Eigentlich wollte James Bond seinen Ruhestand genießen und ein normales Leben führen. Doch Bonds alter Kumpel, CIA-Agent Felix Leiter, holt ihn zurück in sein altes Leben.
Leiter braucht Bonds Hilfe, um den entführten Wissenschaftler Valdo Obruchev zu retten. Die Mission erweist sich als heimtückisch und Bond muss bald erfahren, dass der so gefährliche wie mysteriöse Safin im Hintergrund die Strippen zieht. Safin verfügt über gefährliche neue Technologie.
Ein letztes Mal muss Bond sich auch seinen Widersachern von Spectre stellen und dabei erkennen, dass Ernst Stavro Blofeld selbst aus dem Gefängnis heraus noch über Einfluss verfügt. Den neuen Gegner kann Bond nicht alleine besiegen und so braucht er unter anderem die Hilfe der neuen Doppel-Null-Agentin Nomi, der CIA-Agentin Paloma und seiner großen Liebe Madeleine Swann, die er vor fünf Jahren verlassen hat, weil er ihr nicht mehr vertraute …
In der Zentrale des britischen Geheimdienstes hängen M's Vorgänger in Öl – Bernhard Lee, der den Geheimdienstchef von Beginn an (Dr. No – 1962) bis Moonraker im Jahr 1979 gespielt hat, und Dame Judy Dench, die seit Goldeneye (1995) Pierce Brosnan und Daniel Craig bis Skyfall (2012) begleitet hat. Ein Hauch Melancholie begleitet diesen 25. James-Bond-Film, der wirkt, wie ein sehr langer Epilog auf die vorangegangenen Daniel-Craig-ist-James-Bond-007-Filme – er ist mit zwei Stunden, 43 Minuten der längste Bond-Film aller Zeiten.
Bond-Regiedebütant Cary Fukunaga baut Reminiszenzen an frühere Zeiten in seinen Film, um sie dann in die Moderne zu übertragen. Da ist die Aushilfsagentin, die erst drei Wochen Ausbildung hinter sich hat – wir wissen, wie das bei Sean Connery, Roger Moore oder Timothy Dalton jeweils ausgegangen ist; hier geht es anders. Da ist der „Wodka Martini, geschüttelt, nicht gerührt!“ – bei seinem ersten Auftritt als Bond kanzelte Craig den Barmann auf die entsprechende Frage mit einem schlecht gelaunten „Sehe ich aus, als ob mich das interessiert?“ ab, heute bestellt er ihn mit allergrößter Nonchalance auch in einer Kaschemme auf Kuba.
Die schönste Reminiszenz rückt einen verfemten James Bond in den Mittelpunkt, den nach einem Kapitel wieder aussortierten George Lazenby: Im Geheimdienst Ihrer Majestät (1969) heiratet James Bond und Louis Armstrong singt dazu „We have all the Time in the World“. Noch vor dem Abspann hielt Bond 1969 seine frisch Angetraute in den Armen, erschossen von Schergen des Ernst Stavro Blofeld. Keine Zeit für die Liebe. Nicht bei Bond. Heute, in "Keine Zeit zu sterben" fragt Madeleine Swann ihren Freund, den pensionierten Agenten James Bond, im Aston Martin DB5 auf einer malerischen Küstenstraße: „Kannst Du schneller fahren?“ Er wehrt lächelnd ab: „We have all the Time in the World.“ Komponist Hans Zimmer, der zum ersten Mal für die Bond-Reihe arbeitet, legt eine hingehauchte Tonfolge aus Armstrongs "We have all the Time …“ über die romantischen Bilder. Kurz darauf, dies ist ein Bond-Film, keine Rosamunde-Pilcher-Verfilmung, liegt der Ruhestand des Ex-Agenten Ihrer Majestät in Trümmern.
Abblende, Vorspann, Billie Eilish singt "No Time to Die" (kein Bond-Song, der es zum Klassiker schaffen wird), „Fünf Jahre später". Was jetzt folgt, ist das größte Ablenkungsmanöver in der James-Bond-Geschichte. Ein geheimnisvoller Überschurke wird ins Spiel gebracht, dessen Ziele und Gesicht unsichtbar bleiben. Er spricht mit Blofelds Stimme aus kleinen Ohrstöpseln zu seinen Leuten, aber die tun Dinge, die kaum in Blofelds Sinne wären; zumal der in einem luziden, hübsch verschachtelten Hochsicherheitsgefängnis irgendwo in oder bei London sitzt und glaubhaft kaum Kontrolle über ein Netzwerk draußen verfügen kann – Christoph Waltz hat hier nochmal einen kleinen Auftritt, der im Trailer zum Film nach Nicht-schon-wieder-ein-Waltz-Schurke aussieht (Alita: Battle Angel – 2019; Downsizing – 2017; Tulpenfieber – 2017; Legend of Tarzan – 2016; The Zero Theorem – 2013; Django Unchained – 2012; Der Gott des Gemetzels – 2011; Die drei Musketiere – 2011; The Green Hornet – 2011; Inglourious Basterds – 2009), im fertigen Film aber Eindruck hinterlässt. Den eigentlichen Schurken, auch das wissen wir schon aus den Trailern, spielt Rami Malek (The Little Things – 2021; "Papillon" – 2017; Battleship – 2012), der diese Rolle unmittelbar nach seinem fulminanten Auftritt als Freddie Mercury in Bohemian Rhapsody (2018) spielt und hier nun den traumatisierten Strippenzieher und Weltenvernichter Lyutsifer Safin als den Gegenentwurf zu Freddie Mercury anlegt: ruhig, überlegt, nicht hochfahrend, in einer Weise überlegen, die sicher gruselt, in der gelackten deutschen Synchronisation aber an Schärfe verliert. Wie nun Safins Pläne über allem drohen, wieso es einen neuen 007 gibt, der nicht James Bond heißt, dazu eine weibliche Person of Color ist, und wie da die ebenfalls im Trailer angedeutete verräterische Vergangenheit von Bonds Geliebter Madeleine Swann mit drin hängt, das erzählt dieser Film mit der souveränen Eleganz einer in 60 Jahren gewachsenen Institution.
Schon nach wenigen Bildern dieses Films fühlt es sich an wie ein Nach Hause kommen nach sechs Jahren in der Diaspora durchgeschüttelter Actionfilme, in denen viel explodiert, Hauptfiguren um die Welt jagen, weltweite Verschwörungen, Hackerangriffe oder gleich der Universumszermalmer Thanos aufgehalten werden musste, viel vor Green Screen in Studiohallen getrickst wurde und unablässig die Kamera wackelt und zittert. Bei James Bond gehört auch im 60. Jahr seiner Produktionsgeschichte ein ausreichendes Budget für Kameras auf Dolly mit Schienen oder im SteadyCam-Geschirr. Exzellente Kameraführung und Montage sowie Schauplätze, die das Adjektiv "außergewöhnlich" auch verdient haben, zeichnen diesen Film aus, gehören im Rahmen der Bond-Reihe aber einfach zur gewohnten Grundierung.
"Keine Zeit zu sterben" ist in seinem Kern eine Liebesgeschichte, kein Actionfilm über Weltherrschaftsambitionen und deren Zerschlagung durch einen tapferen Agenten im Maßanzug. Damit schließt der Daniel-Craig-Bond seinen Kreis. Auch Craigs Premiere als Geheimagent war im Kern eine Liebesgeschichte. Damals hieß seine Liebe Vesper Lynd, deren Grab er im neuen Film besucht (noch so eine kleine Reminiszenz), die er an eine Geheimorganisation verlor, die sich später als SPECTRE herausstellt. Am Ende des Vorgängerfilms hatte sich Bond 2015 aus dem aktiven Dienst zurückgezogen, um künftig mit Madeleine das Leben eines begüterten Privatiers führen zu können. Aber ihren virilen Agenten im romantischen Ruhestand? Das konnten sich die Bond-Produzenten Barbara Broccoli und Michael G. Wilson dann doch nicht vorstellen und schicken also ihr Liebespaar noch auf eine letzte Achterbahn, deren Kurven und Loopings die beiden Produzenten aber genau überwachen und beschützen. Koste es was es wolle.
Daniel – „Lieber schneide ich mir die Pulsadern auf, als nochmal als Bond aufzutreten!“ – Craig soll für seinen Doch-noch-mal-Einsatz 50 Millionen Pfund bekommen haben. Regisseur Danny Boyle, immerhin Oscar-Preisträger, wurde engagiert, aber, weil Broccoli und Wilson das Drehbuch von Boyles Stammautor John Hodge nicht gefiel, drei Monate später wieder entlassen; so kam Cary Joji Fukunaga an Bord, der mit der gefeierten ersten Staffel der TV-Serie True Detective (2014) aufgefallen war, nicht etwa mit großen Kinoereignissen. Als der Film dann so gut wie fertig war, der Starttermin und alle Marketingaktivitäten auf den November 2019 ausgerichtet waren, wurde der Film wegen des Regiewechsels auf den Februar 2020 verschoben. Und dann kam die Covid-19-Pandemie und mit ihr weltweit geschlossene Kinos. Es folgten avisierte Starttermine im November 2020, April 2021 und schließlich September/Oktober 2021 – zwei Jahre später also als kalkuliert. In der Zwischenzeit musste nicht nur das Marketing immer wieder angepasst werden, auch mussten Szenen neu gedreht werden, weil dort von Sponsoren für teuer Geld gezeigte Hightech-Gimmicks wie Smartphones und Uhren nicht mehr aktuell waren. Insgesamt soll das die Produktion bis zu 50 Millionen weitere Dollar gekostet haben. Dennoch widerstanden Broccoli und Wilson allen Lockungen der mittlerweile großen Streamingdienste wie Netflix oder Apple+ – beim Vorgänger Spectre 2015 spielten die noch gar keine Rolle – die Premiere ihres Film-Juwels als Streamingpremiere anzubieten, wie das Disney+ mit seinen jüngsten MARVEL- Disney- und Pixar-Produktionen zur schnellen Refinanzierung ihrer teuren Stücke gemacht haben. Ihr großer James Bond statt auf der Leinwand mit einer Premiere im Pantoffelkino? Dieses Schreckgespenst haben sie lieber ausgesessen. Wie schön, haucht man im Kinosessel erleichtert – und, wäre das nicht zu viel der Distanzlosigkeit, würde man ein Danke hinterher hauchen.
Mit "Keine Zeit zu sterben" präsentieren Broccoli und Wilson einen alten weißen Mann in der neuen Welt des 21. Jahrhunderts, in der, wie M einmal stöhnt, „der Feind nicht mehr im selben Raum steht, Auge in Auge, sondern durch den Äther kommt“, in der Frauen keine Girls mehr sind, die sich nach einer Nacht und drei Minuten für ihren James opfern, sondern schlagkräftig mithalten und sogar die Doppel-Null mit der 7 dran übernehmen. Damit schließt auch die Bondfigur selbst einen Kreis, und zwar zu ihrem ersten Auftritt im Jahr 1962, als der Agent mit der Lizenz zum Töten der Vertreter eines Imperiums aus dem 19. Jahrhundert war, das es so nicht mehr gab, aber Ansprüche eines solchen erhob. Heute verkörpert James Bond einen Typ Mann, den es so nicht mehr gibt, dessen dennoch erhobenen Ansprüche darauf sogar für ihn schal wirken. Und der endlich, nach 60 Jahren im Dienst der Krone, loslassen kann.
„James Bond will return“, steht wie immer nach dem Abspann auf der Leinwand. Daniel Craig will nun definitiv nicht mehr dabei sein. Mit Spannung harre ich der Antwort auf die Frage, wie die verantwortungsbewussten Sachwalter des Bond-Erbes, Barbara Broccoli und Michael G. Wilson, diesen Reset gestalten werden.
Die James Bond Filme