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Plakatmotiv: Was vom Tage übrig blieb (1993)

Zwei herausragende Schauspieler in einem
unterkühlten, emotionalen Kammerspiel

Titel Was vom Tage übrig blieb
(The Remains of the Day)
Drehbuch Ruth Prawer Jhabvala
nach dem gleichnamigen Roman von Kazuo Ishiguro
Regie James Ivory, UK, USA 1993
Darsteller

Anthony Hopkins, Emma Thompson, James Fox, Christopher Reeve, Peter Vaughan, Hugh Grant, Michael Lonsdale, Tim Pigott-Smith, Patrick Godfrey, Peter Cellier, Ben Chaplin, Paul Copley, Peter Eyre, Lena Headey, Brigitte Kahn, Iaf Redford, Pip Torrens, Rupert Vansittart, John Haycraft, Caroline Hunt, Paula Jacobs, Steve Dibben, Abigail Hopkins, Peter Halliday, Terence Bayler, Jeffry Wickham, Hugh Sweetman u.a.

Genre Drama
Filmlänge 134 Minuten
Deutschlandstart
10. März 1994
Inhalt

England in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg: Stevens, der langjährige Butler in Darlington Hall, erbittet sich von seinem neuen Herrn, einem reichen Amerikaner, ein paar Tage Urlaub, um Miss Kenton wiederzusehen – jene Frau, die er 1936 für Lord Darlington als Haushälterin eingestellt hatte und die das Anwesen vor 20 Jahren verließ, um zu heiraten.

Im Lauf der Autofahrt werden in Stevens Erinnerungen an Lord Darlington und die Jahre unmittelbar vor dem Krieg wach, aber auch an die junge Miss Kenton. Das Darlington Hall des untergegangenen, viktorianisch geprägten Englands ersteht vor seinem inneren Auge in all seiner einstigen Pracht. Doch hinter der Fassade – den glänzenden Abend- und Jagdgesellschaften – zeigt sich in der Gestalt Lord Darlingtons das düstere Gesicht jenes britischen Adels, der den blaublütigen Unterhändlern Nazideutschlands Tor und Tür öffnete. Zugleich wurden die eigenen Landsleute, denen – ganz wie dem Butler Stevens – jede Gefühlsregung untersagt war, zu blindem, knechtischem Gehorsam erzogen. So hatte Stevens beim Tod seines Vaters keine Träne verloren und sich Miss Kenton gegenüber jede Gefühlsregung als Zeichen von Schwäche verboten.

Doch auch jetzt, nachdem Lord Darlington als Verräter und Kollaborateur verurteilt wurde und sich selbst gerichtet hat, vermag es Stevens nicht, seinen ehemaligen Dienstherrn zu kritisieren. Als Stevens und Miss Kenton schließlich aufeinandertreffen, flackert erneut eine zarte Zuneigung zwischen ihnen auf ...

Was zu sagen wäre

Andere Produzenten drehen Fortsetzungen von Erfolgsfilmen. Das hätte bei dem großen Erfolgsfilm Wiedersehen in Howard's End aus dem vergangenen Jahr nicht so gut funktioniert, rein inhaltlich. Stattdessen haben sich Ismail Merchant und sein Regisseur James Ivory einen anderen Roman vorgenommen, in dem prächtige englische Schlösser, elegante Kostüme und das englische Klassensystem sowie die scharf abgegrenzte Hierarchie zwischen Herrschaft und Dienerschaft im Mittelpunkt stehen, und sich die Dienste ihrer Hauptdarsteller Anthony Hopkins und Emma Thompson gesichert. Verfilmt haben sie nun einen Roman von Kazuo Ishiguro, ihn allerdings zehn Jahre nach hinten verschoben. Die Geschichte spielt nicht mehr in den 20er Jahren, sondern in den 30er und 50er Jahren, vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, dessen Entstehung im Film eine wichtige Rolle hat.

Die Hauptgeschehnisse finden auf Darlington Hall statt, einem prächtigen Landsitz, der allerdings, als wir ihn kennenlernen, Mitte der 50 Jahre, heruntergekommen ist. Seine Lordschaft ist verstorben, einsam, ohne Freunde, nur mit dem Butler an seiner Seite. Lord Darlington hatte sich vor dem Krieg in den Dienst seines Premierministers Neville Chamberlain gestellt und dessen Appeasement-Politik gegenüber Nazi-Deutschland aktiv unterstützt. Darlington vertrat die Auffassung, Deutschland sei nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Versailler Vertrag ungerecht behandelt worden und man müsse in Europa jetzt zusammenstehen, sich auch nicht von den USA auseinander dividieren lassen; an einen Krieg wollte niemand glauben. Als der dann doch ausgebrochene Krieg vorbei war, wurde Darlington als „Nazifreund“ vor Gericht gestellt. Er verlor sein Ansehen und beging Suizid.

Diese Infos wissen wir nicht von den ersten Minuten an. Aber in dieser Stimmung lernen wir Darlington Hall kennen, nasskalt, bläulich eingefärbte Bilder, die alles noch ungemütlicher machen. Die ganze Pracht entfaltet der Landsitz in den Rückblenden, in denen das Leben hinter den Kulissen im Mittelpunkt steht. Hier hält Butler Stevens die Fäden in der Hand und steuert gemeinsam mit der Wirtschafterin Miss Kenton den Haushalt und die Dienerschaft. Die politischen Begebenheiten spielen dort keine Rolle, Stevens ist mit jeder Faser der Diener seines Herrn, er hört einfach weg, wenn ihm etwas fremd erscheint. Das geschieht häufiger. Seine Lordschaft, ein Muster an britischem Adelsbewusstsein, kommt mit den aufziehenden modernen Zeiten, in denen sogar das Personal einfach selbst entscheidet, die Anstellung zu quittieren, um zu heiraten, nicht zurecht. Aber der Lord schafft es, in größter Liebenswürdigkeit Existenz vernichtende Anordnungen in Halbsätzen verklingen zu lassen – sein Butler wird ihn schon verstehen und tun, was der Lord unausgesprochen wünscht. Anthony Hopkins spielt diesen Butler so emotionslos, dass er wie ein naher Verwandter seines Hannibal Lecter aus Das Schweigen der Lämmer wirkt. Selbst als Stevens' Vater stirbt, während eine wichtige politische Konferenz auf Darlington Hall stattfindet, verkneift sich Hopkins' Butlerfigur jede Regung; er hat jetzt keine Zeit für sowas. Es ist eine große Leistung des Charaktermimen, der erst im Alter zu Ruhm und Ehren kam (Bram Stoker's Dracula – 1992; Wiedersehen in Howard's End – 1992; Freejack – Geisel der Zukunft – 1992; Das Schweigen der Lämmer – 1991; 24 Stunden in seiner Gewalt – 1995; Die Bounty – 1984; Der Elefantenmensch – 1980; Die Brücke von Arnheim – 1977; Achtzehn Stunden bis zur Ewigkeit – 1974). Wiederholt fürchtet man im Kinosessel, dass der emotionslos scheinende Butler gleich explodiert. Die angedeutet unterentwickelte Liebesgeschichte zu Miss Kenton jedoch misslingt.

"The Remains of the Day" glüht in seinen Bildern. Man möchte versinken in den prachtvollen Sälen mit den üppigen Sesseln, den kostbaren Vasen und dem gold glänzenden Parkett, oder in den saftig grünen Landschaften. Aber es ist kein Film nur zum Gucken; dafür ist er zu kühl und sind die Hauptfiguren in ihrer Steifheit dem mitteleuropäischen Zuschauer Ende des 20. Jahrhunderts zu fremd. Es beginnt mit einem schönen Kameraflug auf den Landsitz zu. Aus dem Off hören wir eine Frauenstimme einen Brief vorlesen. Bis wir verstanden haben, dass der Brief nicht an den Hausherrn gerichtet ist, sitzen wir in einer Auktion, in der Christopher Reeve (Superman – 1978) ein Bild ersteigert. Wir sehen den Butler bei der Arbeit. Wir sehen Miss Kenton, die geisterhaft aus dem Bild verschwindet, ebenso wie einige der Bediensteten am Landsitz. Und während wir uns nun klar werden, das wir uns auf zwei Zeitebenen befinden – nicht jeder hat zuvor große Feuilleton-Artikel gelesen, in denen die Hintergründe des Films erklärt werden – sitzt Anthony Hopkins schon im Auto und sucht die Wirtschafterin von damals. Zwischen beiden soll eine – offenbar sehr britische – unerklärte Liebesbeziehung bestehen.

Miss Kenton, die freundliche Wirtschafterin, der beinahe zu spät deutlich wird, dass sie zur alten Jungfer zu werden droht, wird gespielt von der wieder famosen Emma Thompson (Viel Lärm um nichts – 1993; Peter's Friends – 1992; Wiedersehen in Howards End – 1992; Schatten der Vergangenheit – 1991; "Heinrich V." – 1989). Zurückhaltend charmant und die gesellschaftlichen Regeln der englischen Klassengesellschaft hier und da weit auslegend, ist sie wie ein wärmendes Licht in kalter Nacht. Wir erkennen den sorgsam zurückgehaltenen Lebenshunger in ihr. Wir sehen einen flackernden Blick des Butlers. Aber dass da mehr sein soll, als gegenseitiger Respekt; dass da die eine oder der andere Gefühle der Liebe spüren könnte, bleibt ungezeigt. Auf dieser Ebene bleibt der Film so kalt, wie des Butlers Teilnahmslosigkeit am Leben der anderen. So kalt, wie die britische Aristokratie in diesem Film, die noch ganz im Wir-hier-oben-Der-Pöbel-da-unten verhaftet ist, angesichts des Leids der Juden in Deutschland.

James Ivory zeigt ein psychologisches Kammerspiel über unterdrückte Gefühle und gesellschaftliche Codes, die über Leben bestimmen; ein zartfühlender Blick, der nebenbei seltene Einblicke in die Abläufe, die Hierarchie und die Funktionsweise eines solchen Anwesens bietet.

Wertung: 9 von 10 D-Mark
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