In Nightmute, einem abgelegenen Städtchen in Alaska, soll Detectiv Will Dormer den Mordfall an einer 17-Jährigen aufklären. Kommissarin Ellie Burr von der lokalen Dienststelle, voller Bewunderung für den Kollegen aus der Großstadt, steht ihm zur Seite.
Doch der von Schlaflosigkeit geplagte Dormer – in den arktischen Sommernächten wird es nicht dunkel – wirkt zunehmend verwirrt, wahnhaft. Ein Strudel von Gewissenskonflikten tut sich in ihm auf. Die Handlung nimmt eine unerwartete Wendung, als Dormer während der Verfolgung des Hauptverdächtigen Walter Finch versehentlich seinen Assistenten Eckhart erschießt, der im Begriff stand, ihn wegen einer jahrelang zurückliegenden dienstlichen Verfehlung zu verraten. Finch hat den Vorfall beobachtet und beginnt, Dormer zu erpressen.
Der Schlafmangel und seine moralische Zerrüttung treiben den Kommissar an den Rand des Zusammenbruchs …
Der Beruf des Polizisten ist traumatisierend. Er oder sie hat es täglich mit verschlagenen Menschen zu tun, mit Räubern, die sich auf eine bittere Kindheit rausreden, mit Zeugen, die lügen, mit Mord und Totschlag, für den niemand verantwortlich sein will, mit überführten Tätern, die wegen eines Verfahrensfehlers auf freien Fuß gesetzt werden. Ob das im realen Leben so ist, erscheint möglich, auf jeden Fall ist es so im Leben vieler Kinopolizisten.
Im vorliegenden Fall spielt Al Pacino einen Polizisten, wahrlich nicht zum ersten Mal in seiner langen Karriere (An jedem verdammten Sonntag – 1999; Insider – 1999; Im Auftrag des Teufels – 1997; City Hall – 1996; Heat – 1995; Carlito's Way – 1993; Der Duft der Frauen – 1992; Glengarry Glen Ross – 1992; Frankie und Johnny – 1991; Der Pate III – 1990; Dick Tracy – 1990; Sea of Love – 1989; Scarface – 1983; Cruising – 1980; …und Gerechtigkeit für alle – 1979; Bobby Deerfield – 1977; Hundstage – 1975; Der Pate II – 1974; Serpico – 1973; Der Pate – 1972), der in Los Angeles einen hohen Erfolgsquotienten hat, dabei aber offenbar nicht immer mit legalen Mitteln vorgegangen ist – die internen Ermittler hängen ihm deshalb an den Fersen. Das offenbart sich dem Zuschauer aber nicht im hitzigen Los Angeles, sondern im kalten Norden, in der menschenleeren Wildnis Alaskas, in der es nie dunkel wird, also quasi zwangsläufig alles ans Tageslicht kommen muss.
Pacino ist der Cop mit Vergangenheit und Schlafproblemen, der aus Versehen – im Kinosessel sind wir Zeuge, dass er auf einen Schemen schießt, der nicht klar erkennbar ist – seinen Partner erschießt und bald selbst nicht mehr weiß, warum; sein Partner wollte den internen Ermittlern in Los Angeles Rede und Antwort stehen und damit Pacinos Will Dormer hinhängen. Als Dormer seinen Partner erschießt, sehen wir nur einen Schatten im Nebel, aber letzte Gewissheit haben wir nicht, zumal auch Dormer, des Zuschauers Kronzeuge, zweifelt und in der Folge Beweise fälscht – im hohen Norden geht die Sonne nicht unter, Dormer kann nächtelang nicht schlafen, Al Pacinos Augenringe erscheinen noch tiefer als ohnehin schon.
Christopher Nolan mag offenbar Geschichten, in denen man der Wahrnehmung der Realität nicht mehr trauen kann. In seinem viel beachteten Frühwerk Memento (2000) hat er einen Mordfall rückwärts erzählt und damit seine Zuschauer gezwungen, immer wieder noch mal neu hinzusehen, jetzt schickt er seinen Protagonisten in eine mehrtägige Schlaflosigkeit, die jeden Realitätssinn raubt. Nolan inszeniert ein Krimidrama mit Talking Heads. So beeindruckend die Landschaft Alaskas ist, Nolan reduziert diese Landschaftspanoramen auf ein Minimum, konzentriert sich statt dessen auf die Gesichter seiner Protagonisten, die ihre eigene Einsamkeit mit sich herum tragen. Polizistin Ellie Burr erleben wir nur als Polizistin und Bewunderin des großen LA-Cops Dormer, ein eigenes Privatleben hat sie nicht. „Es gibt zwei Arten von Menschen, die in Alaska leben. Die einen, weil sie hier geboren sind, und die anderen, weil sie hierher kommen, um vor etwas zu flüchten“, heißt es im Film. Ellie ist hier geboren. Die großartige Hilary Swank (The Gift – Die dunkle Gabe – 2000) spielt sie als engagierte Polizistin mit Zweifeln an ihrer eigenen Wahrnehmung – und einsam.
Irgendwann betritt der Mörder die Bühne. Der ist weder, wie anfangs vermutet, ein Serientäter, noch ein geifernder, sexuell motivierter Killer. Es ist Robin Williams in seiner bisher erstaunlichsten Rolle (Tötet Smoochy – 2002; "One Hour Photo" – 2002; "Der 200 Jahre Mann" – 1999; Hinter dem Horizont – 1998; Good Will Hunting - 1997; Flubber – 1997; Jack – 1996; The Birdcage – 1996; Jumanji – 1995; Neun Monate – 1995; Mrs. Doubtfire – 1993; Toys – 1992; Hook – 1991; König der Fischer – 1991; Schatten der Vergangenheit – 1991; Zeit des Erwachens – 1990; Cadillac Man – 1990; Der Club der toten Dichter – 1989; Good Morning, Vietnam – 1987; Garp und wie er die Welt sah – 1982; "Popeye – Der Seemann mit dem harten Schlag" – 1980). Williams' Figur hat nichts Lustiges, Fröhliches. Auch er ist einsam und hat dabei, aus seiner Sicht, einmal zu hart zugeschlagen; das müsse man doch berücksichtigen können. Die (alaskische) Kälte, die Williams in seiner Rolle ausstrahlt, ist beeindruckend, passt schwer zu dem großen Clown vergangener Jahre.
Jeder Mensch lädt im Laufe seines Lebens Schuld auf sich. Jeder Mensch muss seine Schuld in der Folge individuell verarbeiten. Heißt: Am Ende steht ein Pari? Die individuelle Schuld rechnet sich gegeneinander auf? Darum geht es in "Insomnia". Und weil man sich im realen Leben selbst diese Frage kaum einmal stellen muss – der durchschnittliche Zuschauer ist im Mordgeschäft eher nicht zuhause – treibt Christopher Nolan seinen Protagonisten in den Wahn, lässt ihn mehrere Tage nicht schlafen, bis er Traum und Wirklichkeit nicht mehr klar unterscheiden kann.
Mit Al Pacino, Hilary Swank, Robin Williams und der kalten Einsamkeit Alaskas hat Nolan die richtigen Charaktere für seine Zwecke gefunden.