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Plakatmotiv: Ad Astra (2019)

Eine Reise zu den Sternen
als Reise zu uns selbst

Titel Ad Astra – Zu den Sternen
(Ad Astra)
Drehbuch James Gray & Ethan Gross
Regie James Gray, China, Brasilien, USA 2019
Darsteller

Brad Pitt, Tommy Lee Jones, Ruth Negga, Donald Sutherland, Kimberly Elise, Loren Dean, Donnie Keshawarz, Sean Blakemore, Bobby Nish, LisaGay Hamilton, John Finn, John Ortiz, Freda Foh Shen, Kayla Adams, Ravi Kapoor u.a.

Genre Abenteuer, Drama
Filmlänge 123 Minuten
Deutschlandstart
19. September 2019
Inhalt

Der Ingenieur Roy McBride arbeitet für die US-amerikanische Weltraumbehörde SpaceCom. Er ist fokussiert auf seine Arbeit, blendet alles andere um sich herum aus. Zwischenmenschliches fällt ihm schwer. Seine Frau wollte nicht mehr auf ihn warten und hat ihn deshalb verlassen. Mit Bravour indes besteht er die regelmäßigen psychologischen Tests. Sein Herzschlag steigt nie über 80 Schläge pro Minute, auch nicht bei einer Katastrophe während der Arbeit, die ihn eben deshalb nicht das Leben kostet.

SpaceCom rekrutiert ihn für eine geheime Weltraummission – er soll seinen möglicherweise noch am Leben befindlichen Vater Clifford McBride suchen, der 20 Jahre zuvor auf einer Reise zum Neptun spurlos verschwunden ist. Clifford war im Rahmen des Lima-Projekts zum Neptun gereist, um Anzeichen intelligenten, außerirdischen Lebens zu suchen. 16 Jahre nach Beginn der Mission verschwand das Raumschiff jedoch mit der gesamten Besatzung. Die SpaceCom-Führung bringt aber jetzt Roys Vater mit elektromagnetischen Stürmen aus dem All in Verbindung, die auf der Erde bislang zehntausende Opfer gefordert haben.

Roy fliegt zum Mars. Erst auf dem Roten Planeten ist die Kommunikation bis zum Neptun störungsfrei möglich, also soll er hier vorformulierte Audionachrichten in Richtung Neptun schicken.

Erst als Roy eine persönliche Nachricht an seinen Vater formuliert, scheint es eine Antwort zu geben. Die Verantwortlichen des Geheimprojekts wollen ihm aber keine Auskunft darüber geben. Man erklärt Roy, er sei wegen seiner persönlichen Verbindung zu seinem Vater doch nicht für die Mission geeignet.

Unerwartet Hilfe erhält Roy von der Stützpunktleiterin Helen Lantos, die beim Lima-Projekt ihre Eltern verlor …

Was zu sagen wäre

Söhne und Väter – das große Thema im amerikanischen Kino. Erst, wenn die Söhne gegen ihre Väter rebelliert haben, erst wenn die Väter ihre Söhne auf Augenhöhe akzeptieren, kann ein selbst gestaltetes Leben der Söhne beginnen. In "East of Eden" (1955) rebelliert James Dean gegen seinen religiösen Vater. In "Red River" (1948) begehrt Montgomery Clift gegen seinen herrschsüchtigen Adoptivvater John Wayne auf. Es sind Monumente der Kinogeschichte. Selbst ein Film wie Die zehn Gebote (1956) kann nicht ohne den Kampf der Brüder um die Gunst ihres Vaters erzählt werden.

Plakatmotiv: Ad Astra (2019)Wohl dem Sohn, der diesen Kampf gegen den Vater führen kann. Roy McBride kann das nicht mehr. Sein Vater ist verschollen. Seit 16 Jahren schon. Und nicht nur das. Dieser Vater wird auch überall gefeiert. Dauernd erzählen ihm Astronauten und Techniker, der Mann sei ein Held gewesen; erst wegen ihm sei man zu SpaceCom gegangen. Neben dieser Ikone findet Roy keinen Platz. Und Suchtb ihn erst gar nicht. Er ist der klassische Lone Wolfe, der seine Gefühle „unter Kontrolle“ und einen Job zu erledigen hat.

Brad Pitt spielt diesen Mann als einen ohne Ziel, als a man has got to do what a man 's got to do. Seine aufmerksam flackernden Augen konterkarieren indes seine zur Schau gestellte stoische Ruhe. Ein Mann, der den Kampf gegen den Vater nicht gewinnen kann – und schließlich ins Unbekannte aufbricht, um es doch zu tun – weil nämlich Dad gewissermaßen nicht aufhört, ihn zu dominieren. Augenscheinlich ist der Vater schuld an den kosmischen Stürmen, die die Erde heimsuchen und die auch ihn, Roy, beinahe das Leben gekostet hätten.

Das ist eine schöne Rolle für Brad Pitt, der hier nach Once upon a Time in Hollywood zum zweiten Mal in wenigen Wochen eine große Performance bieten kann (The Big Short – 2015; Herz aus Stahl – 2014; The Counselor – 2013; World War Z – 2013; Moneyball – 2011; Inglourious Basterds – 2009; Der seltsame Fall des Benjamin Button – 2008; "Babel" – 2006; Mr. & Mrs. Smith – 2005; Troja – 2004; Geständnisse – Confessions of a Dangerous Mind – 2002; Ocean's Eleven – 2001; Mexican – 2001; Snatch – Schweine und Diamanten – 2000; Fight Club – 1999; Rendezvous mit Joe Black – 1998; Vertrauter Feind – 1997; Sleepers – 1996; 12 Monkeys – 1995; Sieben – 1995; Legenden der Leidenschaft – 1994; "Interview mit einem Vampir" – 1994; True Romance – 1993; "Kalifornia" –1993; Aus der Mitte entspringt ein Fluss – 1992; Thelma & Louise – 1991).

In jeder Minute, die dieser sehr ruhig erzählte Film dauert, wird er weicher, scheint seine eben doch verletzte Seele stärker durch; in einem der regelmäßigen psychologischen Tests spricht er dann plötzlich über die „Wut“, die er auf seinen Vater hat, der ihn als Kind einfach verlassen hat. Weil ohne Brad Pitts ausdrucksstarke Stoikermine der Film auseinanderzufallen drohte, mag es sein, dass die Academy of Motion Pictures Arts and Sciences ihn für den Oscar nominiert – er könnte dann in einem Jahr zweimal nominiert sein und auch zweimal gewinnen: Hauptrolle und Nebenrolle (weitere Nominierungen werden Kameramann Hoyte van Hoytema als Director of Photography und Gary Rydstrom sowie Mark Ulano für Sound-Design und Tonschnitt ereilen).

Spätestens mit dem Wut-Satz bekommt das Zusammentreffen von Sohn und Vater, auf das dieser Film die ganze Zeit einzig zuläuft, seine Fallhöhe. Es ist dann fast enttäuschend, aber gleichzeitig faszinierend, wie banal dieser zentrale Konflikt des Films sich auflöst. Weil letzten Endes diese Vater-Sohn-Kiste unerheblich fürs eigene Fortkommen ist – letztlich muss man es alleine schaffen, sein Schicksal alleine schultern (ein anderes großes Thema des amerikanischen Kinos).

Plakatmotiv: Ad Astra (2019)James Gray erzählt diese Vater-Sohn-Geschichte als ein Roadmovie ins Herz der Finsternis. Ein Mann (oder eine Frau) begibt sich auf eine Reise ins Unbekannte, um einen möglicherweise verrückt gewordenen Colonel zur Räson zu bringen oder auszuschalten. Auf dieser Reise, das ist der Wesenskern eines Roadmovies, verändert sich der Mann. Sukzessive verliert Roy seine Begleiter bis er auf der Zielgeraden schließlich allein dem Mann gegenübertreten muss, der ihm den Vater-Sohn-Kampf verweigert hat und der ihm jetzt alt, schwach und seiner Träume beraubt gegenübertritt. Tommy Lee Jones legt in diesen Szenen viel Enttäuschungen in seine tiefen Gesichtsfurchen (Mechanic: Resurrection – 2016; Jason Bourne – 2016; Malavita – The Family – 2013; Lincoln – 2012; Captain America: The First Avenger – 2011; Im Tal von Elah – 2007; "No Country for Old Men" – 2007; Robert Altman's Last Radio Show – 2006; "The Missing" – 2003; Space Cowboys – 2000; Rules – Sekunden der Entscheidung – 2000; Doppelmord – 1999; Men in Black – 1997; Volcano – 1997; Batman Forever – 1995; Natural Born Killers – 1994; Der Klient – 1994; "Explosiv – Blown Away" – 1994; Zwischen Himmel und Hölle – 1993; Auf der Flucht – 1993; Alarmstufe: Rot – 1992; JFK – Tatort Dallas – 1991; Airborne – 1990). In diesem Moment fallen dem Zuschauer im Kino ein paar Bilder wieder ein, die er vor etwa einer Stunde gesehen hat, als Roy noch auf dem Mond war.

Der Film spielt in der nahen Zukunft, in der es auf dem Mond eine Transitstation für Durchreisende zum Mars gibt. Auf dem Flug von der Erde dorthin bittet Roy um ein Kopfkissen und eine Decke. „Gerne“, sagt die Flugbegleiterin, „das macht 150 Dollar.“ Die Station selbst besteht aus Rolltreppen, Leuchtreklamen, Ticketschaltern und Imbissbuden. Und auf der Mondoberfläche überfallen Piraten die Reisenden. Kurz: Die erste Etappe auf dem imaginierten Traumziel Unendliche Weiten unterscheidet sich nicht wesentlich von einer großstädtischen U-Bahn-Station auf der Erde inklusive der Dealer und Fixer. Anstatt Neues zu suchen und davon zu lernen, sagt James Grays Film, exportiert der Mensch seine Erfahrung, seine Fehler, seine Schwächen einfach auch noch ins All. Eigentlich interessiert er sich längst nicht mehr für etwaiges Leben da draußen. Er wird die Planeten, die er findet, ausbeuten und mit Hamburger-Bratereien besiedeln.

Da kann er eigentlich auch gleich zuhause bleiben; wenn er nur ein bisschen besser auf dieses Zuhause – die Erde – aufpassen würde.

Genauso geht es dem einsamen Raumfahrer Roy. Die Antworten, die er sucht, findet er nicht im Vater. Roys Reise ad Astra ist letztlich eine zu sich selbst. Erst, als er nicht mehr auf den vermeintlich übermächtigen Vater draußen beim Neptun fixiert ist, findet er seine Antwort. Der Slogan auf dem Kinoplakat ist, so gesehen, Ausdruck einer Hoffnungslosigkeit: „Die Antworten, die wir suchen, sind außerhalb unserer Reichweite“.

Heißt: Der Mensch lernt es nicht mehr. Alle Antworten zur Rettung der Erde, der Menschheit, dem Sinn der Existenz liegen direkt vor, ja sogar in uns. Aber da gucken wir beharrlich nicht hin. Oder in Roys Worten: „Egal, ob auf festem Boden oder auf einem fernen Planeten, wir sind immer noch einsam und verängstigt, greifen nacheinander und versuchen, jemanden oder etwas zu finden, an dem wir uns festhalten können.

Wertung: 6 von 8 €uro
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