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Plakatmotiv: The Menu (2022)

Essen! Eine Konzentration
auf das Wesentliche

Titel The Menu
(The Menu)
Drehbuch Seth Reiss & Will Tracy
Regie Mark Mylod, USA 2022
Darsteller

Ralph Fiennes, Anya Taylor-Joy, Nicholas Hoult, Hong Chau, Janet McTeer, Paul Adelstein, John Leguizamo, Aimee Carrero, Reed Birney, Judith Light, Rebecca Koon, Rob Yang, Arturo Castro, Mark St. Cyr, Peter Grosz, Christina Brucato, Adam Aalderks, Jon Paul Allyn u.a.

Genre Komödie, Thriller
Filmlänge 107 Minuten
Deutschlandstart
17. November 2022
Website the-menu.com
Inhalt

Tyler reist mit seiner neuen geliebten Margot zu einem kulinarischen Event der – nicht der gehobenen Art, sondern der – höchsten Art: Ein exklusiver Dinnerabend auf einer abgelegenen Insel vor der US-Küste im Restaurant "Hawthorn" des gefeierten Küchenchefs Julian Slowik. Gemeinsam mit zehn anderen geladenen Gästen werden beide von der Oberkellnerin Elsa in Empfang genommen und über die Insel geführt, auf der alle Zutaten des abendlichen Menüs selbst angebaut werden.

Das nur mit einer kaum zu bekommenden Einladung zur erreichende Restaurant bestätigt alle Wünsche seiner Gäste: Die Speisekarte enthält Überraschungen, mit denen niemand gerechnet hat – und ehrlich gesagt auch niemand rechnen wollte …

Was zu sagen wäre

Essen ist wertvoll. Die Nahrungsaufnahme ist ein lebensnotwendiger Akt. Und wir reden hier nicht von der Einnahme von Analogkäse, Pizza Hawaii und ähnlichen Verirrungen der billigen Gewinnmaximierung am Herd. Da der Mensch ohne Nahrungsaufnahme stirbt, kann man den Akt der Nahrungsaufnahme mit ein bisschen Blasphemie als heiligen Akt bezeichnen. Kein Wunder also, dass es Menschen gibt, die um die halbe Welt fliegen, um bei einem Drei-Sterne-Koch das Hochamt der Kulinarik zu feiern. Den meisten freilich reicht es, Johann Lafer, Tim Mälzer oder Steffen Henssler im Fernsehen zuzuschauen und dann doch zur Frittenbude an der Ecke zu gehen. Die einen reden übers Essen, die anderen essen einfach. Plakatmotiv: The Menu (2022) Hinter all dem steht die Frage: Welches Menü ist 1.250 Dollar wert? Und warum? Einfache Antwort: Weil es Leute gibt, die das bezahlen. Egal was man ihnen vorsetzt. Auch davon handelt dieser Film.

Das Titelgericht dieses Films kostet 1.250 Dollar pro Person. Der Starkoch, Julian Slowik, hat eine illustre Schar von mutmaßlichen Feinschmeckern zu einem Abend auf seine Insel eingeladen, der in Erinnerung bleiben soll. Darunter die scharfzüngige Gourmetkritikerin Lillian und ihr Verlagspartner Ted, die schon einige Restaurants in die Pleite geschrieben haben, das Ehepaar Liebbrandt, zu dessen Lebensstil es gehört, nur von den Besten bekocht zu werden, ein ehemals angesagter Schauspieler, der sich immer noch für bedeutend hält, ein paar eingebildete Jungmillionäre mit Beziehungen zum Investor des Restaurants. Und Tyler.

Tyler ist ein Schnösel, wahrscheinlich. So genau wissen wir das nicht, wir lernen ihn nicht näher kennen, als dass er kritiklos alles, was der gefeierte Maitre ihm vorsetzt, als den Gipfel des Geschmackserlebnisses preist und noch seiner Begleiterin Margot, die den ganzen Zauber ganz umzauberhaft findet, die Geschmacksknospen vom Teller fischt. Margot ist der Fremdkörper im Film. Sie passt nicht in die Runde der illustren Esser, ist der Fehler im System. Die angetrunkene alte Frau, die an einem Tisch in der Ecke sitzt und immer wieder ihr halb geleertes Weinglas nachfüllen lässt. Die irritierten Blicke, die der ältliche Mister Liebbrandt Margot zuwirft. Das ist der Spaß dieses Films, das Soufflé Surprise sozusagen, dass hier immer irgendwas nicht ins Bild passt. Was haben schweigsame Muskelberge mit finsterer Miene in einem Tempel der Haute Cuisine zu suchen? Wie soll ein 1.250-Dollar-Menu entstehen, das von sich behauptet, ausschließlich aus Bestandteilen der kargen Insellandschaft zu bestehen, auf der wir uns befinden? Einmal sehen wir einen Muschelfischer. Aber sonst sieht alles nach Holz und Sand aus und prompt ist „gefrorenes Meerwasser“ Bestandteil des Menüs. Man muss ein großes Rätsel aufbauen, wenn man als Drehbuchautor einen Film übers Kochen machen will, ohne dabei ins Feelgood-Movie à la Kiss the Cook (2014) abzudriften.

Das Schöne an "The Menu" ist, dass der Film das große Rätsel nicht nötig hat. Der Film ist wie Pixars Hauptgericht in Ratatouille, in dem aus einfachsten – aber perfekten – Zutaten ein Gericht entsteht, dem sich sogar der große Gastrozyniker nicht mehr entziehen kann. Für "The Menu" setzt sich Mark Mylod auf den Regiestuhl, der erst mit Verspätung an Bord kam, nachdem Alexander Payne (Downsizing – 2017; The Descendants – 2011; Sideways – 2004; "About Schmidt" – 2002; Election – 1999) und seine gewünschte Hauptdarstellerin Emma Stone (Cruella – 2021; La La Land – 2016; Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) – 2014; Gangster Squad – 2013; The Amazing Spider-Man – 2012; The Help – 2011; Crazy, Stupid, Love – 2011; "Einfach zu haben" – 2010; Zombieland – 2009) aus Termingründen abwinken mussten. Mylod würzt seine erste große Studioproduktion seit "Der perfekte Ex" (2011) mit feinem, gut abgeschmeckten Schauspiel, statt mit krachenden Wendungen. Plakatmotiv: The Menu (2022) Natürlich ist Anya Taylor-Joy gerade in aller Munde; ob als Schachspielerin in der Streamingserie "Das Damengambit" oder als widerstandsfähiges Beinahe-Opfer einer multiplen Killerpersönlichkeit in Split und Glass, oder als selbstbewusste Lady im 18. Jahrhundert in "Emma.", Taylor-Joy hat sich bislang erfolgreich vom mit Gewalt an ihre Türen donnernden High-Budget-Kino ferngehalten – ihr Auftritt in X-Men: New Mutants ist dank äußerer Umstände selig in Vergessenheit geraten. Bemerkenswert gelingt ihr hier der Spagat zwischen dem gelangweilten Trophy-Wife in Seide und dem Straßenköter, der das Flair der Gosse nie ganz ablegen kann; wobei Mylods Sympathien in dem hehren Rund aus Schönen und Reichen klar bei der Gosse liegen. Der Film braucht nicht lange, um in Taylor-Joy neben den ganzen Karikaturen reicher Typen die eigentliche Hauptfigur des Thrillers zu erkennen. Ja, es wird ein Thriller, denn ihr Gegenspieler ist der erratische Koch, der ganz unerwartet in ihr eine Gleichgesinnte erkennt. Ralph Fiennes spielt ihn mit dem waidwunden Blick eines Menschen, der seine geliebte Kunst an teuer bezahlenden Kretins vergeudet (The King's Man – 2021; James Bond 007: Keine Zeit zu sterben – 2021; Hail, Caesar! – 2016; James Bond 007: Spectre – 2015; Grand Budapest Hotel – 2014; James Bond 007: Skyfall – 2012; Zorn der Titanen – 2012; Coriolanus – 2011; Kampf der Titanen – 2010; "Tödliches Kommando – The Hurt Locker" – 2008; Harry Potter und der Feuerkelch – 2005; Roter Drache – 2002; Mit Schirm, Charme und Melone – 1998; Der englische Patient – 1996; Strange Days – 1995; "Quiz Show" – 1994; Schindlers Liste – 1993). Als Toppings werden der einstmals für schräge Figuren gesetzte John Leguizamo (John Wick: Kapitel 2 – 2017; 11:55 – 2016; John Wick – 2014; Kiss the Cook – 2014; Kick-Ass 2 – 2013; Der Mandant – 2011; Gamer – 2009; Collateral Damage – Zeit der Vergeltung – 2002; "Moulin Rouge!" – 2001; Spawn – 1997; William Shakespeares Romeo & Julia – 1996; The Fan – 1996; Einsame Entscheidung – 1996; "To Wong Foo, Thanks for Everything! Julie Newmar" – 1995; Carlito's Way – 1993; In Sachen Henry – 1991; Stirb Langsam 2 – 1990) als sinkender Star sowie ein paar echt ätzende Drehbuchfiguren gereicht; Schnösel, wie wir sie aus dem Handbuch für Klischees kennen. Sie alle ergeben einen Mix aus zeitgenössischer Gesellschaft, die erschreckend real ist.

Während Gang auf Gang serviert wird, während hier ein Mann ersäuft wird, dort sich einer erschießt, bleibt die High Society im Speiseraum teilnahmslos; nicht kaltblütig, eher ratlos. Mark Mylod portraitiert eine Gesellschaft, die bitte nicht gestört werden möchte, während sie für teuer Geld das nächste Signature-Event goutiert, um es auf Instagram zu feiern. Es ist eine saturierte Gesellschaft, die erwartet. Die so über den Dingen schwebt, dass sie verlernt hat, für sich einzustehen, sich eigenhändig zu verteidigen. In diesem Film über Schönheit des Kochens bleibt die saturierte Gesellschaft hungrig. Der Maitre serviert einen Dialog, einen Hauch von…, ein feines Spiel zweier Geschmacksnoten. Er macht Kunst, kein Essen; in einem Zwischengang serviert er „Brot ohne Brot“. Hier regt sich zum ersten sowas wie Unmut bei den Gästen. Aber dann wird der Investor ersäuft und alle nehmen friedlich wieder Platz.

In seiner eleganten Coolness und der plötzlichen Gewalt erinnert der Film an den südkoreanischen Parasite (2019), deshalb schaue ich ihm auch in den Momenten gerne zu, in denen in exaltierter High-Society-Kulisse nicht wirklich was passiert. Den Rest erledigt der Zynismus im Kinosessel: Wir wissen ja, dass die Schnösel es eigentlich nicht besser verdient haben.

Wertung: 6 von 8 €uro
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