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Plakatmotiv: Christine (1958)

Romy Schneider, Leinwandgöttin, adelt
ein Rührstück mit Kitschanteil zum Ereignis

Titel Christine
(Christine)
Drehbuch Pierre Gaspard-Huit & Hans Wilhelm & Georges Neveux
nach Arthur Schnitzlers Schauspiel "Liebelei" (1895)
Regie Pierre Gaspard-Huit, Frankreich, Italien 1958
Darsteller
Romy Schneider, Alain Delon, Jean-Claude Brialy, François Chaumette, Jacques Duby, Sophie Grimaldi, Jean Davy, Bernard Dhéran, Jean Galland, Jean Lagache, Colette Proust, Jacques Toja, Fernand Ledoux, Micheline Presle, Claudine Auger, Allain Dhurtal, Joseph Egger, Carl Lange u.a.
Genre Komödie, Drama
Filmlänge 95 Minuten
Deutschlandstart
19. Dezember 1958
Inhalt

Das kaiserliche Wien im Jahre 1906: Leutnant Lobheiner vom 14. Dragonerregiment hat seit einiger Zeit eine Liebesbeziehung mit der "Dame in Schwarz", der Baronin Eggersdorf. Ihr bedeutet der junge Leutnant viel, Lobheiner dagegen bereitet die Liaison wachsendes Unbehagen.

In dieser Situation wird er von seinem Freund und Kameraden Theo in einer Schänke der 20-jährigen Christine Weiring vorgestellt. Sie ist die Tochter eines Cellisten und – im Gegensatz zu ihrer gleichaltrigen Freundin Mizzie – von Natur aus zurückhaltend und empfindsam. Darin gleicht sie dem Leutnant, wie die beiden schnell merken. Auch dank des guten Zuredens ihrer beiden Freunde Mitzi und Theo kommen sich die beiden näher und verbringen Zeit miteinander. Nach anfänglichem Zögern entwickelt sich eine tiefe Liebesbeziehung zwischen Fritz Lobheiner und Christine.

Doch die Vergangenheit von Fritz steht dem jungen Glück im Wege. Die Baronin bewegt sich immer noch in ihrem unmittelbaren Umfeld. Christine wird misstrauisch über die Vergangenheit ihres Verehrers. Gleichzeitig wird es Fritz schwer gemacht, die Baronin von seinem Entschluss sich von ihr zu trennen zu unterrichten.

Gerade als Lobheiner endgültig mit der Baronin bricht, entdeckt deren Mann Beweise für ihre Untreue. In einer ihrer Schubladen findet er den Schlüssel zu Lobheiners Wohnung, der junge Fritz wird eindeutig überführt. Der Entschluss des Barons steht fest: Er fordert den jungen Leutnant zum Duell …

Was zu sagen wäre

Wissen's, was ich bei den Opern so blöd find'?“, fragt die junge Christine ihren Begleiter, den feschen Leutnant Lobheiner. „Dass das nie was mit dem richtigen Leben zu tun hat. Heut Abend zum Beispiel gäb's Romeo & Julia. Ich hab' Freikarten. Aber zum Schluss sterben's alle zwei. Ich mag keine Liebesgeschichten, die bös' ausgehen.

Das ist ein herzzerreißender Film. Oder ein blöder Kitsch-Quatsch in bunten Kostümen. Das Schauspiel von Arthur Schnitzler, das diesem Film als Vorlage dient, heißt "Liebelei" und so harmlos, wie das klingt, geht die Geschichte auch los. Dem ersten Impuls folgend möchte man das Kino nach fünf Minuten schon wieder verlassen: Wir sehen kichernde Damen in bunten Kleidern, die sich um schmucke Herren in blauen Uniformen drängeln und hoffen, von diesen zum Tanze geführt zu werden auf eine Tanzfläche, die von einer Kapelle mit Wiener Walzer bespielt wird. Wir sind im Wien des Jahres 1906. Unentwegt scheint die Sonne über idyllischen Landschaften oder haucht ein laues Abendlüftchen, wenn der Galan seine Holde heimwärts führt und sanfte Sentenzen spricht.

Nach und nach wird die Szenerie düsterer, bedrückender. Der Galan schleppt eine alte Liebelei mit sich, die er längst ablegen wollte, jedoch nicht konnte. Seit er die höchst unschuldige, strahlend schöne Christine kennt, ist ihm dies um so dringlicher, aber da hat der Gatte der noch nicht abgelegten Liebelei den Leutnant Lobheiner schon zum letztlich letalen Duell auf Ehre gefordert.

Die titelgebende "Liebelei", die Schnitzler in seinem Stück von 1894 behandelt, dreht sich um die damals skandalöse außereheliche Liebe. Aus männlicher Sicht werden zwei Typen von Frauen eingeführt: Die „interessanten Weiber“, die Lobheiners guter Freund, Oberleutnant Theodor Kaiser in verheirateten Frauen aus der Oberschicht findet, weil sie „Gefahren“ bergen, „Tragik“ und „große Szenen“. Plakatmotiv: Christine (1958) In der Liebelei mit einem armen Mädchen aus der Vorstadt hingegen finde man „Erholung“, „Zärtlichkeit“ und „sanfte Rührung“, die nach vier gemeinsamen Sonntagen aber wieder fad werden sollten. Pierre Gaspard-Huit erweitert den Liebelei-Begriff in seinem Film um die sehr selbständige Baronin Eggersdorf, der an ihrem steifen, ältlichen Gatten nur mehr wenig liegt und sich den – deutlich jüngeren – Leutnant Lobheiner als schmucken Toyboy hält – auch dies deutlich eine Liebelei, aber nach den Regeln der Frau, die nur schwer damit einverstanden ist, dass ihr junger Liebhaber sie wegen einer anderen verlassen will. Es sind jüngere Männer und ältere Frauen, die sich um Gefühle wenig scheren, während sie körperliche Befriedigung und kurzfristige emotionale Streicheleinheiten sammeln. Das sieht alles schmuck aus und gleichzeitig mit seinen feschen Offizieren und liebreizenden Madeln wie deutsches Nachkriegskino – noch dazu, weil Romy Schneider die Hauptrolle spielt und immer noch so hinreißend ist, wie in ihren Sissi-Filmen.

Dabei stammt "Christine" aus französisch-italienischer Küche. Und es ist Romy Schneiders erster Film, der auf französisch gedreht wurde und der nach "Monpti" oder "Mädchenjahre einer Königin" den ersten großen Meilenstein auf ihrer Flucht aus dem deutschen Sissi-Kosmos bedeutete, der sie zwischenzeitlich zu ersticken drohte. In der Originalfassung wird sie von Gilberte Aubry synchronisiert, einer französischen Schauspielerin, die sie auch schon in ihren früheren Filmen für das französische Kino gesprochen hatte. Schneiders Französisch hatte zu jener Zeit noch, wie ihr Filmpartner Jean-Claude Brialy sagte, „einen dicken Akzent“. In der deutschen Fassung synchronisiert sich Schneider selbst – was dem Film unbedingt zugute kommt.

Gaspard-Huits Film nimmt zunehmend Fahrt auf Richtung Abgrund. Lobheiner findet keinen Ausweg aus seiner fatalen Liaison mit der Baroness, selbst als sich beide mit Anstand voneinander getrennt haben. Ihr Gatte sinnt auf Satisfaktion. In keiner Szene sagt er, warum; dass er seine Frau liebt, kann man nicht erkennen, dass er sich betrogen fühlt, auch nicht. Des Gatten Streben, das eines Mannes der starren Konventionen, hat ausschließlich mit dem Ehrbegriff des ausgehenden 19. Jahrhundert zu tun, in dem nicht sein konnte, was nicht sein durfte: Meine Frau, mein Besitz, lass die Finger davon! Es sind sein Rang und seine gesellschaftliche Herkunft, die nach Genugtuung rufen.

Dem armen, in Liebes-und Affärendingen immer noch völlig unbeschlagenen Leutnant Lobheiner wird zunehmend blümerant zumute, sein Auftreten wird blass und wortkarger, zumal seine Kameraden in der Kaserne es durchweg richtig finden, dass er sich im Duell stellen muss, obwohl er gegen den „kaltblütigen“ Baron keine Chance haben wird. Hingegen seine Christine ahnt von all dem Drama nichts, sie strahlt in jeder Szene süß und frisch wie der junge Morgen, dass es einem im Kinosessel (oder Jahrzehnte später, ich sehe den Film 1985, im Fernsehsessel) das Herz verkrampft.

Alain Delon hat hier als dramenumwölkter Leutnant einen seiner ersten Kinoauftritte, bevor er als Weltstar durchstartet (Nur die Sonne war Zeuge – 1960; Rocco und seine Brüder – 1960; Der Leopard – 1963; Die Abenteurer – 1967; Der eiskalte Engel – 1967; Der Swimmingpool – 1969; Der Clan der Sizilianer – 1969; Borsalino – 1974; 4 im roten Kreis – 1970; Rivalen unter roter Sonne – 1971; Der Chef – 1972; Scorpio, der Killer – 1973; Airport '79 – Die Concorde – 1979). Er spielt den Lobheiner als aufrechten, in Liebeshändeln naiven jungen Mann, der sich drehbuchgemäß in seinen Gefühlen verheddert.

Romy Schneider indes macht diesen Film, der vor dem Beginn ihrer Weltkarriere steht, zu einem Ereignis (Was gibt's Neues, Pussy? – 1965; Spion zwischen zwei Fronten – 1966; Der Swimmingpool – 1969; Die Dinge des Lebens – 1970; Cesar und Rosalie – 1972; "Die zwei Gesichter einer Frau" – 1981; Das Verhör – 1981; Die Spaziergängerin von Sans-Souci – 1982). Wirkt sie zu Beginn in der Tat wie ein Abbild der guten, lieben österreichischen Kaiserin, entpuppt sie sich zunehmend als gebildete, charmante, wortgewandt unsichere junge Frau, die sich vorsichtig tastend in das Abenteuer der ersten und gleichzeitig der großen Liebe gleiten lässt und mit Karacho vor die Wand fährt. Wer sich als Zuschauer nicht in diese bezaubernde Frau verliebt – Achtung: Wir sind im Kino, da darf man(n) sich in die Frau auf der Leinwand zumindest für die Dauer des Films verlieben – sollte wirklich nach fünf Minuten wieder gehen. Allen anderen wird es schwer ums Herz werden: „Geschworen hat er, dass er mich liebt. Und gestorben is' er für a andere.

"Christine" ist die vierte Verfilmung des Schnitzler-Stücks "Liebelei. Die erste, aus Dänemark, datiert von 1913. Nach 1927 entstand 1933 mit "Liebelei" unter der Regie von Max Ophüls die dritte Version mit Romy Schneiders Mutter Magda Schneider in der Christine-Rolle. In der aktuellen Verfilmung gelingt es Romy Schneider, dass wir Zuschauer unter keinen Umständen sehen wollen, dass ihr schönes, vor Lebenslust rotbäckig glühendes Gesicht in Trauer zerfällt. Das ist keinesfalls sexistisch, das ist die Magie des Kinos; jedenfalls für meine Generation verkörpert Schneider hier, was Marlene Dietrich, Lauren Bacall, Marilyn Monroe, Bette Davis oder Rita Hayworth für unsere Elterngeneration verkörpert haben mögen: eine Leinwandgöttin.

Der Inszenierung selbst bietet ein Rührstück an der Grenze zum Kitsch-Quatsch. Romy Schneider adelt den Film zu einem Must See.

Wertung: 5 von 7 D-Mark
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