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Plakatmotiv: Barbie (2023)

Eine pinkfarbene Marketingproduktion
mit ein paar unterhaltsamen Situationen

Titel Barbie
(Barbie)
Drehbuch Greta Gerwig & Noah Baumbach
Regie Greta Gerwig, USA, UK 2023
Darsteller
Jane Fonda, John Phillip Law, Anita Pallenberg, Milo O'Shea, Marcel Marceau, Claude Dauphin, Véronique Vendell, Giancarlo Cobelli, Serge Marquand, Nino Musco, Franco Gulà, Catherine Chevallier, Marie Therese Chevallier, Umberto Di Grazia, David Hemmings u.a.
Genre Abenteuer, Komödie
Filmlänge 114 Minuten
Deutschlandstart
20. Juli 2023
Website https://www.warnerbros.de/barbie
Inhalt

In Barbieland ist alles an seinem Platz. Die Frisur sitzt, die Kleidung und jedes Accessoire passen zueinander. Kurz: Es ist eine perfekte Welt. Wer hier lebt hat, was sie will. Sofern sie nicht Ken ist. Kenn ist nur ein Junge, der sie, Barbie, anhimmelt. Für Barbie ist jeder Tag der schönste Tag im Leben. In alle Ewigkeit.

So auch für die stereotypische Barbie, eine der einflussreichsten Barbies im Land, die vom platinblonden Schönling Ken angehimmelt wird. Doch irgendetwas stimmt in letzter Zeit nicht, denn Barbie beschleichen immer wieder Gedanken an den Tod. Ein absolutes No-Go im Barbieland, wo jeder Tag doch einfach nur perfekt sein sollte. Ihre einzige Hoffnung ist Weird Barbie, die außerhalb des Barbielands ein Einsiedler-Dasein führt. Diese offenbart ihr, dass der Ursprung ihres merkwürdigen Verhaltens in der richtigen Welt zu finden ist und sie die Person aufspüren muss, die mit ihr spielt.

Also brechen Barbie und Ken gemeinsam in die reale Welt auf. Doch kaum angekommen, müssen sie feststellen, dass dort andere Regeln als im Barbieland gelten. Während Barbie sich den neuen Herausforderungen stellt und dabei mehr als einmal mit dem Gesetz in Konflikt kommt, entdeckt Ken das Patriarchat für sich …

Was zu sagen wäre

Eine Puppe bricht nach hartem Kampf aus aus ihrem Leben als Spielzeug, um als Frau glücklich im medizinischen Stuhl des Gynäkologen zu landen. Sie hat jetzt eine Vagina.

Da ist Greta Gerwig (Little Women – 2019; Lady Bird – 2017) ja mal ein knallbuntes Überraschungsbonbon geglückt, das mit irre gutem Marketing die Massen anlockt. Vor etwa einem Jahr erschien ein ersten Szenenfoto von Barbie und Ken aus dem Film – einer strahlend blonden Margot Robbie und einem weißblonden Ryan Gosling mit stählernem Waschbrettbauch – und das Internet bebte. Das Bild ging viral und fortan gab es Bemerkungen rund um den Film "Barbie" nur noch mit dem Hinweis, es handele sich da um das Kinoereignis des Jahres 2023. So ist es gekommen. Als ich den Film sehe (Budget geschätzt 130 bis 145 Millionen US-Dollar), hat er an den weltweiten Kinokassen gerade die Eine-Milliarde-Dollar-Grenze übersprungen.

Ein bonbonbunter, bildstarker Anfang

Ein Spielzeug verlässt seine Welt, um in der anderen, realen Welt seine eigene Welt zu retten. Sowas ähnliches haben die Pixar-Studios 1995 mit dem Trickfilm Toy Story erzählt. Damals durften die Spielzeuge Spielzeuge bleiben, das war ihre Bestimmung, ihr Wesenskern. Ihr größtes Glück war, wenn "Andy", ihr Besitzer, mit ihnen spielte.

Das waren die 90er. Lange her.

In der ersten halben Stunde erleben wir die Barbies in ihrem gigantischen, pinkfarbenen Habitat; das ist eine Barbiewelt voller herrlicher Einfälle: Die verschiedenen Plastikvillen haben keine Außenwände – natürlich nicht, sonst könnten ja die Kinder nicht mit Barbie darin spielen; wenn sich Barbie zum Frühstück eine Milchtüte öffnet, fließt da keine Milch raus, sondern nichts – Mattel verkauft ja schließlich kein Lebensmittel; Barbie braucht keine Treppen – wenn Kinder mit ihr spielen, stellen sie sie schließlich einfach da hin, wo sie für das aktuelle Spiel halt stehen soll; wen Ken mit seinem Surfbrett vom Strand in die Fluten springt, prallt er hart auf den Pappmaschee-Wellen auf. Es sind Bilder eines glücklichen Matriarchats – oder eines Barbiearchats – so üppig voll mit Ideen am Seitenrand, dass sich ein zweiter Blick lohnt – wenn da nicht dann auch noch der ganze Rest des Films mitbezahlt werden müsste.

Manches verknotet das Gehirn

In "Barbieland" feiern zahllose Barbies jeden Tag den schönsten Tag ihres Lebens. Es gibt zahllose Barbies, aber jeden Barbie-Typ nur einmal – eine Präsidentin-Barbie, eine Doktor-Barbie, eine Surfer-Barbie, eine Body-Positivity-Barbie, eine Meerjungenfrau-Barbie usw.. Die Heldin unseres Films ist die stereotypische Barbie, der Klassiker also, den eine Kollegin von mir einst als „sexistische Kackscheiße“ abgeurteilt hat; die Wurzel-allen-Übels-Barbie sozusagen. Margot Robbie spielt sie als pinke Lady mit großen Augen – mal strahlenden, mal staunenden, mal schreckgeweiteten. Zwischendurch weint sie verzweifelt. Margot Robbie ("Asteroid City" – 2023; Babylon – Rausch der Ekstase – 2022; The Suicide Squad – 2021; Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn – 2020; Bombshell – Das Ende des Schweigens – 2019; Once Upon a Time In… Hollywood – 2019; I,Tonya – 2017; Suicide Squad – 2016; Legend of Tarzan – 2016; The Big Short – 2015; Focus – 2015; The Wolf of Wall Street – 2013; Alles eine Frage der Zeit – 2013) verkörpert also perfekt die Barbie des 21. Jahrhunderts.

Diese Barbie bekommt plötzlich seltsame Anwandlungen, denkt an den Tod und solche Dinge, die natürlich in Barbieland gar nicht gehen. Von der verstoßenen komischen Barbie erfährt sie, dass das Mädchen, das mit ihr spielt – in der realen Welt – schlechte Gefühle habe und diese auf Barbie übertrage. Deswegen muss die stereotypische Barbie raus in diese reale Welt und die Sache richten. Spätestens hier beginnt sich, das Gehirn im Kinosessel zu verknoten: Es gibt nur einen Menschen auf der ganzen Welt, der jemals mit der stereotypischen Barbie gespielt hat? Plakatmotiv: Barbie (2023) Oder gibt es noch ganz viele andere stereotypische Barbies in Barbieland – oder in einem Parallel-Barbieland – so viele, wie draußen in der realen Welt an Kinder jemals verkauft wurden (die im Film halt nur nicht thematisiert werden)? Oder ist jeder Barbie-Typ immer das Amalgam aller draußen bespielter Barbies gleichen Typs? Auch die komische Barbie, die "komische Barbie" genannt wird, weil das Kind, das mit ihr spielte, ihr die Haare ausriss, mit Filzstiften anmalte und die Plastikgelenke brach, weshalb sie nun perfekt Spagat kann, gibt es nur einmal.

Ken entdeckt das Patriarchat für Barbieworld

Bevor der Knoten im Gehirn zu eng wird, stelle ich das Denken ein und schaue zu, wie Barbie und Ken in der realen Welt das richtige Leben kennenlernen. Während alle Barbies glauben, sie hätten dafür gesorgt, dass die Frauen in der realen Welt alle Traumjobs der Welt besetzen, und Ken immer wusste, dass er nur existiert, wenn Barbie ihn beachtet, stellen beide nun fest: Es ist andersherum. Während fremde Männer Barbie ungefragt auf den Hintern klatschen, entdeckt Ken das Patriarchat. Während Barbie noch versucht, ihr Problem zu lösen und den Männern erst einmal erklärt, das sie keine Vagina und Ken keinen Penis hat, ist Ken schon zurück in Barbieland und infiziert die Gemeinschaft mit dem Virus des Patriarchats. Bald heißt Barbieland "Ken-Dome", die Barbies sind gurrende, willige Dienerinnen und die Kens biertrinkende, Rock hörende Mansplainer. Ryan Gosling mit Stirnband und Pelzmantel über der nackten Brust (The Gray Man – 2022; Aufbruch zum Mond – 2018; Blade Runner 2049 – 2017; Song to Song – 2017; La La Land – 2016; The Nice Guys – 2016; The Big Short – 2015; Only God Forgives – 2013; Gangster Squad – 2013; The Place Beyond the Pines – 2012; The Ides of March – 2011; Crazy, Stupid, Love. – 2011; Drive – 2011; Blue Valentine – 2010; Lars und die Frauen – 2007; Wie ein einziger Tag – 2004; Mord nach Plan – 2002), der zwischendrin auch noch ein paar Songs rockröhrt, ist in seiner plastikglänzenden Einfalt ein prächtiger Ken.

Barbie bekommt es derweil mit dem gesamten Mattel-Vorstand zu tun, der panisch versucht den Riss zwischen den Welten wieder zu schließen, und mit einer Mutter und Tochter, die ein ernsthaften Mutter-und-Tochter-Problem haben, das der Ursprung für Barbies Gesamtsituation ist. Der Vorstand der Spielzeugfirma Mattel besteht ausschließlich aus Männern und die sind ausnahmslos ausgesprochen doof. Es gibt dann ein bisschen eine Verfolgungsjagd durch L.A. – aber wirklich nur ganz eine sanfte – und bald finden sich alle in Barbieland wieder, wo Barbie nun die anderen Barbies von dem Patriarchats-Virus befreien, Mutter und Tochter miteinander versöhnen und insgesamt die Welt retten muss.

Von der Unmöglichkeit, eine Frau zu sein

Bisweilen wurde der Film als feministischer Befreiungsschlag gefeiert, als "Emanzipation – The Movie" und, Ja: Greta Gerwig dreht den Spieß um. Die Real-World-Männer sind Sexisten oder doof oder beides und die Barbieland-Kens werden von den dominierenden Barbies nur wahrgenommen, wenn die sich aufplustern wie ein Pfau. Es wird eine Frau sein, die den Knoten zerschlägt. Nein halt: „Das war eine Gemeinschaftsarbeit!“, sagt bescheiden die Gefeierte, weil Barbies (=Frauen) – im Gegensatz zu Kens (=Männer) – immer teamorientiert sind: „Es ist im wahrsten Sinne des Wortes unmöglich, eine Frau zu sein“, klagt die Reale-Welt-Mutter an entscheidender Stelle: „Wir müssen immer besonders sein. Aber irgendwie machen wir immer alles falsch. Du müsst dünn sein, aber nicht zu dünn. Und Du darfst nie sagen, dass Du dünn sein willst. Du musst sagen, Du möchtest gesund sein, aber gleichzeitig sollst Du BITTE dünn sein. Du sollst Geld haben, aber Du darfst nicht danach fragen, weil das geht überhaupt nicht. Du musst ein Boss sein, aber dabei nicht gemein. Du musst andere führen, aber dabei keinesfalls ihre Ideen unterdrücken. Du sollst in der Mutterrolle aufgehen, aber rede verdammt noch mal nicht dauernd über Deine Kinder. Du musst Karriere machen, aber denk daran, Dich trotzdem immer um alle anderen zu kümmern. (…) Du sollst hübsch bleiben für die Männer, aber nicht so hübsch, dass Du sie zu sehr verführst oder für andere Frauen zur Bedrohung wirst, denn Du sollst Frauen gegenüber solidarisch sein und Dich immer von anderen abheben. Und sei immer. Schön. Dankbar!“ Darauf entgegnet die bisher immer einfach jeden Tag aufs Gleiche glückliche Barbie: „Du hast die kognitive Dissonanz einer Frau im Patriarchat in Worte gefasst und es damit seiner Macht beraubt.

Das ist eine richtig schöne Stelle in Drehbuch und Film. Als Unbeteiligter in Sachen Frau-sein und bestürzter Leser zahlloser Me-Too-Texte in den Medien, klatsche ich da gerne Beifall und finde auch die Umkehrung der Frau-Mann-Verhältnisse schön, weil sie die realen Verhältnisse in der realen Welt aufspießen.

Aber ist der Film deshalb schon ein feministisches Manifest? Eine Standortbestimmung? Frauen machen die Welt besser und zeigen den Männern, wie's geht. Gut! Verstanden. "Barbie" ist ein fröhlich bunter Comic, dem neben seinem Unterhaltungswert wenigstens diese Botschaft geblieben ist. Im letzten Drittel des Films wird klar: Barbie und der sehr in sie verliebte Ken werden kein Paar werden können. Barbieland kann aber auch nie wieder das Barbieland vom Anfang sein. Was soll die gereifte stereotypische Barbie noch da? Andererseits: Was soll sie in der realen Welt? In dieses Erzählungsloch marschiert resolut (die echte) Ruth Handler, die Erfinderin der Barbiepuppe, nimmt Barbie an die Hand und zeigt ihr, wie ein Leben in der realen Welt für sie aussehen würde – und die Vision zeigt ausnahmslos spielende Kinder und sie knuddelnde Mütter, keine einzige Managerin, keine Ärztin, keine Präsidentin – und Barbie entscheidet sich für ein sterbliches Leben in der realen Welt, in der sie als erstes zum Gynäkologen marschiert; weil sie jetzt ja eine Frau ist, keine Projektionsfläche mehr.

Barbie-Mutter Mattel träumt von mehr … viel mehr

"Barbie" als Manifest zur Selbstermächtigung der Frau: Ich habe eine Vagina, also bin ich! Für die nicht zu vermeidenden Fortsetzungen des Films können die kostenfixierten Controller in den Studios nochmal die Drehbücher von Natürlich blond! von 2001 aus den Schubladen holen. Damals wollte Reese Witherspoon in Harvard gegen alle männlichen Zweifler Jura studieren – um einen Jungen zu erobern. Sie war blond und trug in der grauen Männerwelt pinkfarbene Kostüme.

Mit dem Abspann ist der ganz unterhaltsame Film dann doch vor allem ein cleveres Marketing-Stück der Herren aus der Mattel-Vorstandsetage, die Gerüchten zufolge mit all ihren Lizenzen ("Matchbox", "UNO", "Masters of the Universe" etc.) schon von so etwas wie einem Mattel Cinematic Universe träumen. Jetzt jedenfalls ist erstmal Greta Gerwig ihre eigene Barbie geworden: Die blonde Independent-Kino-Heroine hat es den Kens in den Controller-Büros der Filmstudios gezeigt.

Wertung: 4 von 8 €uro
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