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Plakatmotiv: Club der toten Dichter (1989)

Das Heldenkino feiert den Geist
in konservativ polierter Perfektion

Titel Der Club der toten Dichter
(Dead Poets Society)
Drehbuch Tom Schulman
Regie Peter Weir, USA 1989
Darsteller

Robin Williams, Robert Sean Leonard, Ethan Hawke, Josh Charles, Gale Hansen, Dylan Kussman, Allelon Ruggiero, James Waterston, Norman Lloyd, Kurtwood Smith, Carla Belver, Leon Pownall, George Martin, Joe Aufiery, Matt Carey, Kevin Cooney, Jane Moore, Lara Flynn Boyle, Colin Irving, Alexandra Powers, Melora Walters, Welker White, Steve Matthias, Alan Pottinger, Pamela Borrell u.a.

Genre Drama
Filmlänge 128 Minuten
Deutschlandstart
25. Januar 1990
Inhalt

Herbst 1959: Der schüchterne Todd Anderson wechselt für sein letztes Highschool-Jahr auf eine hoch angesehene Eliteschule. Neu an dem traditionsreichen Internat ist auch der Englischlehrer John Keating, der seine Schüler schon in der ersten Stunde mit ungewöhnlichen Lehrmethoden überrascht. Anstatt dem strikten Lehrplan zu folgen, fordert er die Schüler dazu auf, selbst tätig zu werden und nach ihrer eigenen Inspiration zu suchen.

Während manche von dem Freigeist des leidenschaftlichen Lehrers beseelt werden und aus den Lehren neuen Tatendrang schöpfen, ist das Streben nach Offenheit, Selbstverwirklichung und Originalität für andere eine fast unüberwindbare Herausforderung. Besonders der unter der strengen Bevormundung seines Vaters leidende Neil nimmt sich das Lebensmotto “Carpe Diem” zu Herzen und möchte endlich seinem Traum der Schauspielerei folgen.

Als Neil herausfindet, dass Keating als Schüler dem "Club der toten Dichter" angehörte, dessen Mitglieder sich im Vertrauten trafen, um sich gegenseitig Gedichte vorzulesen, beschließt Neil, den Club wieder ins Leben zu rufen. Doch nicht jeder sieht Keatings freigeistigen Unterrichtstil als Bereicherung …

Was zu sagen wäre

Ich habe immer geglaubt, Erziehung hätte selbständiges Denken zum Ziel“, sagt der Lehrer. „Bei Jungen dieses Alters? Niemals!“, antwortet der Direktor.

Der neue Lehrer lässt die Schüler auf ihre Pulte steigen, damit sie lernen, mal ihre Perspektive zu ändern. Lässt Sie Gedichte vorlesen wie „Pflücke die Knospe, solange es geht, / Und die Blüten, wenn sie noch prangen“ und will dann wissen, was das bedeutet. Dann lässt er sie das Vorwort aus ihrem Lehrbuch reißen, in dem erklärt wird, wie man die Qualität eines Gedichtes berechnen kann. Wir schreiben das Jahr 1959 an einer Eliteschule im ländlichen Vermont. Es gilt ein strenges Regiment, in dem alles klar geregelt ist. Aber wie regelt man Poesie?

Die Macht des Wortes ist stärker als die des Schwertes oder Nicht für das Leben, für die Schule lernen wir. Den zweiten Satz mussten wir in Latein lernen Non vitae sed scholae discimus., weil der Römer Lucius Annaeus Seneca mit diesem Satz die römischen Philosophenschulen seiner Zeit kritisieren wollte. Das war 1959 ähnlich unbekannt, wie an einer Schule in Vermont die Schüler auf Tische steigen zu lassen.

Peter Weir lässt uns die Perspektive wechseln. Er bietet uns schon die Elemente, die zu einem High-School-Film, der immer auch ein Coming-of-Age-Film ist, gehören, also tumbe Football-Riesen, die erste Liebe, ausufernde Parties, geheime Treffen an den Regeln vorbei und das Aufbegehren gegen die Eltern. Das gibt es alles auch in "Der Club der toten Dichter". Das Wichtigste aber, die neue Perspektive ist: An dieser Schule lernen die Schüler nicht durch die Liebe, im Widerstand gegen den Schläger oder den Auftritt auf der Bühne der Schulaula. Hier lernen die Schüler tatsächlich im Unterricht – über die Liebe, über den Mut, über das eigene Ich; sie lernen fürs Leben. Auch der Schüler, der diese Geschichte nicht überlebt, hat doch immerhin kurz seinen Traum gelebt.

Mr. Keating, der neue Lehrer, bringt den Schülern bei, das Literatur nicht Mathematik ist, in der man Formeln lernt und dann rechnen kann. Keating bläst den Schülern den Kopf frei. „Na, dass er's eilig hat“, sagt Knox Overstreet, einer der Schüler auf Keatings Frage, was mit dem Knospen- und Blütenvers oben wohl ist, und Keating antwortet „Nein! Es heißt Nutze den Tag! Carpe Diem, sagt der Lateiner“ und bittet seine Schüler vor die Schaukästen, in denen die schwarz weißen Klassenfotos längst vergangener Tage hängen mit jungen Gesichtern, die hoffnungsvoll, entschlossen in eine Zukunft blicken und viellecht Bankiers wurden, Anwälte, Ärzte, und die heute längst tot sind. Die Kamera fährt nah an die schwarz weißen Gesichter heran, filmt sie einzeln ab, während Keating mit Geisterstimme flüstert „Car-pe Di-eemmm! … Car-pe Di-emm!“ Weir schafft hier eine Horror-Szene voller Geister, die sich vom Leben betrogen fühlen, weil sie es nicht besser gewusst haben. Weil sie niemand auf das Leben vorbereitet hat. Ein Leben, das an dieser Eliteschule meist den Traum der Eltern erfüllen soll – Mein Junge soll es einmal besser haben!

Nicht alle Jungs werden es besser haben, einer stirbt, einer wird der Schule verwiesen. Die Erfolgsquote des unorthodoxen Lehrers ist fragwürdig, jedenfalls bei den vier im Zentrum der Geschichte stehenden Jungs. Keating hat aber das gesamte aufgeklärte Publikum des auslaufenden 20. Jahrhunderts auf seiner Seite, das sich hier kräftig selbst auf die Schulter klopft. In weiten Teilen der heutigen Gesellschaft gehört die schwarze Pädagogik des Verbietens und streng Reglementierens längst zu den No Gos in der Bildungspolitik und man kann dem Film seine konservative Perfektion vorhalten angesichts einer Story, die die Revolution feiert. Diese Story, die keine große Überraschung birgt, die auch ohne echten Schurken auskommen muss, schreit eigentlich nach Revolution auf dem Regiestuhl. Weir hat sich für den polierten, gut duschdeklinierten Stil entschieden. Sein Director of Photography John Seale taucht die Heldengeschichte in das leuchtende Gelb des Herbstes, das triste Grau eines nebligen Wintermorgens, die Bilder passen sich der Stimmung ihrer Geschichte, der Gefühlslage der Protagonisten an. An deren Spitze als tapferer Lehrer steht Robin Williams, einer der interessantesten Schauspieler der vergangenen Jahre (Good Morning, Vietnam – 1987; Garp und wie er die Welt sah – 1982; Popeye - Der Seemann mit dem harten Schlag – 1980). Williams ist ein Clown, kommt aus der Stand Up Comedy, die als härteste Schule für Komiker gilt. Als Lehrer Keating hält er sich zurück, spielt die sanfte, melancholische Seite des Clowns aus. Aber wenn er dann kurz mal Shakespeare rezitiert, erst als altehrwürdiger Bühnenschauspieler, dann als Marlon Brando, dann als John Wayne, dann liegt man schnell unterm Kinosessel vor Lachen.

"Dead Poets Society" beweist, dass die Dichter nur biologisch tot sind. Ihre Verse, ihre Sehnsüchte leben spätestens mit diesem Film wieder auf, der die Sprache feiert, den Geist, das Individuum, die Freiheit des Denkens. Ohne in den Kitsch abzugleiten, an deren Kante er elegant und trittsicher balanciert. Das liegt daran, dass die Geschichte zwar erfunden ist, ihre Haltung aber auf den Erinnerungen von Drehbuchautor Tom Schulman basieren. Er ließ sich beim Schreiben von seiner Schulzeit an der konservativen Montgomery Bell Academy inspirieren. Der Enthusiasmus seines Englischlehrers Sam Pickering führte zum Entwurf des fiktiven Lehrers John Keating. Der im Englischunterricht zitierte Philologe "Dr. J. Evans Pritchard", der die Qualität von Lyrik durch Formeln errechnen lässt, ist freilich erfunden. Das angeblich von ihm verfasste und im Unterricht vorgelesene Essay Vom Verständnis der Lyrik ist eine fast wörtliche Übernahme aus "Sound and Sense: An Introduction to Poetry" des US-amerikanischen Literaturprofessors Laurence Perrine (1915–1995), dessen Werke im Englischunterricht zahlreicher Schulen der Vereinigten Staaten Unterrichtsmaterial waren.

Der Film endet nicht in Happy Go Lucky. Es liegen sich nicht alle in den Armen. Aber einer steigt am Ende auf sein Pult und ruft „O Captain, mein Captain!

Wertung: 7 von 10 D-Mark
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