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Plakatmotiv: Das Mädchen mit dem Perlenohrring (2003)
Kino wie gemalt
Titel Das Mädchen mit dem Perlenohrring
(Girl with a Pearl Earring)
Drehbuch Olivia Hetreed
nach dem gleichnamigen Roman von Tracy Chevalier
Regie Peter Webber, UK, Luxemburg 2003
Darsteller Colin Firth, Scarlett Johansson, Tom Wilkinson, Judy Parfitt, Cillian Murphy, Essie Davis, Joanna Scanlan, Alakina Mann, Chris McHallem, Gabrielle Reidy, Rollo Weeks, Anna Popplewell, Anaïs Nepper, Melanie Meyfroid, Nathan Nepper u.a.
Genre Biografie, Drama
Filmlänge 100 Minuten
Deutschlandstart
23. September 2004
Inhalt

In Delft wird die 17-jährige Griet, nachdem ihr Vater sein Augenlicht verloren hat, als Hausmädchen bei dem berühmten Maler Jan Vermeer eingestellt. Der Meister zeigt sich von dem schüchternen, aber durchaus klugen Mädchen angetan, macht sie mit der Welt der Malerei vertraut und erteilt ihr die Aufgabe, seine Farben anzumischen.

Schließlich soll Vermeer auf dringenden Wunsch seines Mäzens Pieter Van Ruijven, der es auf das Mädchen abgesehen hat, ihr Porträt malen. Dies wiederum verstärkt die latenten Spannungen mit Vermeers Ehefrau, deren heimtückischer, kleiner Tochter und der Magd.

Die Schwiegermutter erkennt hingegen, wie sehr Griet den Maler in seiner Arbeit inspiriert, und hält die schützende Hand über sie, solange Vermeer nur an seinen Bildern arbeitet, die die Haupteinnahmequelle der großen Familie sind. Als Vermeers Frau herausfindet, dass Griet ihre kostbaren Perlenohrringe für das Bild getragen hat, eskaliert die Situation …

Was zu sagen wäre

Filme, die sich mit dem Leben, Lieben und Leiden niederländischer Künstler im 17. Jahrhundert beschäftigen, sehen selbst aus, wie lauter Gemälde – das ist Markenkern solcher Filme und wie schön, dass sich auch Paul Webber an diese ungeschriebene Regel hält. Die Bilder, die Director of Photography Eduardo Serra für Webbers Erzählung findet sind schön, kunstvoll, eben noch farbenprächtig, jetzt in sanftes Pastell getaucht, die Gesichter der Akteure erinnern an die Patina, die die Portraits der alten Meister über die Jahrhunderte angelegt haben. Gleich in der ersten Einstellung füllt und ordnet das Mädchen Griet eine Obstschale; das Bild sieht aus, wie das farbenprächtige Stilleben in Öl eines der Alten Meister. Einige der Bilder Vermeers, die im Film gezeigt werden, sind frei erfunden, andere, wie viele der in der Wohnung seines Gönners van Ruivens gezeigten, waren tatsächlich in dessen Besitz. In vielen Szenen des Films findet man Objekte aus Vermeers Bildern wieder, wie etwa die Laute, das Cembalo, und einiges an Mobiliar des Ateliers, wie die große Landkarte der Niederlande an der Wand, den gerafften Vorhang oder die Stühle. Ebenso sind außer Griet auch andere Personen des Films nach Figuren aus Vermeers Bildern geschaffen, so die Magd oder Vermeers Frau.

Dabei erzählt Webber keine bunter Künstlerbiografie. „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ erzählt über Macht und Ohnmacht in der bürgerlichen Gesellschaft, über die Mechanismen der Abhöngigkeiten innerhalb eines Haushaltes, in der die Magd ganz unten steht – wahlweise als erotisches Subjegt oder als Prügelmädchen benutzt – „Herr und Dienstmagd. Eine Weise, die wir alle kennen“, sagt abschätzig die pragmatische Schwiegermutter. Der Film erzählt eine Geschichte aus den Niederlanden des Jahres 1665, aber genau genommen erzählt er irgendwie auch immer noch von heute. Damals mussten Mädchen, die noch keinen wirtschaftlich potenten Ehemann gefunden hatten, groh sein, wenigstens eine Anstellung als Bedienstete im Haus zu bekommen – ist das heute, auf liberalere Art bei aber gleichbleibend subtiler Boshaftigkeit nicht noch sehr ähnlich? Und die junge Griet hat noch einen vergleichsweise Luxusjob bekommen, in der Familie eines geförderten Malers, indem mithin ein gewisser Intellekt Zuhause ist; was an den Zwängen innerhalb der Familiengemeinschaft indes wenig ändert.

Plakatmotiv (UK): Girl with a Pearl Earring (2003)Die Abhängigkeiten gehen in Webbers Drama über Generationen und alle Stellungen im Haushalt und über die Haustürgrenze hinaus. Jan Vermeer, der erfolgreiche Maler, ist abhängig von seinem Gönner Van Ruijven, der ein Auge auf die junge Griet geworfen hat und Vermeer ermuntert, sie zu portraitieren – ein Affront gegen die angesehene Familie: Mägde wurden im Allgemeinen nicht in Öl festgehalten. Aber die Geilheit des wirtschaftlich potenten Alten, die Tom Wilkinson mit der würdevollen Arroganz eines patriarchalen Dämons spielt (Der Patriot – 2000; Shakespeare in Love – 1998; Ganz oder gar nicht – 1997; Fräulein Smillas Gespür für Schnee – 1997; Der Geist und die Dunkelheit – 1996), kann man natürlich in klingende Münze umsetzen: „Wenn Ihr Master Van Ruijven verärgert, wird er ihn als Gönner verlieren. Was dann?“ Die Sitzungen Vermeers mit Griet, der Magd, inszeniert Webber in leuchtenden Großaufnahmen von Gesichtern. Geredet wird wenig, während darüber unablässig eine erotische Spannung knistert. Die Mal-Sequenzen gleichen dem erotischen Vorspiel, und der endgültigen Verführung wenn Griet einmal ihre Haube abnimmt und ihr langes rotes Haar im Gegenlicht des Fensters zu strahlen beginnt. Da ist es um den Künstler geschehen. Eine große Szene, der Alexandre Desplat seinen wunderschönen Score auf ein Minimum herunterdimmt. „Es sind nur Gemälde. Bilder, die man kauft. Ganz bedeutungslos!“ Ein Film über die wahre Bedeutung der Kunst, über die Bedeutung der Malerei im Antlitz der Wirklichkeit, der in der Erkenntnis gipfelt: Künstler müssen sich in ihr Objekt der Begierde verlieben, sie müssen! Aus dieser Qual erschaffen sie erst Schönheit.

Der Film feiert die Kreativität der Farben im Spannungsfeld zwischen Romantik, Abhängigkeit und Bewunderung. Und im Mittelpunkt all der Schönheit in Cinemascope schwebt die junge Scarlett Johansson als umschwärmte Unschuld durch die Kulissen. Wäre dies hier nicht ein Text über eine Geschichte aus dem 17. Jahrhundert, sondern einer über die späten 1970er Jahre, könnte man schreiben: Johansson ist die Wucht in Tüten. Mal wieder (Lost in Translation – 2003; Arac Attack – 2002; Ghost World – 2001; The Man Who Wasn't There – 2001; Der Pferdeflüsterer – 1998; „Wenn Lucy springt“ – 1996; „Im Sumpf des Verbrechens“ – 1995).

Paul Webbers zeithistorische Gesellschaftsportrait nach einer fiktiven Biografie von Tracy Chevalier ist ein wunderschöner Bilderreigen für einen Sonntagabend.

Wertung: 6 von 6 €uro
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