77 – Verschollen im Bermuda Dreieck – 1977; Rettet den Tiger! – 1973; Avanti, Avanti! – 1972; Nie wieder New York – 1970; Ein seltsames Paar – 1968; Der Glückspilz – 1966; "Das große Rennen um die Welt" – 1965; Wie bringt man seine Frau um? – 1965; Das Mädchen Irma La Douce – 1963; Das Appartement – 1960; Manche mögen's heiß – 1959; Spiel mit dem Feuer – 1957).

Während die Verkäufer George Aaronow und Dave Moss die Ungerechtigkeit der Welt beklagen, sich gegen die Erniedrigungen ihrer Vorgesetzten in Rage reden und finstere Pläne für die nahe Zukunft schmieden, die sie endlich erlösen wird, zeigt Ricky Roma, der vierte im Bunde, was es heißt, ein echter Salesman zu sein – er ist nicht zufällig der erfolgreichste des Quartetts. Er umgarnt einen Trinker an der Bar, erkennt dessen Einsamkeit ergeht sich in nihilistischen Visionen über den Wert von erlebtem, „Frauen ficken“ etwa, „was bleibt davon am nächsten Morgen? Ich meine: Wirklich?“ Mehrere Whiskys später hat er die Unterschrift. Aber als der über-den-Tisch-Gezogene am nächsten Tag von seinem 3-Tage-Rücktrittsrecht Gebrauch machen will, läuft Ricky Roma erst zu ganzer Größe auf, verwirrt ihn mit Feiertagen, die in die gesetzlich festgeschriebene 3-Tage-Frist nicht einliefen, „ich weiß das, denn ich saß in der Kommission, die das ausgehandelt hat“, obwohl in den kommenden Tagen gar kein Feier- oder Sonntag ansteht, becirct den offensichtlich unter der Knute seiner Frau stehenden Mann mit gefühligem Männergespräch, lügt ihm schließlich das Blaue vom Himmel herunter und blickt ihm dabei tief in die Augen: „Hey, ich bin's! Worüber reden wir? Alles ist okay.“ Tarnen, tricksen, täuschen – Hauptsache, die Unterschrift wird nicht zurückgezogen und die Provision bleibt erhalten. Plakatmotiv (US): Glengarry Glen Ross (1992) Auch in dieser Rolle tobt sich ein Großer seiner Zunft aus, Al Pacino (Frankie und Johnny – 1991; Der Pate III – 1990; Dick Tracy – 1990; Sea of Love – 1989; Scarface – 1983; Cruising – 1980; …und Gerechtigkeit für alle – 1979; Bobby Deerfield – 1977; Hundstage – 1975; Der Pate II – 1974; Serpico – 1973; Der Pate – 1972). Pacinos Verkäufer mit der Alliteration im Namen – Ricky Roma – ist eben noch der tröstende Zyniker, gleich der beste Freund, dann der Profi mit dem Weltwissen, der Männerversteher, der Verwünschungen ausstoßende Verzweifelte mit großen, kalten Augen. Eine große Lust, diesen beiden Schauspielern, Lemmon & Pacino, bei der so leichtfüßigen Arbeit zuzusehen.

Angeblich war die Stimmung am Filmset so gut, dass immer alle Schauspieler anwesend waren, auch wenn sie selber gar nicht auf dem Drehplan standen; sie wollten einfach den anderen bei der Arbeit zuschauen. Es muss für alle ein professionelles Feuerwerk gewesen sein. Zwar ragen Lemmon und Pacino heraus, sie haben einfach die meisten Szenen. Aber Alec Baldwin als kalter Menschenabsäger mit 80.000-Dollar-BMW und goldener Uhr, die „mehr kostet, als Dein Auto“ ("Die blonde Versuchung" – 1991; Jagd auf Roter Oktober – 1990; Great Balls of Fire – 1989; Die Mafiosi-Braut – 1988; Beetlejuice – 1988), Alan Arkin als verweichlichter Loser im falschen Beruf (Rocketeer – 1991; Havanna – 1990; Edward mit den Scherenhänden – 1990; Catch-22 – 1970; "Warte, bis es dunkel ist" – 1967), Ed Harris als Verkäufer, der besser Gewerkschafter geworden wäre ("Im Vorhof der Hölle" – 1990; Abyss – 1989; "Der Stoff aus dem die Helden sind" – 1983) oder Jonathan Pryce (Brazil – 1985) als nicht geschäftsfähiger Trauerklos stehen den Leistungen Lemmons und Pacions nicht nach.

James Foley, versierter Musikclip-Director, gelingt es, seine nah am Bühnenstück inszenierte, atmosphärisch dichte Gesprächskaskade auch visuell mitreißend zu gestalten (Kamera: Juan Ruiz Anchía – Haus der Spiele, 1987). Einmal sitzen zwei der Männer in einer Bar, während die Kamera sie von außen durch den strömenden Regen beobachtet. Das Bild ist eine (spiegelverkehrte) Kopie von Edward Hoppers Gemälde "Nighthawks", einer Ikone des einsamen US-Mannes. Da sind die Pioniere des amerikanischen Kontinents gelandet, als es nichts mehr zu erschließen gibt: einsam in einer Bar.

So steht, nachdem sich der Kinovorhang geschlossen hat, der Eindruck, jetzt schon einen der großen Filme des begonnenen Jahres gesehen zu haben.

<Nachtrag1999>12,5 Millionen Dollar konnte Foley für die Produktion seines Films ausgeben. Das Publikum von 1992, auf der großen Leinwand für Stirb Langsam, Terminator oder Lethal Weapon sensibilisiert, wollte einen Film mit alten, deprimierten, leidenschaftlich um ihr Überleben streitenden Männern nicht sehen und so blieb das US-Box Office mit 10,7 Millionen Dollar plus wenig internationalem Einspiel hinter den Produktionskosten zurück.</Nachtrag1999>

Wertung: 10 von 10 D-Mark
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