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Plakatmotiv (UK): Nosferatu – Phantom der Nacht (1979)

Visuell beeindruckende Hommage an
einen aus der Zeit gefallenen Film

Titel Nosferatu – Phantom der Nacht
Drehbuch Werner Herzog
(nicht autorisiert) nach Motiven des Romans "Dracula" von Bram Stoker
Regie Werner Herzog, BRD, Frankreich 1979
Darsteller

Klaus Kinski, Isabelle Adjani, Bruno Ganz, Roland Topor, Walter Ladengast, Dan van Husen, Jan Groth, Carsten Bodinus, Martje Grohmann, Rijk de Gooyer, Clemens Scheitz, Lo van Hensbergen, John Leddy, Margiet van Hartingsveld, Tim Beekman, Jacques Dufilho, Michael Edols, Werner Herzog u.a.

Genre Horror
Filmlänge 107 Minuten
Deutschlandstart
23. Februar 1979 (Berlinale)
Inhalt

Wismar vor mehr als hundert Jahren: Der hier ansässige junge und unternehmungslustige Jonathan Harker, Sekretär des Immobilienmaklers Renfield, ist recht froh, als er die Gelegenheit erhält, eine weite, abenteuerliche Reise zu unternehmen.

Die Reise führt ins ferne Transsilvanien zu Graf Dracula, der in Wismar ein Haus erwerben will. Am Ziel der langen Reise angekommen, muss Jonathan voll Entsetzen erkennen, dass er in dem Grafen einem Vampir gegenübersteht – Nosferatu –, der es nicht nur auf ihn, sondern auch auf seine junge Frau Lucy abgesehen hat.

Zwischen Jonathan und Graf Dracula beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Verzweifelt bemüht sich Jonathan, vor Nosferatu wieder in Wismar zu sein, um Lucy und die Bürger der Stadt vor der drohenden Gefahr zu warnen. Aber Nosferatu, der das Segelschiff "Demeter" bestiegen hat und den Seeweg nimmt, ist schneller und erreicht vor Jonathan die Stadt – und mit ihm die Ratten.

Lucy, die in düsteren Vorahnungen das Unheil kommen sah, erkennt die Ursache all des Unglücks, als sie im Tagebuch ihres im Delirium fiebernden Jonathan liest: Nosferatu, der Vampir, weilt in der Stadt, und sie, Lucy, ist das Ziel seiner Blutgier. Um ihren Jonathan und die Stadt zu retten, fasst Lucy den Entschluss, sich selbst zu opfern. Freiwillig gibt sie sich – in der Hoffnung, den Vampir bis zum tödlichen Sonnenaufgang abzulenken – Nosferatu hin. Doch der ist nicht die einzige Gefahr …

Was zu sagen wäre

Der deutsche Regisseur Werner Herzog ("Stroszek" – 1977; "Kaspar Hauser – Jeder für sich und Gott gegen alle" – 1974; "Aguirre, der Zorn Gottes" – 1972) ist ein großer Verehrer Friedrich Wilhelm Murnaus, des deutschen Regisseurs, der unter anderem 1922 den Stummfilm Nosferatu drehte, der auf dem Dracula-Roman von Bram Stokers basiert. Herzog hat sich diesen Film Bild für Bild vorgenommen und bisweilen sogar in identischen Einstellungen nachgedreht. Herzog selbst sagt, sein Film sei kein Remake des 1922er-Films, sondern eine Hommage an Murnau.

Trotzdem hat er ein paar Dinge verändert. Murnaus Film war seinerzeit kein Straßenfeger. Der Film mit seinen surrealen Situationen, unzusammenhängenden Szenen und bisweilen grotesken Komödie-statt-Grusel-Sequenzen setzte sich erst über die Jahrzehnte vor allem beim akademischen Filmpublikum durch. Herzog verzichtet etwa auf die slapstickhafte Szene, in der Graf Orlok damals wie ein verwirrter Paketbote durch die Stadt stolperte, um seinen Sarg irgendwo gegen das Sonnenlicht zu sichern; sein Graf, der jetzt tatsächlich "Dracula" heißt, schleicht mit seinen Särgen sehr zielorientiert durch die nächtlichen Straßen Wismars. Herzog lässt die Geschichte über den Einfall der Pest, die der bleiche Graf an die Ostküste mitbringt, auch anders enden. Er endet nicht melancholisch wie Murnau, Herzog gibt seinem Pessimismus Zucker und lässt das Verderben sich über den Abspann hinaus verbreiten.

Darüberhinaus widerstrebt er allen modernen Mühen des Kinos zu Tempo und zwingender Dramatik und erzählt in ruhigen Einstellungen, denen vor allem im ersten Drittel ein Stativ gut getan hätten, wie der brave Makler die Albträume und Ängste seiner zu Kreislaufschwäche neigenden Gattin abwinkt, sich ins wilde Transsilvanien durchschlägt, wie ihn Zigeuner vor dem verfluchten Schloss warnen und er das ignoriert und wie der bleiche Graf Dracula ihn erst irritiert, aber als der blind den Kaufvertrag unterzeichnet und erklärt, jede Kaufsumme sei ihm recht, Harkers Bedenken für kurze Zeit verflogen sind.

Auftritt Klaus Kinski (Nobody ist der Größte – 1975; Leichen pflastern seinen Weg – 1968; Das Rätsel des silbernen Dreieck – 1966; Doktor Schiwago – 1965; Für ein paar Dollar mehr – 1965; Neues vom Hexer – 1965; Winnetou – 2. Teil – 1964; Das indische Tuch – 1963; Der Zinker – 1963; Das Gasthaus an der Themse – 1962; Die Tür mit den 7 Schlössern – 1962; Das Geheimnis der gelben Narzissen – 1961; Die toten Augen von London – 1961). Sein Graf Dracula ist äußerlich das Ebenbild des originalen Graf Orlok, den Max Schreck 1922 gespielt hat. Ein dürrer Körper, fahle Haut, Glatze, zerfledderte Ohren, spitze Milchzähne, lange Fingernägel – Hände, die nicht greifen müssen, aber krallen. In seinen Augen liegt die Einsamkeit des Unsterblichen: „Ich liebe die Dunkelheit und die Schatten, wo ich mit meinen Gedanken allein sein kann“, sagt er. „Ich stamme aus einem alten Geschlecht. Zeit, das ist ein Abgrund 1000 Nächte tief. Jahrhunderte kommen und gehen. Nicht altern können, ist furchtbar. Der Tod ist nicht alles, es gibt viel Schlimmeres. Können Sie sich vorstellen, dass man Jahrhunderte überdauert und jeden Tag dieselben Nichtigkeiten miterlebt?Plakatmotiv (Fr.): Nosferatu – Fantome de la Nuit (1979) Kinskis Graf ist in diesen Szenen ein in sich ruhender, melancholischer Gastgeber. Aber man sollte sich nicht einlullen lassen. Dieser Graf kann, wenn er Appetitliches wittert, plötzlich sehr schnell zupacken. So grausam er ist, so gnadenlos, in Klaus Kinskis Spiel bleibt er eine bemitleidenswerte Kreatur auf der Suche nach Zuneigung: „Das Fehlen der Liebe ist ein solcher Schmerz.

Auf der anderen Seite steht nicht etwa Doktor Van Helsing oder Jonathan Harker oder ein anderer der Kerle, die wir aus früheren Verfilmungen kennen. Hier ist Lucy Harker die tapfere Heldin, die sich dem Ungeheuer in den Weg stellt und es schließlich für einen hohen Preis überwindet. Gespielt wird sie von Isabelle Adjani (Driver – 1978; Der Mieter – 1976; Die Geschichte der Adele H. – 1975), der französischen Diva, die hier durch stets weit geöffnete Augen, dramatische Abwehrhaltung und somnambule Hingabe auffällt. Adjani spielt keine lebendige Frau, sie interpretiert den Stummfilmcharakter ihrer Vorgängerin aus Murnaus Film, der ohne Ton gedreht wurde, weshalb die Schauspieler und Schauspielerinnen damals jede Emotion überdeutlich in die Kamera spielen mussten. Dieser Maßgabe ergibt sich Adjani, verzichtet dafür darauf, ein lebendiges, erotisches Wesen zu sein – und Erotik spielt in diesem Vampirstück eine große Rolle. Denn der untote Graf ist echt verliebt in die blasse Milchhaut mit den großen Augen; wenn er schließlich an ihrem Bett sitzt und sich von der bleichen Holden durch Körperregionen vom Sonnenaufgang ablenken lässt, die der Blutdürstige bislang mangels Libido ignoriert hat, können wir die Einsamkeit des die Jahrhunderte Überlebenden spüren, fühlen die Sehnsucht nach der Wärme des menschlichen Körpers. Aber mit Mademoiselle Adjanis hölzernem Spiel hat das wenig zu tun.

Wie im Original legt Herzog den Fokus auf die Kreatur. Die Frau, die als Einzige in der Stadt Initiative übernommen hatte, um den Urheber der Pest zu vertreiben, wird hier zurückgestuft zum bleichen, pochenden Hals, der den Untergang der Kreatur einläutet. Überleben darf sie nicht. Herzog spannt sich als Regisseur lieber ins Geschirr Murnaus, um identische Einstellungen zu generieren, anstatt dem Stoff einen modernen Bezug zu gönnen. Wie schon 1922 ist die aktive, selbstbestimmte Frau zu gefährlich für die von Männern dominierte Gesellschaft. Bei Herzog wird das nochmal deutlich, weil bei ihm, anders beim bewunderten Vorbild Murnau 1922, der Tod am Ende siegt, Lucys Opfer war für die Katz, Dracula ist zwar tot, aber es ist ein neuer Untoter auf dem Weg.

"Nosferatu – Phantom der Nacht" ist ein visuell beeindruckender Film – die langen Einstellungen, die Aufnahmen an Originalschauplätzen, die Herzogs Freude unterstreichen, seine Zuschauer an ferne Orte zu entführen, die statischen, musikfreien Bilder, die das Fortschreiten der Pest ohne Worte inszenieren, die souveräne Montage dieser Einstellungen sind beeindruckend. Die Geschichte als solche, deren 1922er-Version schon schlecht gealtert war, ist es nicht.

Wertung: 5 von 9 D-Mark
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