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Plakatmotiv: Die Dinge des Lebens (1970)

Ein berauschender Essay über
das unberechenbare Schicksal

Titel Die Dinge des Lebens
(The Thing)
Drehbuch Jean-Loup Dabadie & Paul Guimard, & Claude Sautet
nach dem gleichnamigen Roman von Paul Guimard
Regie Claude Sautet, Schweiz, Frankreich, Italien 1970
Darsteller

Michel Piccoli, Romy Schneider, Gérard Lartigau, Jean Bouise, Boby Lapointe, Hervé Sand, Jacques Richard, Betty Beckers, Dominique Zardi, Gabrielle Doulcet, Roger Crouzet, Henri Nassiet, Claude Confortès, Jerry Brouer, Jean Gras, Marie-Pierre Casey, Marcelle Arnold, Jean-Pierre Zola u.a.

Genre Drama, Romantik
Filmlänge 89 Minuten
Deutschlandstart
19. September 1970
Inhalt

Der Architekt Pierre Bérard weiß nicht so recht, wohin er sein Leben lenken soll. Darunter leidet seine jetzige Partnerin Hélène, die gerne gemeinsam mit Pierre eine ruhige Zeit in Tunis verbringen möchte. Aber der Architekt kann sich zu dem Schritt nicht durchringen, der seine Beziehung mit Hélène festigen würde. Stattdessen nimmt er einen Urlaub mit seinem Sohn auf der Insel Île de Ré in Angriff.

Je mehr Zeit ihm zum Nachdenken bleibt, desto mehr entfernt er sich emotional von Hélène. Will er wirklich seine Zukunft mit der jungen Frau verbringen? Schließlich trifft Pierre eine Entscheidung, die er Hélène in einem Brief mitteilen will. Beim Versuch, diesen mit seinem Auto auszuliefern, kommt es zu einem folgenschweren Ereignis, das alles ändert, was bis dahin geschehen ist …

Was zu sagen wäre

"Carpe Diem" heißt es, wenn der Lateinlehrer seinen Schülern eine Lektion für's Leben beibringen (und dabei auch noch Vokabeln lehren) will – Nutze den Tag! Oder auch Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Da könnte es nämlich zu spät sein. Unter Claude Sautets Regie (Der Panther wird gehetzt – 1960) nimmt das Schicksal keine Rücksicht. Da ändert eine unbedachte Entscheidung das Leben anderer und ändert eine bedachte Entscheidung das Leben gleich noch einmal.

Da ist Pierre, ein erfolgreicher Architekt, der für seinen Beruf brennt, der sich leidenschaftlich mit dem Investor darüber streiten kann, ob die künftigen Bewohner einer Hochhaussiedlung auf Parkplätze oder auf eine grüne Wiese über einer Parkgarage gucken, wenn sie aus dem Fenster schauen. Michel Piccoli (Topas – 1969; Belle de Jour – 1967; Brennt Paris? – 1966) spielt ihn als souveränen Lenker, der Konflikten gerne ausweicht und vergleichsweise leidenschaftslos durch sein Privatleben gleitet. Von seiner Frau Catherine lebt er getrennt, der mittlerweile erwachsene Sohn geht eigene Wege. Aber der klappernde Rolladen am Haus, in dem er mit der Ex und dem Sohn über Jahre die Ferien verbracht hat, hat immer noch seine volle Aufmerksamkeit. Das Verhältnis zur Ex-Frau ist intakt, beruflich passt zwischen beide kaum ein Blatt Papier. Aber er liebt Hélène. Die klagt zurecht „Du liebst mich, weil ich da bin. Schon, wenn Du über die Straße gehen müsstest, um zu mir zu kommen, wäre Dir das zu viel.“, denn eigentlich hätte Pierre die Dinge einfach so, wie sie immer waren, unkompliziert.

Sinnbildlich für Pierres Einstellung zu den Dingen des Lebens ist eine Erfindung, die sein Sohn Bertrand gemacht hat, ein mechanischer Vogel, an dem äußerlich nichts an einen Vogel erinnert, der aber Geräusche macht wie ein Vogel für Leute, die gerne Vogelgezwitscher hören, aber kein Tier im Haus wollen, um das man sich kümmern muss: DVD-Cover: : Die Dinge des Lebens (1970)Außerdem hat er noch den Vorteil, dass die Melodie immer die gleiche ist. Die verändert sich nie. Und das wird dann mit der Zeit zu einem vertrauten Geräusch, dass einfach zur Familie gehört. Und plötzlich ist es sowas wie ein Haustier. Es bleibt immer gleich und verändert sich nie.“ Bertrand hat schon vierzig von diesen Apparaten verkauft. Sein Vater Pierre ist offenbar nicht der einzige, der gerne alles neu, aber unverändert haben will.

Aber dann hat Pierre einen schweren Autounfall. Damit verrate ich keine überraschende Wendung, mit dem Unfall beginnt der Film und der Unfall begleitet den Film immer wieder, der dazwischen in Rückblenden aus Pierres Familien-, Liebes- und Berufsleben erzählt. In der Jackentasche hat er einen Brief, in dem er seiner Geliebten mitteilt, dass er sich von ihr trennen wolle; den Unfall aber hat er, weil er viel zu schnell über die Landstraßen gerast ist, nachdem er unterwegs verstanden hat, dass er nicht immer im Gestern leben kann, sondern nach vorne in ein neues Leben mit neuer Frau – eben: Hélène – starten will. Die Spannung im letzten Drittel zieht der Film dann aus der Frage, ob Pierre den Unfall überlebt – er liegt da ziemlich lange zwischen Leben und Tod im Gras an der Unfallstelle mit lauter Schaulustigen um sich herum – und, falls nicht, ob Hélène den mittlerweile überholten Trennungsbrief erhalten wird. Diese Hélène ist kein Püppchen für zwischendurch, In Romy Schneiders Spiel (Der Swimmingpool – 1969; Spion zwischen zwei Fronten – 1966; Was gibt's Neues, Pussy? – 1965; Nur die Sonne war Zeuge – 1960; Christine – 1958; "Sissi" – 1955) strahlt das Selbstbewusstsein einer jungen Frau, die ihre Ziele durchsetzen und nicht etwa einem Mann unterordnen will.

Bewusst umkoordiniert springt Sautet zwischen dem Gestern – der Geschichte von Pierre, Hélène, Catherine und dem Leben als Architekt, in dem er ein ungeduldiger Autofahrer ist – und dem Heute des Unfalls hin und her und zwingt seine Zuschauer damit in eine dauernde Oh-nein-bitte-nicht-Haltung; die Zuschauer wissen mehr, als die Menschen im Film, damit hält Sautet eine nervöse Spannung. Alfred Hitchcock hat mit dieser Erzähltechnik (der Zuschauer weiß von einer Bombe, von der die Figuren im Film nichts ahnen) des Suspense das Genre des Thrillers geprägt. Sautet hat in  "Les choses de la vie" den Suspense nun über einen ganzen Film gespannt – nicht über einen Thriller allerdings, sondern über eine Geschichte über die Liebe und das Leben und die Dinge die es ausmachen. Und findet noch im Tragischen einen bezaubernden – ich bin versucht zu sagen: französischen – Ausklang.

Wertung: 8 von 8 D-Mark
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