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Plakatmotiv: Soul (2020)

Philosophisches Kino mit großer
Komik und visueller Schönheit

Titel Soul
(Soul)
Drehbuch Pete Docter & Mike Jones & Kemp Powers
Regie Pete Docter + Kemp Powers, USA 2020
Stimmen

Jamie Foxx, Charles Rettinghaus, Tina Fey, Anna Carlsson, Alice Braga, Magdalena Turba, Richard Ayoade, Jaron Loewenberg, Graham Norton, Frank Schaff, Daveed Diggs, Kaze Uzumaki, Phylicia Rashād, Marianne Groß, Cora Champommier, Lilly Fröhlich, Questlove, Tobias Schmidt, Donnell Rawlings, Björn Schalla, Jeannie Tirado, Uschi Hugo, Dorian Lockett, Matti Klemm, Angela Bassett, Arianne Borbach u.a.

aufgeführt sind Stimmen der US- sowie der deutschen Synchronfassung

Genre Animation, Abenteuer
Filmlänge 100 Minuten
Deutschlandstart
25. Dezember 2020 (Stream auf Disney+)
Website https://www.disneyplus.comsoul
Inhalt

Joe Gardner ist Musiklehrer an einer Mittelschule in New York. Sein sehnlichster Wunsch ist es jedoch, als Jazz-Musiker groß rauszukommen und das Unterrichten endlich an den Nagel hängen zu können. Als sich ihm eines Tages die langersehnte Gelegenheit bietet, mit der berühmten Jazz-Saxophonistin Dorothea Williams aufzutreten, stolpert Joe in einen offenen Kanalschacht – und seine Seele landet mit allerlei anderen Seelen auf einem Laufband zum Jenseits. Doch Gardners Seele ist noch nicht bereit dafür. Er sprintet zurück und stemmt sich durch eine Dimensionswand und landet in einer Art Seelen-Kita, dem Davorseits.

Dort werden ungeborene Seelen mit ihren Persönlichkeiten ausgestattet und auf das Leben auf der Erde vorbereitet. Joe setzt alles daran, um wieder in seinen Körper auf der Erde zu gelangen, denn seinen Auftritt im Jazz-Club will er um nichts in der Welt verpassen. Aber er kann da nicht einfach so hin zurück. Auch im Davorseits gelten klare Regeln und die dürfen nicht gebrochen werden. Da er nun mal da ist, setzen ihn die Betreuer der kleinen Seelen als Mentor von 22 ein, einer Seele, die auf gar keinen Fall in einen Menschen will. 22 will bleiben, wo sie ist. Gezwungenermaßen raufen sich beiden zusammen und nachdem Joe 22 nicht auch nur die kleinste Idee dafür geben kann, dass sich ein Menschenleben lohnt, zeigt 22 ihm, dass es trotz klarer Regeln ein Schlupfloch gibt, durch das Joe in seine Welt zurückkehren kann – und 22 dann ihre Ruhe wieder hat.

Joe kehrt auf die Erde zurück. Als die Seele einer übergewichtigen Katze. In Joes nach dem Kanalsturz im Koma liegenden Körper, der erst sterben kann, wenn Joes Seele – aktuell in einer fetten Katze – im Jenseits angekommen ist, verrichtet nun 22 die Aufgaben einer menschlichen Seele …

Was zu sagen wäre

Was ist Leben? Hui, was für eine Frage! Klar: Atmen! Herzschlag! Das biologische natürlich. Für die Pixar-Studios und Pete Docter, die uns 2015 in Alles steht Kopf die Gefühlswelt als Kampf von fünf Primäremotionen verkauft haben, ist für das Leben die Seele zentral. Na gut: Das ist jetzt nicht so der Klopper.

Bei Pete Docter, seit dem Rücktritt von Pixar-Mastermind John Lasseter die neue Seele des Betriebs, gibt es auf dem Weg ins strahlende Jenseits eine Chance, dem Unentrinnbaren auszuweichen. Joe, der leidenschaftliche Musiker, dem gerade noch der Gig seines Lebens bevorstand, stemmt sich also gegen den Seelenstrom, flüchtet das Band hinab, stürzt ins Nichts. Und landet im fluffig anmutenden Vorseits. Da, wo Seelen darauf vorbereitet werden, künftig Lebenden Charakter einzuhauchen. Gardner gehört da eigentlich nicht hin, außer ihm treffen wir als Mentoren nur bedeutende Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft, die den noch unverkörperten Seelen einen Lebensfunken übermitteln.

Das ist die Faszination Pixar!  Wir Zuschauer haben akzeptiert, dass unsere Seele nach unserem Dahinscheiden entschwebt. Aber die Frage, wohin entschwebt wird nach dem Tod, bleibt dünn beantwortet; wir haben so eine unbestimmte Vorstellung von einem Fortsetzungs-Leben in einem Baum oder einer Katze. Aber eindeutig werden wir in der Antwort nie. Über den Tod spricht man nicht. Und wenn, dann als Executive bei Pixar.

Pixar macht das einfach. Spricht einfach über den Tod und erklärt aber: Es gibt ein Leben vor dem Leben. Und dann geht es um den Lebensfunken und die Bestimmung und was beides voneinander unterscheidet. Das ist als Produkt einer Filmindustrie, die ununterbrochen Glaube-an-Dich-Lebe-Deine-Träume-Filme produziert, ein überraschender Kniff. Plakatmotiv (US): Soul (2020) Die jungen Seelen müssen ihren Funken finden, also das, was sie ins Leben treibt. Dabei sollen die Mentoren, also die Seelen gelebter Leben, helfen und irgendwann finden die kleinen Seelen irgendwas, was den Funken auslöst. Nur 22, die Jahrhunderte alte junge Seele, findet keinen.

Es kommt dann einer dieser Pixar-Momente, einer jener Momente, die man, grob überschlagen, in jedem Film sucht, aber nur im Pixar-Film findet. Joe will 22 für Musik begeistern und 22, immerhin die neue Seele in Joes Musikerkörper, ist auch leidlich angetan. Aber ein Funke ist das nicht. Ganz anders die Ahornfrucht, die propellerartig vom Baum hinunter in Joes/22s Hand segelt und ein Gespür für das Leben bietet. Der Funke ist das Leben und die Lust darauf. Alles andere, auch die Bestimmung, der Traum, kommt später. Wie schön, dass ein Film aus dem Hause Disney mal sagt – zumal in diesen pandemiegeplagten Zeiten – dass es schön ist, einfach zu leben, dass man seine Träume auch mal hinten anstellen kann, dass das schon wird. Ein Appell an die hochtourig drehende Menschheit, das Wunder des Lebens wieder zu schmecken. Denn die Erfüllung eines bloßen Traums macht den zugehörigen Träumer nicht glücklich. Das mag man als junger Mensch vielleicht so glauben, aber als Mittvierziger wie es die Regisseure Pete Doctor und Kemp Powers oder der von ihnen ersonnene, frustrierte, von seinem Leben enttäuschte Musiker Joe Gardner sind, kennt man die Frage: Und was kommt jetzt? Oder war's das und der Rest ist Routine? Joe Gardner steht am Abend seines Triumphs auf der Straße und fragt sich genau das.

"Soul" ist kein süßlicher Kinderfilm mit ein paar Einfällen, die die begleitenden Erwachsenen bei der Stange halten. "Soul" ist kein Kinderfilm (obwohl die Katze mit Joes Seele für ordentlich Lacher sorgt). Wie so oft im Pixar-Kino gibt es auch hier eine zusätzliche Ebene. Klar: Da ist die fremde Welt, in der sich der Neuankömmling zurecht finden muss. Vor allem, wenn er nicht auf dieses Flughafen-Laufband Richtung Jenseits gestellt werden will. Und es gibt die Gefahr in Form des Buchhalters, eines Strichmännchen namens Terry, der kein neidvoller Schurke à la Scar, kein Libido-getriebener Richter Frollo, auch keine durchtriebene Gothel, sondern einfach ein Buchhalter ist, der seine Zahlen über zu- und abgewanderte Seelen korrekt halten möchte. Für alle anderen Studios reicht diese Konstellation, um einen unterhaltsamen Film ins Kino zu bringen. Den Pixar-Exectutives reicht das nicht. Sie holen noch 22 ins Boot und ein paar Esoterikerinnen auf einem Hippie-Piratenschiff, die sich in Trance zwischen den Welten im Flow bewegen. Und schon wird aus dem Abenteuer "Wie schafft es Joe zurück in seinen Körper?", das alle anderen erzählen würden, die viel drängendere Frage "Worum geht es eigentlich beim Mensch Sein?" Was Joes Musik bei 22 nicht auslösen konnte, löst eine Ahornfrucht in ihrer Hand aus, eine fröhlich herumtollende Familie, ein Stück Bretzel.

Visuell ist "Soul" ein Fest. Das im herbstlichen Sonnenlicht leuchtende Queens, die fantastische, schwebende, schimmernde Welt des Vorseits, die grandios gestalteten Kleinseelen-Betreuer, die schummrigen Jazzkneipen, sogar ein Barbershop bieten reichlich Augenfutter und also reiht sich der Film ein in die Riege der unsterblichen Pixar-Filme wie Toy Story, Monster AG, Findet Nemo, WALL•E, oder Alles steht Kopf. Auf der Erzählebene reiht sich der Film, der eigentlich früher hatte in den Kinos starten sollen und wegen Corona zu einem Dezember-Release bei Disney+ wurde, ein in weihnachtliche Produktionen, die das Innehalten, die Besinnung, die Erkenntnis des Essenziellen feiern; zwischen Filme wie Ist das Leben nicht schön? oder Charles Dickens' Weihnachtsgeschichte um den geizigen Ebenezer Scrooge.

In "Soul" lernen wir einen Mann kennen, der auf dem Weg ins Jenseits die Chance bekommt, nochmal über sein gelebtes Leben nachzudenken. Und es stellt sich heraus, dass Erfolg gar keine so große Rolle spielt, auch die Bestimmung nicht. Und, dass es nicht nur ein Leben vor dem Leben gibt. Sondern auch eines vor dem Tod.

Wertung: 6 von 8 €uro
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