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Plakatmotiv: Black Widow (2021)

Großes Kino mit großen
Frauen in großem Drama

Titel Black Widow
(Black Widow)
Drehbuch Eric Pearson & Jac Schaeffer & Ned Benson
Regie Cate Shortland, USA 2021
Darsteller

Scarlett Johansson, Florence Pugh, David Harbour, Rachel Weisz, Ray Winstone, Ever Anderson, Violet McGraw, O-T Fagbenle, William Hurt, Ryan Kiera Armstrong, Liani Samuel, Michelle Lee, Lewis Young, C.C. Smiff, Nanna Blondell, Simona Zivkovska, Erin Jameson, Shaina West u.a.

Genre Comic-Verfilmung
Filmlänge 133 Minuten
Deutschlandstart
8. Juli 2021
Inhalt

Natasha Romanoff alias "Black Widow" ist gezwungen, sich mit den dunklen Kapiteln ihrer Lebensgeschichte auseinanderzusetzen. Ausgangspunkt ist eine Verschwörung, die etwas mit Natashas Vergangenheit zu tun haben muss. Dabei wird sie von einem mächtigen Gegner auf die Probe gestellt, der nichts unversucht lässt, um Black Widow zur Strecke zu bringen: Taskmaster, ein hochgefährlicher Widersacher, der die Kampfstile seiner Gegner nachahmen kann.

So bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich ihrer Vergangenheit als ehemalige Agentin des KGB zu stellen und auch die zerrütteten Beziehungen aufzuarbeiten, die sie lange vor ihrer Zeit bei den Avengers, hinterließ. Dabei helfen ihr ihre Ersatzeltern Alexei Shostakov und Melina Vostokoff sowie ihre Black-Widow-Kollegin Yelena Belova ...

Was zu sagen wäre

Warum so aggressiv? Hast du etwa Deine Tage, oder was?“, motzt Alexei. „Ich krieg' meine Periode nicht, Du Idiot! Ich habe keinen Uterus“, klärt Yelena ihren ehemaligen Vater auf. „Oder Eierstöcke“, ergänzt Natasha. „Tja, so ist das, wenn der Rote Raum Dir eine unfreiwiligge Hysterektomie verpasst“, geht Yelena etwas mehr in die Tiefe dieser besonderen Grundbehandlung einer jeden angehenden Widow. „Die gehen rein und reißen Dir alle Fortpflanzungsorgane raus. Die wühlen sich da richtig rein und hacken sie Dir alle weg. Alles kommt da raus, damit man kein Baby kriegt.“ „Okay, okay“, wehrt der in die Kilos gekommene Red Guardian ab, „Du musst ja nicht gleich so präzise und eklig werden!“ „Oh, ich wollte eigentlich noch von den Eileitern erzählen. Aber okay …“ Natasha schaut derweil etwas gelangweilt aus dem Fenster des Helikopters, mit denen die beiden Ex-Agentinnen gerade in einer spektakulären Aktion den Ex-Red Guardian aus de Gefängnis befreit haben. Natasha hat dasselbe durchgemacht, sich aber seit langem damit abgefunden – „Ich hatte schon viele Leben vor diesem.

Willkommen in der Welt weiblicher Helden! Eine ganz neue Erfahrung in diesen Zeiten voller achtsamer Diversity. Meistens sind Superhelden ja so ähnlich wie ihre von der Marktforschung ermittelte Hauptzielgruppe – also zumindest Wesen männlichen Geschlechts. Deswegen haben Superhelden immer dieser super definierte Muskelkörper in super stretchy Anzügen, in denen sie superscharfe Dinge können, wie etwa andere Typen in stretchy Anzügen zu verprügeln. Die Frauen sind da meistens super gebaute Körper in super stretchy-sexy Anzügen, die sich meistens mit geistigen, psionischen oder Zauberkräften, selten mit handfester Prügel zu Wehr setzen – Susan Storm von den Fantastic Four macht sich unsichtbar und geht mit Kraftfeldern gegen ihre Gegner vor; die Scarlet Witch kann zaubern; die Wespe macht sich ganz klein und schlägt mit ihrem "Stachel" zu; Storm von den X-Men erzeugt Sturm und Gewitter. Reine Körperkraft setzen die wenigsten Frauen ein.

Anders ist das zum Beispiel bei Wonder Woman. Die Heldin des Marvel-Konkurrenten DC wurde 2017 ins Kino unter der Regie einer Frau geschickt. Patty Jenkins machte aus dieser Frau, die im Comic immer im Schatten des – Nomen est Omen – SUPERMAN stand, die Gewinnerin im Kinosommer. Gegen den Box-Office-Erfolg dieses Films (und vor allem darum geht es bei diesen Comic-Verfilmungen) wirkten die anderen Superheldenfilme aus der DC/Warner-Bros.-Schmiede, die in dem mit Zack Snyders Filmen neu gestarteten DC-Universe ins Kino gekommen waren, wie wirtschaftliche Rohrkrepierer. Wonder Woman von 2017 wurde ein veritabler Hit.

Im Vorfeld von Wonder Woman hatten die MARVEL-Studios bereits länger ein Black-Widow-Projekt in der Pipeline. Erste Überlegungen lagen 2011 auf dem Tisch, führten aber zu keiner Einigung in der Frage, ob eine weibliche Superheldin in der Zielgruppe der Superheldencomic-Fans, unter denen sich die Filmproduzenten offenbar picklige, blasse, Pizza mampfende Einsamkeitsprinzen vor ihren PC-Games vorstellen. Und dann war der film irgendwann 2019 doch fertig, aber dann brach die Corona-Pandemie aus und aus dem ohnehin schon verspätet lancierten Comicfilm wurde eine echte Bürde für den Verleih: Ein Film, der mehr als ein Jahr auf Eis liegt? Wer will das noch sehen? Zumal der Kreislauf des MARVELschen Cinematic Universe mit dem Pixel-Overkill von Avengers: Endgame wirklich ein Ende erreicht hatte. Die nachgeholte Geschichte der Schwarzen Witwe, die in Endgame aus ebendiesem Cinematic Universe ja nun auch schon in Ehren verstorben war, erschien da irgendwie nicht mehr so prickelnd.

Denkste. Für die älteren Comicfans greift die Regel, dass gezeichnete Comicabenteuer der Lieblingshelden immer funktioniert haben, egal, wie sie in irgendeinen Zeitstrahl gepasst haben. Und die MARVEL-Millenials haben spätestens mit dem großen Avengers-Finale erkannt, dass im Kino dieselben Regeln gelten, wie beim Comic: Wer tot ist, ist nur noch nicht wiederbelebt worden. Für Kinogänger ohne MARVEL-Übung sei gesagt: Dieser Solofilm mit Avengers-Mitglied Black Widow ist zwischen den Ereignissen von Captain America: Civil War und Avengers: Infinity War angesiedelt.

Die Heldin in diesem MARVEL-Film, die über ihre herausgerissenen Eierstöcke nicht mal mehr nachdenkt, bricht sich an entscheiden Stelle – aus Gründen – selbst die Nase, weil der mächtige Schurke, eine Art Ersatzgroßvater, von dem die Heldin sich in diesem Abenteuer abnabeln muss, das, als er sich verprügelt, nicht schafft. Auch Black Widow agiert unter der Regie einer Frau, Cate Shortland, einer Autorenfilmerin, die bisher im Kino vor allem mit einem creepy Thriller aufgefallen ist – in Berlin Syndrom wird eine australische Backpackerin in Berlin von einem Typen mehrere Wochen lang in dessen Wohnung weggesperrt – und die hier ihre Titelheldin aus einem Albtraum herausführt. Ihr 130-minütiger Film erzählt vom Missbrauch junger Frauen durch alte weiße Männer und davon, wie die Frauen dagegen aufbegehren und zurückschlagen, auch wenn sie sich dafür ihre Nase brechen müssen.

Cate Shortland, auf die man nicht als erstes käme, wenn man den Regiestuhl zu "Black Widow" besetzen wollte, verführt uns in eine schmissige Welt des American Kleinstadt-Dream, um uns nach fünf Minuten in einer furios eskalierenden Actionszene da heraus zu reißen durch böse, in diesem Fall, russische Geheimdienstler. Natasha und ihre Pseudo-Schwester Yelena stehen stellvertretend für eine ganze Reihe von Produkten einer grausamen, entmenschlichenden (russischen) Agentenschmiede, die der Titelheldin ihren eigenen Willen nimmt.

Dass Cate Shortland diesen Blickwinkel auf dem Regiestuhl durchhält, heißt nicht, dass ihr Film zum achtsamen Jammerlappen verkommt. Action kann sie schon auch inszenieren. Sie hat ein gutes Gespür dafür, wie Frauen prügeln. Frauen prügeln nicht mit Gewalt, sondern mit Technik. Wenn also Natasha und Yelena zum ersten mal aufeinander treffen, erleben wir ein Ballett zweier Tänzerinnen, die sich zwischen Küche, Bad und Wohnzimmer mit Messer, Pfanne, Spültuch und Porzellanteller bekämpfen. Männer kommen da nicht mit. Die sind entweder alt und verschlagen wie der Endgegner Dreykov, der mit seinem "Red Room"-Programm immer neue Widows produziert, die er aus den obdachlosen Mädchen in den Slums der Weltstädte rekrutiert, oder fett und alt geworden, wie der russische Gegenentwurf zu Captain America, der Red Guardian. Aber ein Hindernis für die befreiten Frauen stellen sie nicht mehr da.

Es ist eine der Erfolgskonzepte Kevin Feiges, der das Marvel Cinematic Universe für Disney koordiniert, dass er jeder Figur ihr eigenes Genre zuschreibt. Spider-Man befriedigt die Coming-of-Age-Fans, Captain Marvel die Weltraum- und die Avengers die Bombast-Fans. "Black Widow" ist ein Film aus dem Universum der Geheimagenten. Der Film springt genregerecht von Ohio nach Kuba nach Norwegen nach Marokko nach Budapest und schließlich in die Stratosphäre, er nimmt Anleihen beim Star unter den Kino-Agenten, zitiert aus Moonraker mit Roger Moore, verbeugt sich vor der Panzerfahrt, die Pierce Brosnan durch St. Petersburg unternimmt und natürlich haben wir es mit einem Schurken zu tun, der aus dem Orbit die Übernahme der Weltherrschaft vorbereitet.

Cate Shortland hält den Film in eleganter Balance zwischen Action, wie sie dieser Tage nur die Marvel-Studios zustande bringen und einem Familiendrama. Sie feiert die Familienwerte, obwohl es gar keine echte Familie gibt. Am Ende haben die drei Jahre, in denen Natasha, Yelena, der Red Guardian und Melina als US-Famile zusammengelebt haben, dem russischen Geheimdienst mehr geschadet als 40 Jahre politische Indoktrination durch die Widows ihm genutzt haben mögen. Die Familienbande steht hier über allem, selbst wenn sie nur für drei Undercoverjahre inszeniert waren. Das ist charmant, weil Natasha Romanoff in den bisherigen Filmen und auch damals in den Comics die einsame Kämpferin war, die vor lauter dunkler Vergangenheit und gleichzeitig unbezwingbarer Professionalität nie so recht wusste, wohin mit sich.

"Black Widow" zeigt, warum sie so wurde und dass sie keineswegs die einfach nur kalte Killern ist. Das macht den großen Reiz dieser Figur aus, der Scarlett Johansson in den Filmen ihr darstellerisches Talent zur Verfügung stellt (Jojo Rabbit – 2019; Marriage Story – 2019; Avengers: Endgame – 2019; Girl's Night Out – 2017; Hail, Caesar! – 2016; Lucy – 2014; Kiss the Cook – So schmeckt das Leben – 2014; Her – 2013; Under the Skin – Tödliche Verführung – 2013; Don Jon – 2013; Hitchcock – 2012; Wir kaufen einen Zoo – 2011; Iron Man 2 – 2010; Vicky Cristina Barcelona – 2008; Die Schwester der Königin – 2008; Nanny Diaries – 2007; Prestige – Die Meister der Magie – 2006; Black Dahlia – 2006; Scoop – Der Knüller – 2006; Die Insel 2005; Match Point – 2005; Lovesong für Bobby Long – 2004; Das Mädchen mit dem Perlenohrring – 2003; Lost in Translation – 2003; Arac Attack – 2002; Ghost World – 2001; The Man Who Wasn't There – 2001; Der Pferdeflüsterer – 1998). Johansson hat diese einst düstere Profikillerin zu einer stolzen Agentin gemacht, vor der glaubhaft sogar der Hulk kuscht. Über die Jahre hat Johansson sich die Rolle so zu eigen gemacht, dass sie jetzt, wo sie sie nicht mehr spielen wird, fehlt – deutlicher fehlt als zum Beispiel Robert Downey Jr. und Chris Evans, die mal Iron Man und Captain America waren. Johansson ist eine unwiderstehliche Black Widow. Das hat natürlich auch mit ihrem Posing zu tun, über das sie sich in diesem Film, bei dem sie auch als Executive Producer fungiert, selbst lustig macht. Ihre jüngere "Schwester" Yelena hält ihr vor, dass sie in ihren Kämpfen in Posen erstarre, wissend, dass alle Welt zuschaue – sie würde etwa springen, dann geduckt auf beiden Füßen und einer Hand landen, nach oben schauen und sich dabei die Haare aus dem Gesicht streichen. Stimmt, das macht Romanoff seit ihrem ersten Auftritt 2010 in Iron Man 2; das und ein paar andere Moves, wie etwa den Beinschere-Sprung um den Hals des viel größeren Gegners, um diesen zu Fall zu bringen und am Boden festzutackern, die in die Action-Choreografie selbst von TV-Serien Einzug gefunden haben. Johansson spielt das in der Bildmontage im Wechsel mit ihrer Stuntfrau und digitalen Bewegungsveredelungen mit einer Leichtigkeit, als würde sie den ganzen Tag nichts anderes machen, als Leute zu verprügeln.

Qualitativ steht "Black Widow" kurz hinter Captain America: Winter Soldier (2014), der das Juwel der bisherigen MCU-Produktionen darstellt. Zufall? Auch die Geschichte um den Winter Soldier hat ihren Ursprung in geheimen russischen Laboren, in denen Versuche an Menschen gemacht wurden. Eskapistische Abenteuerfilme sind am besten, wenn die Figuren glaubhafte Dramen durchleben und ein echtes Leben leben. Natasha sitzt einmal in ihrem Versteck und spricht den James-Bond-Film Moonraker mit, der vier Jahre vor ihrer Geburt in die Kinos kam. Der Film, in dem ein schwer reicher Mann auf seiner privaten Raumstation den neuen Menschen züchten will, bedeutet ihr offenbar etwas. In Entsprechung dazu setzt Cate Shortland die Basis des Schurken Moonraker-like in Szene. Ihr Film hat viele solche Bilder, die den Charakter seiner Heldinnen konturieren und aus einem klasse Actionfilm ein mitreißendes Drama um glaubwürdige Menschen machen.

Wertung: 7 von 8 €uro
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