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Plakatmotiv: Natural Born Killers (1994)

Oliver Stone macht keine Gefangenen
bei dieser Satire auf die Medien

Titel Natural Born Killers
(Natural Born Killers)
Drehbuch Quentin Tarantino & David Veloz & Richard Rutowski & Oliver Stone
Regie Oliver Stone, USA 1994
Darsteller

Woody Harrelson, Juliette Lewis, Robert Downey Jr., Tommy Lee Jones, Tom Sizemore, Rodney Dangerfield, Everett Quinton, Jared Harris, Edie McClurg, Sean Stone, Russell Means, Arlis Howard, Lanny Flaherty, Pruitt Taylor Vince, O-Lan Jones, Richard Lineback, Kirk Baltz, Ed White u.a.

Genre Drama, Satire
Filmlänge 118 Minuten
Deutschlandstart
27. Oktober 1994
Inhalt

Sie bringen in drei Wochen 52 Menschen um und werden zu gefeierten Stars. Die beiden Killer, die Medien und die sensationsgeile Öffentlichkeit schrauben sich in ihrer Gier nach Mehr immer weiter in den Blutrausch. Mickey & Mallory … stets lassen sie an den Schauplätzen ihrer kaltblütig und brutal ausgeführten Verbrechen einen Überlebenden zurück, der von den "M & M Murders" berichten kann.

Die Medien senden es und das ganze Land hört zu. Schließlich werden die Killer gefasst.

Ein Reporter bekommt ein Exklusiv-Interview. Live in der Zelle. Es kommt zur nächsten Katastrophe …

Was zu sagen wäre

Mickey und Mallory. Albtraumgeboren. Er als Junge von alkoholisierten Eltern verprügelt, bis Dad sich das Gewehr in den Mund steckte. Sie immer weder von ihrem schwabbelnd speckigen Vater missbraucht, beim kleinen Bruder neben ihr ist unklar, ob er ihr Bruder oder ihr Sohn ist. Wie hätten aus den beiden wertvolle Mitglieder der Gesellschaft werden sollen? Und was für eine Gesellschaft soll das eigentlich sein? In Oliver Stones Film taucht keine auf, in der der Anstand regieren würde. M&M sind nur die Speerspitze der Verdorbenheit in dieser Welt da auf der Leinwand, in der Männer in Bars nur ans Ficken denken, Frauen feige Vetteln sind, die Limonenkuchen im örtlichen Diner verkaufen und den Missbrauch ihrer Kinder decken, in der Cops in der Freizeit Prostituierte ermorden, Gefängnisdirektoren verschlagene Sadisten sind und Fernsehmoderatoren für die Quote über Leichen gehen und ihre Zuschauer pauschal für degenerierte Zombies halten. Andere Menschen gibt es nicht in "Natural Born Killers", es sei denn, wir nehmen noch die Strafgefangenen dazu, die live im Fernsehen eine Gefängnisrevolte vom Zaun brechen.

Bilderrausch für einen Blutrausch. Oliver Stone hat keine hohe Meinung von der Welt um ihn herum und er nimmt da auch kein Blatt vor den Mund. Erster Eindruck: Er schlägt der Gesellschaft seine Wut über deren Verkommenheit in die Fresse. Ein rasender Wechsel von Farbe und Schwarz-Weiß, Comic, Realfilm, News-Footage und dazwischen die enthemmte, entfesselte Öffentlichkeit auf beiden Seiten der Kamera – hier das Killerpärchen, da die Zuschauer, dort die quotengeilen Medienkonzerne. Mehr kann man nicht in einen Film stopfen. Das ursprüngliche Drehbuch hat Quentin Tarantino geschrieben, damals in der Brache noch ein unbeschriebenes Blatt. Der wollte sein Buch gerne selbst verfilmen, bekam aber nicht das nötige Produktionsgeld zusammen. Stattdessen drehte er Reservoir Dogs. Der wurde sehr erfolgreich, Tarantino hätte nun sein NBK-Buch verfilmen können, steckte aber schon in Vorbereitung zu Pulp Fiction. Daraufhin erwarb Oliver Stone die Rechte an dem Drehbuch und überarbeitete es für seinen Film komplett; die Geschichte blieb zwar in allen wesentlichen Punkten erhalten, jedoch vor allem die Dialoge wurden sehr zum Ärger Tarantinos stark verändert. 

Oliver Stone inszeniert die Blutserie als romantisches Märchen (Zwischen Himmel und Hölle – 1993; JFK – Tatort Dallas – 1991; The Doors – 1991; Geboren am 4. Juli – 1989; "Talk Radio" – 1988; Wall Street – 1987; Salvador – 1986; Platoon – 1986; Die Hand – 1981; Die Herrscherin des Bösen – 1974). Plakatmotiv: Natural Born Killers (1994)Im Mittelpunkt steht ein Liebespaar, das sich bisweilen wegen Nichtigkeiten in die Haare kriegt, um sich dann leidenschaftlich wieder zu versöhnen. Mallorys Kindheit inszeniert er in grellen Kulissen als Sitcom mit eingespielten Lachern vom Publikum. Wenn Dad im fleckigen Feinrippunterhemd mault, er sei arbeitslos: dreckiges Gelächter. Wenn Dad seine Tochter anherrscht, sie soll sich duschen gehen, er komme gleich zu ihr hoch, um es ihr „zu besorgen“: schallendes Gelächter vom Band. Lange Fahrten über die sonnenbeschienen Highways Amerikas inszeniert Stone vor Leinwänden, auf denen die Landschaft in Schwarz-Weiß vorbei rauscht oder Pferde galoppieren. Mal lässt er das Liebespaar als unförmige Comicfiguren über die Leinwand marodieren. Er schleudert seinen Zuschauern seine Wahrheiten um die Augen und distanziert sich im gleichen Augenblick von ihnen.

Diese Mischung aus Realfilm, Videoclip und Comic-Strip macht es schwer, der Geschichte zu folgen, die harte Brutalität, der wilde, keiner Logik folgende Wechsel von grellen Farben, Motiven und Genres lenkt davon ab, sich mit Stones Anklage auseinanderzusetzen. Zumal man selbst zum den Angeklagten seines Films gehört, schließich hat man sich ja eben erst eine Eintrittskarte für einen Film über ein Amok laufendes Killerpärchen gekauft. Der Voyeur des Blutgen Spektakels bin ich. Das Killerpaar wird gespielt von einem tiefenentspannten Woody Harrelson (Machen wir's wie Cowboys – 1994; Ein unmoralisches Angebot – 1993; "Weiße Jungs bringen's nicht" – 1992; Doc Hollywood – 1991; L.A. Story – 1991; She's Having a Baby – 1988), der in einem Liveinterview im Gefängnis nonchalant erklärt, er verstehe überhaupt nicht, wieso er als Böser hingestellt werde. Jede Spezies gehe sich gegenseitig an den Kragen, „mordet andere Spezies. Die Menschen morden halt alle Spezies. Das ist die Natur“. Zu töten bereitet ihm, Mickey, halt Freude. Juliette Lewis (Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa – 1993; Kalifornia – 1993; Ehemänner und Ehefrauen – 1992; Kap der Angst – 1991; Meine Stiefmutter ist ein Alien – 1988) gibt die Mallory als bebendes Energiebündel an seiner Seite. Lewis kann in einem Wimpernschlag umschalten von verführerisch auf sadistisch, bei ihrer Mallory darf sich kein Mann sicher sein – und im Übrigen auch keine Frau, wenn die ihr gerade im Weg ist.

"Natural Bor Killers" fragt sich, was was bedingt. Morden bestimmte Menschen aus Instinkt? Aus reiner Lust? Oder, weil sie auf diese Weise landesweit in die Nachrichten kommen? Im Film wird eine Straßenumfrage eingeblendet, in der alle Befragten zwar sagen, sie würden niemals jemanden ermorden, das sei schlecht oder sogar böse, dann aber Sympathie für das Killerpärchen erkennen lassen, weil sie es so toll anarchisch finden. Und: Berichtet das Fernsehen als Chronist? Oder will es eine Sensationsgier der Massen befriedigen – wir kennen diese Gier vom Unfall auf der Autobahn, an dem viele Autofahrer betont langsam vorbeifahren und ganz mit Glotzen beschäftigt sind –, mit deren Einschaltreflex die Sender teure Werbeplätze verkaufen.

Es gibt viel zu diskutieren nach dieser sehr frischen Version des medienkritischen Klassikers Network (1976) von Sidney Lumet. Wir müssen dafür allerdings zunächst die komplexen, kritischen Punkte aus dem artifiziellen Wust an Bildern freilegen.

Wertung: 9 von 10 D-Mark
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