Der Mann ohne Namen hat auch keine Erinnerung mehr. Aber er ist fit genug, da draußen in der Prärie, als er unbewaffnet aus der Ohnmacht erwacht, drei bewaffnete Reiter vom Pferd zu holen und kalt zu machen. In der nahen Stadt, in dem er eine – rätselhafte – Wunde versorgen lässt, treten sie ihm mit Angst entgegen. Angst und Respekt. Immerhin hat er gerade dem arroganten, schießwütigen Sohn des großen Viehbarons Dollarhyde in die Eier getreten. Andererseits hält ihm der Sheriff einen Steckbrief unter die Nase, darauf sein Gesicht, darunter der Name Lonergan, Jake Lonergan. Er kann sich nicht erinnern. Und sitzt schon hinter Gittern.
Irgendwo gab es da eine Frau, aber nicht die, die jetzt an ihm hängt, wie eine Klette. Die Erinnerung an diese Frau passt nicht zusammen mit dem Image des Goldräubers, der Lonergan sein soll. Und das spielt auch schon keine Rolle mehr, denn seltsame fliegende Eisenwesen fallen über die Stadt her und rauben jede Menge Einwohner. Erst Lonergan kann sie vertreiben – mithilfe des Dings, das er an seinem rechten Handgelenk hat, ohne zu wissen, was das ist oder wie es da hin gekommen ist. Jedenfalls verschießt es blaue Blitze und vertreibt die fliegenden Dinger.
Jetzt müssen nur noch die geklauten Menschen – Familienangehörige, Freunde – befreit werden. Unter Führung des Viehbarons und des Mannes ohne Namen macht sich ein bnuter Trupp inklusive schöner, rätselhafter Frau und wimmerndem Teenager auf, die „Dämonen” zu jagen und zu vernichten. Das gestaltet sich umständlicher, als gedacht, denn unterwegs lauern Räuberbanden und Apachen …
Viele Autoren verderben den Spaß. Das bunte Prärie-Abenteuer ist zu lang geraten und wirkt (bei der stattlichen Anzahl von Drehbuch-Autoren und -Mitschreibern), als habe sich am Ende niemand mehr getraut, einen Handlungsfaden zu kippen, aus Angst, einer der anderen könnte beleidigt sein und den eigenen Handlungsfaden zur Disposition stellen. Aber so funktioniert das System „Hollywood” eben: Es wird so lange neu und umgeschrieben, bis das Drehbuch allen Belangen und Bedürfnissen einer durch Marktforschung definierten Zielgruppe gehorcht, alle Fangruppen, die im Internet toben, still gelegt sind und ein Regisseur sagt „Okay, ich mach's”. Zu diesem System gehört auch, dass das Produkt, das am Ende auf der Leinwand zu sehen ist, irgendwie kurzweilig ist, unterhält oder zumindest nicht langweilt.
Schon heute ein Genre-Klassiker
Insofern ist "Cowboys und Aliens" schon heute ein Klassiker dieses neuen Genres: Keine stringente Story, aber für jeden etwas und jede Minderheit ordentlich moralisch-korrekt abgebildet. Böse sind am Ende wirklich nur die Aliens. Selbst der zu Beginn sehr sehr böse Viehbaron ist eigentlich nur ein wegen der vielen Arbeit seinen Sohn vernachlässigender – und unter diesem Umstand leidender – Vater. Die Indianer sind sowieso ehrenvoll, die Räuberbande eigentlich nur sozial herausgeforderte Männer, denen ihre Herkunft die Zukunft verbaut hat und die atemberaubend schöne Frau, die jede Kinogängerin erblassen lässt, ist gar kein nach Schönheitheit schielender Mensch, sondern nur ein Alien, das menschliche Gestalt angenommen hat, um unauffällig unter den Menschen wandeln zu können. Und weil's ein Film für die ganze Familie sein muss – speziell für zahlungsfreudige Teenager – wird heutzutage auch der 14-jährige Knirps aufgenommen in den Suchtrupp, der sich selbstredend heldenhaft schlägt, unterwegs – angelernt von einem stoisch unaufgeregten Daniel Craig ("Unbeugsam" – 2008; James Bond 007 – Ein Quantum Trost – 2008; "Der goldene Kompass" – 2007).
Die Regie hat Jon Favreau übernommen, der 2008 Marvels Comic-Helden Iron Man zu spektakulärem Leinwanderfolg verholfen hat. Der Mann kennt die Fallstricke dieses Zielgruppen-übergreifenden Kinokosmos′ – und er kann was (Iron Man 2 – 2010; Zathura – Ein Abenteuer im Weltraum – 2005). Deshalb ist auch "Cowboys und Aliens" nicht so schlecht, wie das jetzt zwei Absätze lang geklungen hat. Der Film ist etwas lang geraten, macht aber Spaß. Man darf es halt nur nicht hinterfragen. Favreau präsentiert alles, was ein Western so braucht: Wildes Galopp, atemberaubend schöne Cinemascope-Landschaften, wortkarge Männer, stolze Indianer, Brillen tragende Kopfmenschen, die dringend das Schießen lernen müssen (und das auch tun), krachende Action und verzweifelte Küsse. Eigentlich fehlt – „Zieh, Fremder!” – nur das Duell. Aber dafür gibt es ja die Aliens, die in ihrer ganzen goldgierigen Bösartigkeit am Ende aus ganz üblen Charakteren durch Gehirnwäsche ganz liebe Menschen machen, die aus einem runtergekommenen Kaff ein prosperierendes, aufstrebendes Städtchen machen.
Die umständliche Harrison-Ford-Figur
Das Kuckucksei im Kinounterhaltungsnest ist die Figur des bösen Viehbarons Woodrow Dollarhyde, der von Harrison Ford interpretiert wird. Dem mag man nun nicht zumuten, dass der zu Beginn seiner ausklingenden Karriere ein Arschloch geben muss (Morning Glory – 2010; Firewall – 2006; K-19 – Showdown in der Tiefe – 2002; Schatten der Wahrheit – 2000; Begegnung des Schicksals – 1999; Sechs Tage, sieben Nächte – 1998; Air Force One – 1997; Vertrauter Feind – 1997; Das Kartell – 1994; Auf der Flucht – 1993; Die Stunde der Patrioten – 1992; In Sachen Henry – 1991; Aus Mangel an Beweisen – 1990; Die Waffen der Frauen – 1988; Frantic – 1988; Mosquito Coast – 1986; Der einzige Zeuge – 1985; Blade Runner – 1982; Ein Rabbi im Wilden Westen – 1979; Apocalypse Now – 1979; Krieg der Sterne – 1977; "Der Dialog" – 1974; American Graffiti – 1973), also muss Saulus umständlich zum Paulus gepatcht werden. Um das wenigstens ein bisschen glaubhaft erscheinen zu lassen, haben sich die Autoren (s.o.) in vielen Handlungssträngen die Finger wund schreiben müssen. Einfacher wär's gewesen, Sean Bean als Viehbaron zu besetzen – der spielt ohnehin meistens den Schurken. Dann wäre der Film auch leicht eine halbe Stunde kürzer gewesen. Und billiger.
Und Olivia Wilde (aus der TV-Serie "Dr. House"), die mit Tron: Legacy (2010), In Time (2011) und jetzt "Cowboys …" gerade ein kleines Hoch in ihrer Karriere feiert, ist wirklich ein atemberaubend schöner Spezialeffekt.