Es gibt neben unserer Welt (der Menschen) andere Welten. In einer leben Autos. In dieser Welt werden aus Tankstellen Restaurants, aus Reifenhandlungen Schuhgeschäfte, aus Werkstätten Body Shops. Und alles dreht sich um Lightning McQueen – jedenfalls aus der Sicht von Lightning McQueen: Ein Teufelskerl von Rennwagen mit überdrehtem Ego, der davon träumt, der jüngste Champion des Piston Cups, des größten Rennens überhaupt, zu werden. Schon fast am Ziel verschlägt es ihn unerwartet in das Wüstennest Radiator Springs, wo er, wegen zu schnellen Fahrens und latenter Zerstörungswut, verdonnert wird, die Hauptstraße neu zu pflastern.
Radiator Springs: Einst ein blühender Ort an der Route 66, jener legendären Strecke zwischen Chicago durch den Wilden Westen an die Westküste. Heute jagen die Autos über die Interstate zur Küste. Vorbei an den vergessenen Nestern. Vorbei an Radiator Springs. Lightning trifft hier auf Vierräder, die nichts mit den Turboflitzern seiner Welt zu tun haben. Da ist zum Beispiel Hook, ein rostiger, liebenswerter Abschleppwagen, der jeden aus dem Dreck zieht. Da sind Sally, eine heiße Autolady und Sarge, ein pensionierter 1942er Army Jeep, den sein Flowerpower-Hippie-Nachbar Bully mächtig nervt, wenn er allmorgendlich zu Jimmy Hendrix-Klängen erwacht.
Eigentlich muss Lightning hier so schnell wie möglich wieder weg – in ein paar Tagen ist das Rennen, das alles entscheidet. Das Rennen, das ihn endgültig zum Champion machen soll. Aber ein paar Tage können lang sein in Radiator Springs. Zwischen all den schrägen Blechkisten. Und neben Sally …
Ein sensibler Film. Einer für den Augenblick des Seins im Dunkel des Kinosaals. Einer, dessen Struktur, Farbe, Geschichte sich im Tageslicht sofort verflüchtigt. Wo dann ein seufzend hübsch-bunter, mit Disney-Süßkram übergossener Schmachtfetzen übrig bleibt, der die Tugend von Freundschaft, Hilfreichtum und all dem anderen Quatsch besingt, den wir immer suchen, aber längst nirgendwo mehr finden.
„Früher war alles besser” heißt es so oft. John Lasseter liefert die Bilder dazu. Draußen im zynischen Tageslicht fallen einem sofort alte Schwarz-Weiß-Filme mit Spencer Tracy ein oder Gregory Pecks „Wer die Nachtigall stört”, die in so Kaffs wie Radiator Springs spielen und die 50er Jahre dort beschreiben als Hort von Rassismus und Fremdenfeindlicheit. Mit Mord und Totschlag. Diese bösen Menschen müssen alle in die Großstädte der Welt abgewandert sein. Übrig blieben die … Netten, die sich nie vorstellen können, hier weg zu gehen. Früher war alles besser? Im Augenblick des Kinos ja! Dafür hat Lasseter seinen Film gemacht.
In jedem Frame spürt man seine Sehnsucht nach dem besseren, dem schöneren, dem langsameren Leben, das viel Gutes hat – nur dem Fortschritt im Wege steht. Aber wer braucht Fortschritt, wenn er Freunde haben kann wie den rostigen Abschleppwagen Hook? Im Kino ist Hook überlebenswichtig. Genauso wie der knorrige Richter Doc Hudson, dem der große Paul Newman im Original seine Stimme leiht, legendär – nicht nur, aber auch – als Rennfahrer Frank Capua in Indianapolis (1969).
Es sind wunderbare Bilder in diesem Film; die Landschaft abseits der Interstates übersäht mit Autodenkmälern und Bergen in Form von Kotflügeln. Die Insekten in dieser Welt sind selbstredend Käfer – VW-Käfer. Die Pixars haben sich mit viel Liebe fürs Detail an die Sache gemacht. Schließlich ist das ihr erster Film, nachdem sie von Disney gekauft worden sind.
Natürlich wird an dem Film seit Jahren gebastelt und gerendert – da war von Disney als Konzernmutter noch keine Rede. Aber zu den acht offiziellen Autoren werden noch diverse für „additional screenplay material” genannt … der Einfluss Disneys, den Meistern des bombastischen Zuckergusses sickert durch. Von Meisterwerken wie Die Unglaublichen (2004) oder Findet Nemo (2003) ist Cars ein Stück weg.
Aber solange der Vorhang auf und das Licht im Saal aus ist, ist das nicht schlimm: In dieser Zeit entführt der Film in eine traumhafte Welt voller liebenswerter Geschöpfe in atemberaubender Landschaft. Und von mir aus: Dann war halt früher alles besser – solange es dunkel ist im Kino.
Die Pixar-Filme
- Toy Story (1995)
- Das große Krabbeln (1998)
- Toy Story 2 (1999)
- Die Monster AG (2001)
- Findet Nemo (2003)
- Die Unglaublichen (2004)
- Cars (2006)
- Ratatouille (2007)
- WALL•E (2008)
- Oben (2009)
- Toy Story 3 (2010)
- Cars 2 (2011)
- Merida - Legende der Highlands (2012)
- Die Monster Uni (2013)
- Alles steht Kopf (2015)
- Arlo & Spot (2015)
- Findet Dorie (2016)
- Cars 3 – Evolution (2017)
- Coco – Lebendiger als das Leben (2017)
- Die Unglaublichen II (2018)
- Toy Story: Alles hört auf kein Kommando (2019)
- Onward: Keine halben Sachen (2020)
- Soul (2020)
- Luca (2021)
- Rot (2022)
- Lightyear (2022)
- Elemental (2023)