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Plakatmotiv: Wiedersehen in Howards End (1992)

Behutsames Literaturkino
in prächtigem Ambiente

Titel Wiedersehen in Howards End
(Howards End)
Drehbuch Ruth Prawer Jhabvala
nach dem Roman von Edward Morgan Forster
Regie James Ivory, UK, USA 1992
Darsteller

Anthony Hopkins, Emma Thompson, Vanessa Redgrave, Helena Bonham Carter, Samuel West, Nicola Duffett, Prunella Scales, Adrian Ross Magenty, James Wilby, Jemma Redgrave, Joseph A. Bennett, Susie Lindeman, Jo Kendall, Barbara Hicks, Simon Callow, Ian Latimer, Mary Nash, Siegbert Prawer u.a.

Genre Drama
Filmlänge 142 Minuten
Deutschlandstart
29. Oktober 1992
Inhalt

Margaret und Helen Schlegel sind zwei intelligente, kultivierte und für ihre Zeit sehr emanzipierte Frauen, die nach dem Tod der Eltern allein mit ihrem Bruder Tibby in ihrem Londoner Haus leben. Bei einer Begegnung der Bohéme-Geschwister mit der reichen, adligen Familie Wilcox verliebt sich Helen in den jüngsten Sohn Paul Wilcox. Ihre Liebe scheitert jedoch am Standesunterschied, und die Wege der Familien trennen sich.

Als die Wilcox' Jahre später anlässlich der Hochzeit des älteren Sohnes Charles in das Haus gegenüber ziehen, entwickelt sich zwischen Margaret und Pauls Mutter, der inzwischen schwer kranken Ruth Wilcox, eine innige Freundschaft. Der Plan der beiden, eine Reise zu Mrs. Wilcox geliebtem Geburtshaus in Howards End zu unternehmen, scheitert jedoch.

Nach ihrem Tod überlässt Mrs. Wilcox ihrer Freundin Margaret als Alleinerbin ihr Anwesen in Howards End. Die Wilcox' sind entsetzt und lassen das im letzten Moment verfasste Testament verschwinden, ohne dass Margaret etwas von ihrem Erbe erfährt. Der frisch verwitwete Mr. Wilcox hegt indes mehr als Sympathie für Margaret und macht ihr einen Heiratsantrag. Da Margaret seine Liebe erwidert, heiraten sie gegen den Willen der Familie, die in der Braut eine Erbschleicherin vermutet.

Es kommt zu weiteren Spannungen, als Helen Schlegel nach einem One-Night-Stand mit dem verheirateten Leonard Blast schwanger wird. Helen hatte den einfachen Angestellten einst nach einem Kulturvortrag kennen- und schätzen gelernt. Durch einen schlechten Rat von Mr. Wilcox war der sensible Leonard in berufliche Schwierigkeiten geraten und Mr. Wilcox hatte sich trotz aller Bitten geweigert, ihm dort wieder herauszuhelfen.

Margaret möchte ihre schwangere Schwester bei sich aufnehmen, doch Henry duldet sie nicht in seinem Haus, da sie die Ehre der Familie beschmutze. Auch als sich herausstellt, dass Henry selbst vor zehn Jahren eine Affäre ausgerechnet mit Leonards Frau, der damals 16-jährigen Jacky, hatte, bleibt er hart. Als sich Leonard, von Hunger und Kummer ausgezehrt und entkräftet, nach Howards End begibt, um mit Helen zu reden, kommt es zu einer folgenreichen Auseinandersetzung zwischen ihm und Henrys begierig nach Anerkennung des Vaters suchenden Sohn Charles ...

Was zu sagen wäre

Manchmal glänzen Filme weniger über das, was sie erzählen. Manchmal stehen die Bilder im Mittelpunkt – dieses Bildermediums. Das dem Film zugrunde liegende Buch "Howards End" von Edward Morgan Forster (1879 – 1970), das 1910 in London veröffentlicht wurde, gilt als einer der wichtigsten Romane des 20. Jahrhunderts. Er beschreibt die englische Gesellschaft in der Zeitenwende in die Industrialisierung. Alte Strukturen lösen sich auf. Das Standesbewusstsein aber bleibt zementhart. Von Forster, der sich in seinen Gesellschaftsromanen mit Klassenunterschieden und Gesellschaftsregeln auseinandersetzte, stammt auch  der Roman "Auf der Suche nach Indien", der die Vorlage für David Lenas letzten Film Reise nach Indien (1984) war.

Den Standesdünkel im Herzen trägt Henry Wilcox, wohlhabender Geschäftsmann, Upper Class, Mitglied in den richtigen Clubs. Anthony Hopkins spielt ihn mit unterspieltem Machtbewusstsein (Freejack – Geisel der Zukunft – 1992; Das Schweigen der Lämmer – 1991; 24 Stunden in seiner Gewalt – 1995; Die Bounty – 1984; Der Elefantenmensch – 1980; Die Brücke von Arnheim – 1977; Achtzehn Stunden bis zur Ewigkeit – 1974). Henry schaut seinem gegenüber selten in die Augen, beharrt aber auf seinem jeweiligen Standpunkt, indem er seine Lachfältchen aktiviert bis er die Gesprächspartnerin mundtot gemacht hat. Wenn Margaret ihn drängt, sich für den gebeutelten Leonard Blast einzusetzen, der indirekt doch durch einen Hinweis von Wilcox seine Stellung verloren hat, Plakatmotiv (UK): Howard's End (1992) sieht man dem Mann aus dem gehobenen Stand seinen Unwillen an, sich mit einem Menschen in solchen Verhältnissen auch nur zu beschäftigen. Wie Wilcox seine Geschäfte führt, bleibt dem Zuschauer verborgen, "Howard's End" ist ein Gesellschaftsporträt, kein Wirtschaftskrimi.

James Ivory schwelgt in üppigen grünen Landschaften, bewegt sich mit der Kamera in verschwenderisch ausgestatteten Stadthäusern im London des spätviktorianischen Zeitalters um die Jahrhundertwende, die Damen wandeln in glanzvollen Roben, die Herren im Cut und alle achten auf ihren Stand. Im Zentrum stehen drei Familien. Leonard und Jacky Blast stehen ganz unten, er ist Angestellter in einer Versicherung, später arbeitslos ohne Aussicht, je wieder eine Anstellung zu bekommen. Die Geschwister Margaret, Helen und Theobald (genannt Tibby) sind gut situierte, in London aufgewachsene Freigeister. Familie Wilcox ist von ähnlichem Stand, aber mit Landbesitz und dem Stadtleben von Herzen abgeneigt. Sie stammt aus feudalen Denkmustern: In der Stadt leben die Angestellten ihrer Firmen, auf dem Land lebt der Adel, der die Firmen besitzt.

Es sind die Frauen, die Bewegung in die starren Strukturen bringen; die beiden Schwestern Schlegel bewegen sich in kulturell interessierten Kreisen, diskutieren ohne Unterlass Bücher, Theater, Konzerte. Helen stellt sich gegen die alte Ordnung. In Helena Bonham Carter, die für James Ivory auch in dessen Verfilmungen der Forster-Bücher "Zimmer mit Aussicht" (1986) und "Maurice" (1987) vor der Kamera stand, bebt Helen buchstäblich vor Verlangen auf Veränderung – wenn es auf den ersten Kuss zugeht, merkt man der unkonventionellen Helen an, wie sie küssen will, aber nicht küssen darf – sie muss geküsst werden. Um 1900 herrschen in England sehr klare Verhaltensregeln. Als Helen nach einem Konzertvortrag sich einfach den nächstbesten Schirm schnappt, läuft dessen Besitzer im strömenden Regen brav hinter ihr her, haucht ungehört „Miss … Miss…“ und steht dann vor ihrem Fenster, bis sie ihn dort – immer noch im strömenden Regen – erblickt. Für den modernen Großstädter im Kinosessel ist diese Szene kaum zu ertragen. Helens große Schwester Margaret ist eine perfekte Gastgeberin. Charmant plaudert sie eben über Nichtigkeiten, dann über Beethoven, die Ungerechtigkeiten ihrer Welt moderiert sie „auf meine Weise“, also liebenswürdig und unaufdringlich. Emma Thompson (Peter's Friends – 1992; Schatten der Vergangenheit – 1991) spielt die Margaret in solchen Szenen unterwürfig und im nächsten Moment wieder hinreißend lebendig.

"Howard's End" ist ein beeindruckender Film seiner Zeit, weil er sich den gängigen Erzählmustern verweigert. Seit 15 Jahren, spätestens durch Krieg der Sterne (1977) hat der Dreiakter zurück in die Drehbücher des kommerziellen Kinos gefunden. Action, Spezialeffekte, mondäne Schauplätze füllen die Leinwände. Nichts von all dem Funden wir in diesem Film, selbst Howard's End, der Landsitz, ist ein freundliches, unscheinbares Cottage, weit weg von englischen Palästen und Königshäusern. Was passiert, passiert eben in der spätviktorianischen Gesellschaft, so unverhandelbar wie das Wetter – Menschen kommen, Menschen gehen und alle erleiden ihr Schicksal. Keineswegs ist der Film aber deshalb langweilig. Wunderbare Schauspieler, üppige Ausstattung und eine elegante Kameraführung machen "Howard's End" zu einem gepflegten Sonntagnachmittagfilm.

Wertung: 8 von 11 D-Mark
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