In der französischen Provinz wird eine Bank ausgeraubt. Der fast perfekt gelaufene Coup geht auf das Konto des gerissenen Pariser Nachtclubbesitzers Simon und ist Teil eines größeren Plans, bei dem noch viel mehr Beute winkt.
Kommissar Edouard Coleman, ein guter Freund von Simon, wird auf den Fall angesetzt. Doch nicht nur, dass sie sich gegenseitig respektieren und schätzen, sie lieben auch dieselbe Frau. Coleman muss seine Freundschaft vergessen, denn Simon hat schon einen neuen Raubzug im Visier. Doch diesmal will ihm Colemann zuvor kommen und ist ihm bereits dicht auf den Fersen …
In diesem Frankreich möchte Gott nicht leben. Jean-Pierre Melville taucht das französische Küstenstädtchen in Grautöne. Es stürmt. Es regnet. Die Straßen sind verwaist. Die Fensterläden verrammelt. Einen angehauchten Farbtupfer bringt mal der Vorortzug, der mit roten und grünen Waggons über die Seine ruckelt. Es ist kalt und unwirtlich. Und vier Gangster in Trenchcoat und Hut haben gerade eine Bank ausgeraubt.
Die Menschen sind bei Melville auch nicht heimeliger als die Szenerie. Der Kommissar ist ein einsamer Wolf, dessen Arbeitstag beginnt, wenn die anderen schlafen gehen. Ungerührt folgt er dem Verbrechen und zieht es aus dem Verkehr. Dauernd wird er ans Telefon gerufen, fragt „Und wo? Ich komme gleich dahin. Ich melde mich wieder.“ Seine Familie sind seine Mitarbeiter, der treue Assistent, der ihm dauernd das Autotelefon reicht, und die anderen, die höchstens mal „Ja, Herr Kommissar“ sagen. Alain Delon (Rivalen unter roter Sonne – 1971; 4 im roten Kreis – 1970; Borsalino – 1974; Der Clan der Sizilianer – 1969; Der Swimmingpool – 1969; Der eiskalte Engel – 1967; Die Abenteurer – 1967; Brennt Paris? – 1966; Der Leopard – 1963; Rocco und seine Brüder – 1960; Nur die Sonne war Zeuge – 1960) gibt hier die redselige Ausgabe seines Samourai, den er 1967 unter Melvilles Regie gespielt hat, bleibt ansonsten aber ähnlich unbewegt, wie damals. Des Kommissar Colemans Gegenspieler ist auch sein bester Freund, Simon, gespielt von dem Amerikaner Richard Crenna ("Verschollen im Weltraum" – 1969; "Warte, bis es dunkel ist" – 1967; Kanonenboot am Yangtse-Kiang – 1966). Dass Simon, der Nachtclubbesitzer, auf der falschen Seite des Gesetzes steht, ahnt der Polizist noch nicht. Dass sich beide dieselbe Frau teilen, wissen beide und nehmen beide nicht so ernst. Die Frau, Cathy, übrigens auch nicht. Catherine Deneuve (Das Geheimnis der falschen Braut – 1969; Belle de Jour – 1967; Ekel – 1965) spielt sie als gewohnt unterkühlte Frau, die schaut, dass sie den Kopf über Wasser behält.
Melville huldigt dem amerikanischen Gangsterfilm. Seine Figuren haben amerikanisch angehauchte Namen – Coleman, Simon, Cathy – sind gekleidet wie Humphrey Bogart, James Cagney und die anderen von der US-Westküste. Die Stimmung ist lakonisch, die Männer professionell und ungebunden. Bis auf einen ehemaligen höheren Bankangestellten, der seinen Arbeitsplatz verloren hat und „in meinem Alter“ nichts Adäquates mehr in Aussicht hat. Er ist die tragische Figur, der warmblütige Mensch in diesem kalten Reigen, der seiner Frau immer erzählt, er habe irgendwo in der Provinz ein Vorstellungsgespräch – „Ein Posten als Direktor in der Provinz ist doch, wie ein Filialleiter in der Hauptstadt.“ – um dann mit seinen Kameraden auf Raubzug zu gehen. Alle anderen sind einsame Wölfe. Der Kommissar ist der einsamste.
Jean-Pierre Melville (Armee im Schatten – 1969) übertreibt es ein wenig mit seinem wie stets strengen Formalismus. Zitiert sich gar selbst: Es gibt einen Raubüberfall in einem fahrenden Zug, in den aus einem Hubschrauber eingestiegen wird (beide sind derart deutlich als Plastikmodelle zu erkennen, dass man im Kinosessel vielleicht kurz mal nicht so genau hinsehen sollte). Simon steigt dann in den Zug, begeht einen minutiös vorbereiteten Rat und kehrt zurück in den Helikopter. Eine sehr lange Raubszene, kaum Dialog, ganz ohne Musik, auf der Tonspur nur untermalt von dem gleichförmigen Rattern des Zuges; die Szene erinnert natürlich an den Einbruch in 4 im Roten Kreis. Was sich aber in früheren Filmen, auch im Eiskalten Engel ideal verbunden hat, findet hier keinen Halt. Die Figuren haben keine zweite Ebene, bleiben Oberfläche und Handlungselement ohne eigene Motivation – der Bulle ermittelt, der Gangster klaut, die Frau sondiert, Punkt. Die dem französischen Krimi so eigene Melancholie zündet nicht. Die muss man sich im Kinosessel diesmal dazu denken, wenn sich Freund und Freund im Finale kühl gegenübertreten. Dieses eine Mal ist der Regisseur in seiner erzeugten Kälte erfroren.
"Der Chef" war der letzte Film, den Jean-Pierre Melville inszenierte, bevor er am 2. August 1973 im Alter von 55 Jahren an einem Schlaganfall verstarb.