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Plakatmotiv: Nosferatu – Eine Symphony des Grauens (1922)

Klassiker und Vorbild des modernen Kinos,
dessen Grauen aber schlecht gealtert ist

Titel Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens
Drehbuch Henrik Galeen
(nicht autorisiert) nach Motiven des Romans "Dracula" von Bram Stoker
Regie Friedrich Wilhelm Murnau, Deutschland 1922
Darsteller

Max Schreck, Alexander Granach, Gustav von Wangenheim, Greta Schröder, Georg H. Schnell, Ruth Landshoff, Gustav Botz, John Gottowt, Max Nemetz, Wolfgang Heinz, Albert Venohr, Eric van Viele, Karl Etlinger, Guido Herzfeld, Hans Lanser-Rudolf, Loni Nest, Josef Sareny, Fanny Schreck u.a.

Genre Horror
Filmlänge 94 Minuten
Deutschlandstart
15. März 1922
Inhalt

Graf Orlok, der als Vampir einsam auf seinem Schloss in Transsilvanien haust, sucht ein neues Domizil und hat sich mit einem Makler in der deutschen Hafenstadt Wisborg in Verbindung gesetzt. Dieser schickt seinen jungen Angestellten Thomas Hutter nach Transsilvanien, um dem Grafen den Kaufvertrag zu überbringen.

Schon in der ersten Nacht fällt Orlok über den jungen Hutter her; gestärkt mit frischem Blut macht er sich mit Särgen voller Muttererde auf den Weg nach Wisborg und schifft sich auf einem Segelboot in Varna ein. Hutter gelingt die Flucht aus Orloks Schloss. Hutters Frau Ellen hat böse Ahnungen und erwartet ihren Mann sehnsüchtig zu Hause.
Kurz darauf taucht ein vermeintlich führerloses Schiff im Hafen von Wisborg auf. Orlok bringt seine todbringende Fracht mit – pestinfizierte Ratten. Sie verbreiten die Seuche in der Stadt. In der Zwischenzeit ist Hutter eingetroffen und versucht seine Frau Ellen zu beruhigen, die Orlok im Salzspeicher entdeckt hat, genau gegenüber ihrem Wohnhaus. Sie ist bereit, sich dem blutsaugenden Orlok hinzugeben, um dem Unheil ein Ende zu bereiten. Und in der Tat: Orlok vergisst die Zeit, als er nachts über Ellen herfällt, beim ersten Sonnenstrahl löst er sich in Rauch auf – und die Stadt ist von der Pest befreit.

Was zu sagen wäre

Dass es mit dem unheimlich wirkenden Grafen nicht zum Guten steht, hätte Hutter, der Assistent des Maklers aus Wisborg, ahnen können; die warnenden Stimmen, entsetzten Blicke der Männer in der Taverne, als er sein Reiseziel nennt. Spätestens aber, als auf dem Glas ein Skelett die Stunden schlägt – hier zählt der Tod die Zeit. Aber Hutter ist eine treue Seele ohne Arg, also bleibt er in des unheimlichen Grafen Schloß und die blutigen Dinge nehmen ihren Lauf.

Aus heutiger Sicht ist diese Geschichte hinlänglich bekannt, mit anderen Namen zwar – Hutter ist Harker, Ellen ist Mina, Knock ist Renfield, Professor Buller ist Van Helsing, Orlock ist Graf Dracula – aber derselben Storyline: Vampir verliebt sich in das Foto einer Frau, kommt nach Europa und scheitert bei dem Versuch, die Frau für sich und die Ewigkeit zu gewinnen. Bram Stoker hat das geschrieben in seinem 1897 geschriebenen Roman "Dracula". Plakatmotiv: Nosferatu – Eine Symphony des Grauens (1922) Friedrich Wilhelm Murnau hat 1922 daraus diesen Film gemacht, ohne die Filmrechte zu besitzen, was in der Folge dazu führte, dass ein Berliner Gericht 1925 letztinstantlich verfügte, dass alle Kopien des Filmes zu vernichten seien. Glücklicherweise gab es schon Kopien in verschiedenen Ländern der Welt und so konnte der Film über viele Umwege, technische Finessen und Länder rekonstruiert werden.

Als der Film damals in die Kinos kam, war er kein großer Erfolg, was unter anderem daran lag, dass er gar nicht erst in die Kinos kam. Die UFA weigerte sich, den Film in das Programm ihrer großen Lichtspielhäuser aufzunehmen, und so lief "Nosferatu" nur in wenigen kleineren, vom Marktführer unabhängigen Kinos. Und die füllten sich kaum, weil auch die Kritiken eher zäh waren. Den wenigen, die eine "Sensation" gesehen haben wollten, standen nörgelnde bis bissige Verrisse gegenüber. Auch dem unbedarften Zuschauer des späten 20. Jahrhunderts entfährt bisweilen prustendes Lachen statt stöhnenden Schreckens angesichts des Monsters und seiner Mission. Wenn Orlock etwa mit seinem Sarg unterm Arm durch das nächtliche Wisborg irrt auf der Suche nach dem von ihm erworbenen Haus, erinnert er mehr an einen gestressten Paketboten, der nicht weiß, wohin damit. Der damals unzureichenden Filmtechnik ist der Makel geschuldet, dass der Zuschauer gar nicht erkennt, wann Tag oder wann Nacht ist, und wo wir heute wissen "Vampire + Sonne = Zu Staub zerfallen" kann man dieses Wissen bei den Zuschauern 1922 ja nicht unbedingt voraussetzen. Weil die Kameras damals aber bei wenig Licht einfach nur Schwarz sahen, läuft der Vampir auch Nachts durch taghell ausgeleuchtete Kulissen. Erst, wenn der Chronist in einer Texttafel aus dem "Buch der Vampyre" zitiert, nur eine Frau reinen Herzens könne „den Vampyr“ aufhalten, indem sie ihm aus freiem Willen ihr Blut zu trinken gibt und ihn so „den Hahnenschrey vergessen“ lässt, wird in Murnaus Film klar, dass Tageslicht möglicherweise für dieses Wesen der Nacht nicht geheuer ist.

In die Falle der taghell erleuchteten Bilder stakst auch Max Schreck in seiner Rolle als Graf Orlock. Bei einem seiner ersten Auftritte ist der wirklich gruslig in Szene gesetzt, sieht in seinen schwarzen Gewändern, aus denen nur der bleiche Kopf mit den aufgerissenen Augen heraus sticht, vor den dunklen Mauern seines Schlosses aus, wie ein schwebender, hohler Totenschädel, der spricht. In den restlichen Einstellungen, die ihn zeigen, sieht er im hellen Scheinwerferlicht aus, wie ein großer dürrer Mann mit Rückenproblemen und eingeschienten Beinen. Plakatmotiv: Nosferatu – Eine Symphony des Grauens (1922) Heutzutage ist es eine Binse, dass ein Monster, dass man nicht sieht, grauenerregender ist, als jede noch so schrecklich hermodellierte Kreatur – Der weiße Hai und Alien sind stilprägend. Auf diese Erkenntnis konnte Murnau freilich nicht zurückgreifen und hätte es der mangelnden Technik wegen damals auch nicht gekonnt. Murnau behalf sich, um Tages- und Nachtzeiten zumindest anzudeuten, mit einem Trick. Er färbte sein Filmmaterial unterschiedlich ein. Nachtszenen waren blau, die Innenräume tagsüber sepiabraun und nachts gelborange eingefärbt. Eine Einfärbung in Rosa wählte Murnau für die Szenen bei Morgengrauen.

Der große Schrecken des Grafes also verliert sich im Tageslicht, bevor er am Ende dort zu Staub zerfällt. Aber es ist die Frage, ob Murnau eigentlich primär darauf aus war, Schrecken bei seinen Zuschauern zu erzeugen. "Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens" besteht aus 540 einzelnen Kameraeinstellungen. Das ist für damalige Verhältnisse in einem Film, der nicht mal 90 Minuten dauert, sehr viel, Kritiker hätten damals von "schnell geschnitten" gesprochen. Dennoch entsteht nicht der Eindruck einer flüssig erzählten Geschichte. Von dem Moment an, an dem Orlock und Hutter auf unterschiedlichen Wegen aus Transsilvanien nach Wisborg reisen, verliert sich der Film in vielen Panoramabildern, in denen eine Person sitzt und nichts tut. Der Zwischentitel beschreibt dann etwa, dass Ellen bangend ihren Liebsten zurückerwartet und dann sehen wir Ellen am Strand sitzen; es ist nicht klar, wieso sie am Strand sitzt, erwartet sie ihn doch eigentlich auf dem Landweg per Kutsche, mit der er auch fortging, entscheidend aber ist, dass sie einfach minutenlang da sitzt. An anderer Stelle sitzt der Makler Knock alleine in seiner Zelle im Sanatorium und harrt der Ankunft des Meisters. Weder ist klar, welche Verbindung eigentlich Orlock und Knock zueinander haben, dass Orlock ihn mit einem Male fernsteuern kann – wir erinnern uns: In der Dracula-Geschichte muss Renfield vom Grafen noch Auge in Auge hypnotisiert werden – noch tut Knock in seiner Zelle irgendetwas, während er wartet. So vergeht Einstellung um Einstellung, in denen nichts passiert, bis die Kamera zurück auf dem Schiff ist, auf dem Morlock bald die ganze Besatzung ausgeblutet hat, oder bei Hutter, der sich auf dem Landweg nach Hause durchschlägt. Es ist tatsächlich ein Landweg, keine Kulisse im Studio. Murnau verweigerte sich der Künstlichkeit, die im expressionistischen Film der damaligen Zeit so in Mode war ("Das Cabinet des Dr. Caligari" – 1920; "Der Golem, wie er in die Welt kam" – 1920), und ging mit seiner Kamera raus. Das hat für das damalige, noch ungetrübte Auge den durchaus  erschreckenden Effekt, dass das Unheimliche, das Monster in den realen Alltag der Menschen, in deren Nachbarschaft einbricht. Besondere Spezialeffekte setzte Murnau nicht ein; sein größter Trick ist die Überblendung, etwa, wenn Orlock sich in ein Haus zaubert, ohne die Tür zu öffnen. Murnau blendet ihn dann per Doppelbelichtung einfach aus der stehenden Aufnahme – ein Effekt, der sich schnell leer sieht. Selbst die Blutorgie auf dem Zweimaster enthält er uns vor, zeigt uns nur das Resultat. Nein, auf den bloßen Schrecken ist der Regisseur nicht aus. Es fehlen auch Anschlussbilder, die eine Einstellung mit der nächsten in Verbindung setzen, und so steht Einstellung neben Einstellung, als wolle Murnau eine Ansammlung von Tableaus errichten, die jedes für sich von Einsamkeit zeugen (die vielen Figuren, die jeweils für sich herumsitzen) und von verklemmter Sexualität erzählen.

Im Grunde ist dieser Orlock ein armes Schwein. Er lebt einsam auf einem brüchigen, düsteren Schloss und später, in Wisdorf, lebt er einsam in einem baufälligen, düsteren Gemäuer und starrt sehnsuchtsvoll in das Haus gegenüber, in dem Ellen wohnt, die Frau, in deren Abbild er sich in Transsilvanien verliebt hatte. Plakatmotiv: Nosferatu – Eine Symphony des Grauens (1922) Murnau gibt uns keine Einstellung, in der der Graf sich in anheimelndem Ambiente bewegt; es ist immer düster, dunkel und leer. Man kann verstehen, dass er alles um sich herum vergisst, als die schöne Ellen ihm die Tür zu ihrem Schlafzimmer öffnet, wo er dann sich an ihr labend prompt vom Tageslicht erwischt wird. Dass auch Ellen stirbt, ist folgerichtig, weil es aus damaliger Sicht nicht opportun war, dass eine Frau einen fremden Mann in ihr Schlafgemach, gar an ihr Bett, in dem sie lag, ließ.

Der Film ist, wie man heute sagt, schlecht gealtert und wirkt ein wenig naiv, was seine Gründe in den besprochenen Aspekten hat, die ja auch damals schon keinen Applaus fanden. Akademisch betrachtet aber ist der Film eine Fundgrube für Filmstudenten. Der Erzählstil, der sich nur vordergründig an ein einfaches Volksmärchen anlehnt, linear erzählt bis hin zur unvermeidlichen Konsequenz, kann in viele unterschiedliche Perspektiven zerlegt werden, die unzusammenhängend erscheinenden Einstellungen, die Raum und Zeit nicht klar definieren, lassen sich als die Vision eines (Alb)Traums deuten. Dadurch, dass etwa Ellen und Orlock schon miteinander kommunizieren, als er noch in Transsilvanien ist, indem er ins rechte Off blickt, gefolgt von einer Einstellung, in der Ellen in Wisborg ihre Hände flehend ins linke Off streckt, deutet der Film Abhängigkeiten und Manipulationen der Protagonisten an.

Klar ist auch: Ohne das Vorbild durch Murnaus "Nosferatu" hätte der amerikanische Horrorfilm der 30er Jahre anders ausgesehen und damit das amerikanische Kino der Neuzeit. Für einen naiv wirkenden Film ist das eine ganze Menge.

Wertung: 3 von 6 D-Mark
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