Die selbstbewusste 13-jährige Meilin Lee ist ständig von ihrer überfürsorglichen Mutter umgeben, was Mei schnell aufregt. Problematisch daran ist, dass sich Mei, wenn sie starke Emotionen empfindet, in einen roten Panda verwandelt. Sie lernt, dass dies ein Zauber ist, der seit vielen Generationen auf den Frauen ihrer Familie liegt.
Mit einem Ritual, das bei einem roten Mond vollzogen wird, kann man den roten Panda jedoch für immer in ein Objekt verbannen. Neben diesem Ereignis fiebern Mei und ihre Freundinnen zeitgleich aber vor allem auf das Konzert der bekannten Boyband 4*Town in Toronto hin. Entgegen dem Willen ihrer Mutter, den Panda bis zum Ritual geheim zu halten und für immer zu verbannen, benutzt Mei ihn bald, um mit ihm das Geld für das Konzert zu verdienen.
Als das auffliegt und auch der Rest ihrer weiblichen Verwandtschaft in Toronto eintrifft, wird Mei vor schwerwiegende Entscheidungen gestellt …
„Du bist jetzt eine Frau“, sagt die Mutter Ming zur Tochter Meilin, „und Dein Körper verändert sich.“ Aber Meilin will davon nichts hören, versteckt sich in der Badewanne hinter dem Duschvorhang vor ihrer Mutter, denn das kann die unmöglich ernst meinen. „Das ist ganz normal!“, sagt Mutter Ming und meint in der Tat etwas anderes; was aber auch mit der Farbe Rot zu tun hat.
Disney und Pixar gehen das Thema an, über das man in der Öffentlichkeit ungerne spricht: die erste Periode einer Frau, Menstruation. Als die Profigolferin Lydia Ko vor einigen Wochen in einem Interview auf die Frage, ob der „verspannte Rücken und die Hüfte“ noch zu einem Problem werden würden, antwortete: „Es ist nun einmal diese Zeit des Monats. Wenn das passiert, habe ich einen steifen Rücken und alles ist verzogen“, brachte sie damit den Reporter kurzzeitig aus der Fassung und erntete öffentlich viel Zuspruch – auch wegen der unbeholfenen Reaktion des Reporters. Über Menstruationsbeschwerden außerhalb einer Ratgebersendung sprechen, wo es doch um sportliche Erfolge gehen soll (die in Sendeanstalten immer noch männlich konnotiert und besetzt sind)? Lieber nicht!
Auch die Disneystudios schicken ihre neue Heldin natürlich nicht wirklich in das Wechselbad ihrer ersten Periode. Bei Meilin, 13 Jahre alt, gibt es noch kein Blut. Meilin ist aber in dem Alter, in dem sie ein alter Fluch einholt, der alle Frauen der Familie – nicht die Männer – in dem Alter heimgesucht hat: Sie verwandelt sich in einen roten Panda, wenn sie sich aufregt (was in dem Alter praktisch immer der Fall ist). Rot ist hier die Farbe der Wut, nicht grün, wie bei Disney-Marvels Hulk, sondern wutrot wie der gleichnamige Feuerkopf aus Pixars Alles steht Kopf (2015). Die Stadien dieser roten Entwicklung deklinieren Domee Shi und ihre Co-Autorinnen Julia Cho und Sarah Streicher in der Folge durch. Erst ist Meilin entsetzt, fühlt sich als Ausgestoßene. Ihre Mutter ist keine Hilfe. Die war bisher immer dafür verantwortlich, dass Meilin zu einer perfekten Tochter und zum Klischee aller Chinesen heranwächst – nur Einsen in der Schule, die Querflöte spielt sie heute schon konzertreif und sie ist immer pünktlich zur Stelle, um sich mit Mutter Ming um Haushalt und Familientempel zu kümmern. Die Mutter ist die Trickfilmversion der "Tiger Mom" Amy Chua, die vor einigen Jahren mit einem Erziehungsratgeber erfolgreich war, der bei der Erziehung auf Druck, Drill und Disziplinarmaßnahmen setzte.
Meilin ist also das durchschnittliche Mädchen in der Pubertät. Dass die kalifornischen Pixar-Studios die Geschichte in eine chinesische Community packen, ist hier ausnahmsweise mal nicht dem profanen Blick auf den großen chinesischen Kinomarkt geschuldet. Drehbuchautorin und Regisseurin Domee Shi, die 2019 für ihren Kurzfilm "Bao" den Oscar gewann, ist nicht nur in China geboren und in Toronto aufgewachsen; in den Pressematerialien zum Film betont sie auch, sie habe eigene Erfahrungen als 13-Jährige in ihr Drehbuch fließen lassent.
"Turning Red" ist tatsächlich ein Frauenfilm – ein Film von Frauen gemacht und stellt weibliche Charaktere in den Mittelpunkt. Die Clique der vier Mädchen ist ein diverser Haufen fröhlicher Außenseiter: Die Chinesin Meilin ist befreundet mit der Kanadierin Miriam, mit der ultracoolen Priya und der giftigen Abbie. Alle vier sind goldige Figuren, die einem mit ihrer sanften Revolution gegen das erwachsene Establishment schnell sehr nahe sind; dass es im äußeren Handlungsbogen nur darum geht, dass die Mädchen verbotenerweise auf ein Konzert wollen – das erste ihres Lebens – und dafür der Stadt Toronto im Finale erhebliche Schäden zufügen, können nur den Kinderschuhen entwachsene Erwachsene albern finden. Für Meilin ist dieses erste Konzert „nicht einfach unser erstes Konzert. Es wird unser erster Schritt ins Frausein. Und den müssen wir gemeinsam gehen!“
Denkt man an John Lasseter, Pixar-Übervater in den männlich geprägten Frühzeiten des Studios, der einst nach Sexismusvorwürfen gehen musste, markiert "Turning Red" also eine bemerkenswerte Entwicklung. Nach Pixars männlichen Spielzeugfiguren, männlichen Insekten, männlichen Fischen, patriarchal organisierter Superheldenfamilie, männlichen Feinschmecker-Ratten, männlichen Senioren oder männlichen Sauriern jongliert Pixars erste weibliche Coming-of-Age-Geschichte souverän sowohl mit fröhlichem Monstergetrampel asiatischer Art als auch mit der in Fernost allgegenwärtigen Mystik, die in Nahwest nur in Kirchen und Tempeln, fernab des durchgetakteten Alltags, leben darf.
Dieses Mash-Up von Kulturen und Genres macht großen Spaß, reicht letztlich aber nicht an die früheren Meisterwerke von Pixar heran, ist kein neues Findet Nemo, Die Unglaublichen, WALL•E oder Alles steht Kopf. Der Generationswechsel, der schon letztes Jahr in Enrico Casarosas Debütfilm Luca sichtbar wurde und das Studio jünger, internationaler und diverser macht, steht auch für eine geringer gewordene Dichte an Meisterwerken bei gleichzeitig höherem Output an gehobener Filmproduktion. Heute schreibt Szene-Superstar Billie Eilish mit ihrem Bruder Finneas O’Connell für Pixar drei Songs, die die Crosspromotion mit Plüschtieren, "I speak Math"-T-Shirts und Brillentassen optimal erweitert. Quod erat demonstrandum: Der Song "Nobody Like U" stieg im März 2022 in die amerikanischen und britischen Charts ein. Aus dem heimeligen Studio verspielter Nerds, als das Pixar begonnen hat, ist eine gewinnorientierte Factory mit hohem Unterhaltungswert geworden.
Die Pixar-Filme
- Toy Story (1995)
- Das große Krabbeln (1998)
- Toy Story 2 (1999)
- Die Monster AG (2001)
- Findet Nemo (2003)
- Die Unglaublichen (2004)
- Cars (2006)
- Ratatouille (2007)
- WALL•E (2008)
- Oben (2009)
- Toy Story 3 (2010)
- Cars 2 (2011)
- Merida - Legende der Highlands (2012)
- Die Monster Uni (2013)
- Alles steht Kopf (2015)
- Arlo & Spot (2015)
- Findet Dorie (2016)
- Cars 3 – Evolution (2017)
- Coco – Lebendiger als das Leben (2017)
- Die Unglaublichen II (2018)
- Toy Story: Alles hört auf kein Kommando (2019)
- Onward: Keine halben Sachen (2020)
- Soul (2020)
- Luca (2021)
- Rot (2022)
- Lightyear (2022)
- Elemental (2023)
- Alles steht Kopf 2 (2024)