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Plakatmotiv (US): Mord im Nachtclub – Marked Woman (1937)

Die weibliche Sicht
in den Film Noir

Titel Mord im Nachtclub
(Marked Woman)
Drehbuch Robert Rossen + Abem Finkel
Regie Lloyd Bacon & Michael Curtiz (uncredited), USA 1937
Darsteller
Bette Davis, Humphrey Bogart, Lola Lane, Isabel Jewell, Rosalind Marquis, Mayo Methot, Jane Bryan, Allen Jenkins, Eduardo Ciannelli, John Litel, Ben Welden, Damian O'Flynn, Henry O'Neill, Raymond Hatton, Carlos San Martín u.a.
Genre Crime, Film Noir
Filmlänge 96 Minuten
Deutschlandstart
6. September 1991 (TV-Premiere)
Inhalt

New York: Gangster Johnny Vanning übernimmt den Club Intimate. Zwecks Umbau und Modernisierung besichtigt er die Lokalität und macht dabei die Bekanntschaft der Callgirls, die betuchte Gäste unterhalten, damit letztere für den gehobenen Standard ihres Nachtlebens viel Geld ausgeben. Aber Estelle scheint Vanning zu alt für den Job und er will sie feuern, als ihre Kollegin Mary Dwight sich für sie stark macht.

Vanning, sich seiner uneingeschränkten Macht bewusst, zeigt sich von Mary beeindruckt und lädt sie zu einer Privatparty ein, wofür sie insbesondere von Emmy Lou beneidet wird. Doch Mary gibt Vanning einen Korb und zieht mit ihren Freundinnen von dannen. Sie bewohnen zu fünft ein Apartment und neben Mary, Estelle und Emmy Lou sinnieren heute auch Gabby und Florrie über ihre Zukunft im ganz von Vanning beherrschten Gewerbe nächtlicher Unterhaltung.

Bald läuft der Club Intimate besser als je zuvor. Eines Abends lässt sich eine Gesellschaft Handlungsreisender, angeführt von Ralph Krawford, dort einen Tisch anweisen. Die Herren hauen auf den Putz, aber als es um die Rechnung und eine Spielschuld geht, hat Krawford nicht genug Geld dabei. Er springt in Begleitung von Mary Dwight ins nächste Taxi und gesteht ihr auf der Fahrt zu seinem Hotel, dass er ein armer Schlucker sei und die Zeche prellen wolle …

Was zu sagen wäre

Kein Film für zarte Seelchen. Die raue Gangsterwelt in hartem Schwarz-Weiß, die uns vor allem das Warner-Studio immer wieder zeigt, erleben wir hier aus der anderen Perspektive, aus der der Frauen. Frauen in solchen Filmen, die im weitesten Sinne dem Film Noir zuzuordnen sind, sind entweder kalt berechnende Miststücke, deren Hobby der Mord am jeweiligen Ehemann ist odwer das Opfer, das Trallala macht in einer von Männern dominierten Nachtclubwelt. Wir nehmen die Frauen als Beiwerk wahr. Meistens.

In „Marked Woman“ geht das nicht. Hier leben wir hauptsächlich mit den Frauen – in ihrer Fünfer-Wohngemeinschaft, bei der Tanz- und Gesangsprobe, bei Verhören. Genau genommen sehen wir Prostituierten dabei zu, wie sie Männer zu Dollar scheißenden Kunden machen – obwohl das so explizit im Film nirgendwo gesagt wird. Dennoch ist es ganz unmissverständlich, dass uns dieser Film ins Milieu des Menschenhandels führt und dort direkt zu den Opfern, den Frauen. Die Männer sind entweder sabbernde alte Anzugträger, brutale Auftragsschläger oder ein schneidiger Staatsanwalt, der zwischen allen Stühlen sitzt. Humphrey Bogart spielt diesen Staatsanwalt Graham, der zu Zeiten dieses Films noch am Anfang seiner Karriere war, die ihn bis nach Casablanca, zu Haben und Nichthaben, Tote schlafen fest und zum Hauptrollen-Oscar für African Queen (1951) führte. Als er den schneidigen Staatsanwalt in dieser Warner-Bors.-Produktion spielte, hatte er gerade erst im Jahr zuvor als ausgebrochener Gangster Duke Mantee in Der versteinerte Wald für Aufsehen gesorgt. Als Staatsanwalt Graham wendet er sich am Ende an die Geschworenen im Gerichtsaal, bei denen auch die Kamera Platz genommen hat und unversehens spricht der schneidige Staatsanwalt uns, die Zuschauer, direkt an.

Filme aus jenen Jahren, die sozialkritischen zumal, hatten stets Raum für Erklärung. Moralische Dilemmata eines Gesetzgebers/Staates/Herrschers werden da erläutert, sozialethische Ansichten diskutiert, warum ein Urteil manchmal ungerecht sein muss, und stets steht die Frage im Raum, wer für Prostitution und/oder Alkoholschmuggel verantwortlich ist: der Produzent, der Konsument oder der Zwischenhändler, der beide erst zusammenbringt. Die Schüsse aus der Kurzläufigen in dunklen Gassen mit großen Schlagschatten waren in den 1930er Filmjahren häufig Trägermedium, um eigentlich solche Botschaften zu transportieren.

1937 kam ebenfalls mit Humphrey Bogart und mit Joel McCrea auch William Wylers „Sackgasse“ und mit Sylvia Sidney und mit Henry Fonda in den Hauptrollen Fritz Langs „Gehetzt / Du lebst nur einmal“ heraus. In Hollywood war bis zum Schock von Pearl Harbor im Spätjahr 1941 und dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg stets Raum für systemkritische Filme, die sich für die Rechte derer im Schatten der Klassengesellschaft einsetzten und einiges an Furor in ihre Inszenierungen legten. Lloyd Bacon schont sein Publikum nicht, mutet ihm brutale Szenen zu, wenn etwa Nachtclub-Boss Vanning Bette Davis zusammenschlagen lässt. Das ist keine anonyme Maschinengewehrsalve, das ist rohe, direkte Körperlichkeit, die da von der Leinwand kommt.

In den Großstädten wirkte die Zeit der Prohibition und der großen Depression noch nach. Arbeiter und Kleinbürger waren im Land der unbegrenzten Möglichkeiten schon längst an ihre Grenzen gestoßen und Dashiell Hammett, Raymond Chandler und James M. Cain schrieben just jene Romane, die im folgenden Jahrzehnt die Vorlagen der Film-Noir-Klassiker wurden. Politik und Verbrechen, Macht und Gewalt, Recht und Unrecht sind unauflöslich miteinander verschwägert und die kleinen Leute, die Tag und Nacht ums Überleben kämpfen, haben im Zweifelsfall das Nachsehen: „If this is what you call living, I don’t want any part of it.“

Wertung: 4 von 6 D-Mark
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