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Plakatmotiv: In Sachen Henry (1991)

Ein bemerkenswerter Harrison Ford
in einer kitschigen Menschwerdung

Titel In Sachen Henry
(Regarding Henry)
Drehbuch J.J. Abrams
Regie Mike Nichols, USA 1991
Darsteller

Harrison Ford, Annette Bening, Bill Nunn, Mikki Allen, Rebecca Miller, Bruce Altman, Elizabeth Wilson, Donald Moffat, John Leguizamo, Robin Bartlett, James Rebhorn, J. J. Abrams, Michael Haley, Stanley Swerdlow, Julie Follansbee, Kamian Allen, Aida Linares, John MacKay, Mary Gilbert, Peter Appel, Harsh Nayyar u.a.

Genre Drama
Filmlänge 108 Minuten
Deutschlandstart
26. September 1991
Inhalt

Henry Turner ist ein gefeierter Erfolgsanwalt in einer renommierten New Yorker Kanzlei. In eigenen Kreisen gilt er als professionell. Doch tatsächlich ist er kaltschnäuzig und unsympathisch und gewinnt aussichtslose Fälle mit Hilfe fragwürdiger Methoden. Dank seines Erfolges lebt er zusammen mit seiner Frau Sarah und seiner kleinen Tochter in luxuriösen Verhältnissen, interessiert sich aber kaum für familiäre Belange.

Eines Abends verlässt Henry das Haus, um Zigaretten zu holen. Er wird Zeuge eines Raubüberfalls und wird mit einem Kopfschuss niedergestreckt. Mit viel Glück überlebt Henry, doch er kann nicht mehr sprechen, nicht mehr gehen und kann sich an nichts mehr aus seinem Leben erinnern. Wie ein kleines Kind muss Henry alles noch einmal neu erlernen. Er wird gefüttert und in der Rehabilitation wieder aufgebaut und trainiert.

Nach einem langen Klinikaufenthalt wird Henry wieder in sein altes Leben entlassen. Ihn empfangen ein Haus und eine Familie, an welche er sich nicht mehr erinnert. Mit den Wochen der Rekonvaleszenz wird ihm nach und nach klar, mit welcher Intoleranz und Kälte er gelebt hat und blickt widerwillig in die Akten seiner Fälle, die er mit boshafter Zielstrebigkeit zugunsten der Firma auf dem Rücken der Leidtragenden bearbeitet hat … 

Was zu sagen wäre

Wenn Hollywood auf Fantasy schaltet, schraubt es sich immer zur Hochform auf. Da schöpft das Kino aus dem Vollen der schönen Träume und muss sich nicht mit den Abgründen des Alltäglichen herumplagen.

Auf den ersten Blick haben wir die dramatische Geschichte eines Mannes, der einen Neuanfang geschenkt bekommt. Das ist auch gut so, für die Gesellschaft, die einfachen Leute, deren Vertreter die Mehrheit in den Kinosälen bilden. Denn der Mann war ein rücksichtsloser Mensch – im Hollywoodkino gleichbedeutend mit "Anwalt". Er unterschlug Aussagen vor Gericht um ein Urteil zu seinen Gunsten zu bekommen und hat auch sonst nichts anbrennen lassen; eine Affaire mit der attraktiven Kollegin hatte er natürlich auch. Ausgleichende Gerechtigkeit: Auch die Gattin des Ekels hatte eine Affaire, mit dem Partner ihres Mannes.

Dann wird dem Mann in den Kopf geschossen. Er muss alles neu lernen, ist wie ein Kind, was dazu führt, dass er sich plötzlich super mit seiner Tochter versteht, die er vorher als Statussymbol gesehen hat, das Leistung bringen muss und die ihm jetzt das Lesen beibringt. Und so wird das Ekel ein ganz neuer Mensch, sensibel, freundlich, bescheiden. Er findet seinen Platz in der Gesellschaft und wandelt sich zu einem liebenden Vater und Ehemann. Den Luxus lässt er hinter sich. Die Liebe gewinnt. Hurra.

Und hier beginnt die Fantasy: Als Anwalt will der Mann, Henry heißt er, nicht mehr arbeiten. Vom Einkommen seiner Frau wird die dreiköpfige Familie kaum leben können, es sie denn sie zieht weg aus dem teuren Pflaster New York nach, na sagen wir, Ohio oder so. Das ist aber nicht mehrt Thema des Films. Den Film interessiert nur, wie dieser Henry nach dem Schuss zurück ins Leben findet; und Mike Nichols inszeniert das in schönen, warmen Bildern.

Nichols ist ein sensibler Handwerker, der seine Schauspieler präzise steuert. Den besten Auftritt liefert Harrison Ford als Mann, der ganz von vorne anfangen muss. Ford kann sich nicht auf seine Physis verlassen, wie in vielen anderer seiner Rollen (Aus Mangel an Beweisen – 1990; Indiana Jones und der letzte Kreuzzug – 1989; Die Waffen der Frauen – 1988; Frantic – 1988; Mosquito Coast – 1986; Der einzige Zeuge – 1985; Blade Runner – 1982; Jäger des verlorenen Schatzes – 1981; Das Imperium schlägt zurück – 1980; Ein Rabbi im Wilden Westen – 1979; Apocalypse Now – 1979; Krieg der Sterne – 1977; "Der Dialog" – 1974; American Graffiti – 1973). Aber was ist eigentlich seine Titelrolle genau? Eine Rolle, um sich als Oscarkandidat bekannt zu machen (was nicht geklappt hat). Ford wäre nicht der erste gewesen, der mit der Rolle eines gesundheitlich Gezeichneten nominiert worden wäre. Aber mehr steckt in ihr nicht drin.

Die Titelrolle des Henry ist ein Katalysator. Henrys Schicksal verändert die Gesellschaft um ihn herum, beziehungsweise, bringt diese Gesellschaft dazu, ihr wahres Gesicht zu zeigen. Die besten Freunde, die sich lustig machen über den kranken Mann mit den Erinnerungslücken. Er bietet keinen wirtschaftlichen Mehrwert mehr, also wird er langsam aussortiert. Die feine Gesellschaft und die Masken, mit denen sie ihr wahres Ich verbirgt, ist das immer wiederkehrende Thema des Regisseurs Mike Nichols ("Grüße aus Hollywood" – 1990; Die Waffen der Frauen – 1988; Sodbrennen – 1986; "Silkwood" – 1983; Die Kunst zu lieben – 1971; Catch 22 – Der böse Trick – 1970; Die Reifeprüfung – 1967; Wer hat Angst vor Virginia Woolf? – 1966). Das dramaturgisch Schwierige ist an diesem Film ist, dass erstens die Masken und der Zynismus dahinter niemanden im Kinosessel überraschen und zweitens, dass am Ende diese fröhliche Himmelfahrt steht.

Soll ich wirklich glauben, dass der ehemalige Staranwalt mit seinem Luxusweibchen und der lieben Tochter mit irgendeinem 9-to-5-Job glücklich wird und schwitzend die Raten des Häuschens abbezahlt. Der Film ist eine Sehnsucht nach der besseren Welt. Gut gespielt. Aber nicht spannend.

Wertung: 4 von 10 D-Mark
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