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Plakatmotiv: No Country for Old Men (2007)

Ein Film, der spannend wird
durch das, was wir nicht sehen

Titel No Country for Old Men
(No Country for Old Men)
Drehbuch Joel Coen & Ethan Coen & Cormac McCarthy
Regie Ethan Coen + Joel Coen, USA 2007
Darsteller
Tommy Lee Jones, Javier Bardem, Josh Brolin, Woody Harrelson, Kelly Macdonald, Garret Dillahunt, Tess Harper, Barry Corbin, Stephen Root, Rodger Boyce, Beth Grant, Ana Reeder, Kit Gwin, Zach Hopkins, Chip Love, Eduardo Antonio Garcia, Gene Jones, Myk Watford u.a.
Genre Krimi, Drama
Filmlänge 122 Minuten
Deutschlandstart
28. Februar 2008
Website www.miramax/no-country-for-old-men
Inhalt

1980 in Südwest-Texas: Als Llewelyn Moss, ein pensionierter Schweißer und Vietnam-Veteran, bei der Antilopenjagd im texanischen Niemandsland auf die apokalyptische Szenerie eines fehlgeschlagenen Drogendeals – ausgebrannte Fahrzeuge, tote Wachhunde, eine Gruppe mexikanischer Leichen, viel Blut – trifft, folgt er einer spontanen Eingebung und nimmt einen prall gefüllten Drogengeld-Koffer an sich. Schließlich hat er daheim eine Frau, der er gern ein besseres Leben bieten würde.

Dann begeht er den Fehler, nachts nochmal an den Tatort zurückzukehren, wo bereits eine Gruppe aufgebrachter mexikanischer Gangster auf ihn wartet. Und es kommt noch viel schlimmer, auch ein äußerst bizarrer, psychopathischer Serienkiller, der bis ans Herz eiskalte Anton Chigurh, ist ihm auf den Fersen. So weit Moss auch flieht, bis über die mexikanische Grenze, der wahnsinnige Chigurh kommt ihm verteufelter Weise immer näher.

Währenddessen versucht Ed Tom Bell, der melancholische, amtsmüde Sheriff des Ortes, dem blutigen Treiben, das immer weitere Kreise zieht und neue Opfer fordert, ein Ende zu bereiten. Doch welche Chancen hat er …

Was zu sagen wäre

Ein Drogendeal läuft aus dem Ruder. Neben lauter Leichen, die herumliegen und den Sheriff interessieren, liegt auch ein Koffer rum. Zwei Millionen Dollar sind da drin. Die Mexikaner stecken da mit drin, wahrscheinlich jedenfalls. Und ein Geschäftsmann in einem weitläufigen Büro in – möglicherweise – Dallas. Und dann ist da der Typ, pensionierter Schweißer, zwei Jahre Vietnam, der glaubt, dass er die zwei Millionen irgendwie sichern kann. Filme solchen Inhalts gibt es in abgewandelter Form schon so einige und also haben wir an der Kinokasse ein ziemlich klares Bild vor Augen von dem, was passieren wird.

Ach so: Es ist ja ein Film von den Coen-Brothers. Dann passiert wahrscheinlich nicht das, was wir erwarten. Die Coens lieben das Kino. Sie lieben die Versatzstücke daraus, die Elemente, die Filme im Kino so einzigartig machen, das visualisierte Drama. Immer wieder haben sie sich Genrestücke ausgeguckt, die sie dann mit ihrer speziellen Kinobrille neu interpretiert haben (s.u.). Jetzt haben sie sich den Western vorgenommen, jedenfalls, was die Gegend angeht, Texas in der Grenzregion zu Mexiko. Aber sie haben sich auch die Sicherheiten vorgeknöpft, mit denen wir jahrzehntelang aufgewachsen sind, die mit Kino gar nichts zu tun haben, aber natürlich durch das Kino gewachsen sind: „In dem Traum wusste ich, er würde voraus reiten“, sagt ein müder Sheriff am Ende über seinen Vater. „Und er würde ein Feuer machen irgendwo da draußen in der Dunkelheit und Kälte. Ich wusste, er ist da, wenn ich ankomme.“ Das wichtige Wort in der Erklärung ist Traum. Plakatmotiv: No Country for Old Men (2007) Denn heute ist da niemand mehr, der in der Dunkelheit ein Feuer anzündet. „Es geht immer ums verdammte Geld. Um Geld und Drogen. (…) Wenn Du mir vor 20 Jahren gesagt hättest, dass in Texas überall auf den Straßen Kinder rumlaufen würden mit grünen Haaren und Knochen in den Nasen, ich hätte Dir kein Wort geglaubt.“ „Zeichen und Wunder. Wenn Du nirgendwo mehr ein Sir oder Mam hörst, ist der Rest nicht weit!

In diesem Film taucht kein einziger Jugendlicher mit grünem Haar und Knochen in der Nase auf. Die Männer die wir da hören, sind die Titelhelden des Films, die Old Men, für die dieses Land kein Country mehr ist. Damit haben die Coens dem Satz Früher war alles besser ein beeindruckendes filmisches Denkmal gesetzt. Dauernd werden Menschen umgebracht. Selten welche, die es nach Filmlogik nicht verdient hätten. Wir sehen aber keine Täter. Bis auf den einen Killer mit der Gasflasche und dem Bolzenschussgerät, der von irgendwem losgeschickt worden ist, ein nicht greifbarer Geist, für den das Töten den Wurf einer Münze voraussetzt. Javier Bardem ("Goyas Geister" – 2006; Perdita Durango – 1997) spielt ihn als einen, der sich mit Freude in seinem Killerleben eingerichtet hat und bei dem unklar bleibt, wer genau ihn geschickt hat, nachdem er seine Auftraggeber gleich erschossen hat. Es bleiben zwei anonyme – wahrscheinlich – Kartelle, die sich um Drogen und Geld streiten. Denen aber kein Gesetz mehr habhaft wird. „Dieses Land ist hart zu den Menschen“, sagt ein alter Sheriff zu Sheriff Bell, der versucht, die Ordnung wenigstens einigermaßen aufrecht zu erhalten.

Dieser Sheriff Bell wird gespielt von Tommy Lee Jones, einem Old Man des Kinos, bei dem wir in jeder Gesichtsfalte viele Jahre Erfahrung mit Leben und Tod ablesen können (Robert Altman's Last Radio Show – 2006; "The Missing" – 2003; Die Stunde des Jägers – 2003; Space Cowboys – 2000; Rules – Sekunden der Entscheidung – 2000; Doppelmord – 1999; Auf der Jagd – 1998; Men in Black – 1997; Volcano – 1997; Batman Forever – 1995; Natural Born Killers – 1994; Der Klient – 1994; Zwischen Himmel und Hölle – 1993; Auf der Flucht – 1993; Alarmstufe: Rot – 1992; JFK – Tatort Dallas – 1991; Airborne – 1990; "Black Moon" – 1986; "Die Augen der Laura Mars" – 1978). Sheriff Bell sieht überall Tote und weiß, was da vor sich geht. Er hat aber keine Handhabe, das Gesetz gibt ihm keine Lösung an die Hand, wenn der Täter nur ein Auftragnehmer eines Auftraggebers ist, der seine Aufträge wiederum von einem Boss bekommt und die Strukturen dahinter sich längst in legalisierten Geschäftszweigen verbarrikadieren.

Und dazwischen stehen unendlich genervte, entkräftete Ehefrauen von Männern, die glauben, die Dinge erledigen zu können. Die erleben, dass ihre Männer das längst nicht mehr können. Und deren Tod nicht einmal mehr gezeigt wird. Dieser Film der Coen-Brüder ist auf einer nicht visuellen Ebene grausam – sie nutzen das visuelle Medium Film, um die Unsichtbarkeit sichtbar zu machen. So, wie wir während des ganzen Films keine Hintermänner, keine Auftraggeber, kein Großes und Ganzes sehen, sehen wir auch den Mord an lieb gewonnenen Hauptfiguren nicht – wiewohl wir wissen, dass sie gerade aus dem Leben geschossen worden sind.

In diesem Film, der ohne Filmmusik auskommt, sich nur auf seine Umgebungsgeräusche verlässt, reitet niemand mehr voraus und zündet ein Feuer an in der Dunkelheit. In diesem Film können die Old Men froh sein, wenn sie nicht wegen einer alten Verpflichtung auch noch von der neuen Zeit erschossen werden. Die Zeit der alles regelnden Väter ist vorbei.

Wertung: 5 von 7 €uro
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