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Plakatmotiv: The 355 (2022)

Ein wagemutiges Projekt, das Frauen
als die besseren Männer erkennen soll

Titel The 355 – Absolute Geheimsache
(The 355)
Drehbuch Theresa Rebeck & Simon Kinberg
Regie Simon Kinberg, China, USA 2022
Darsteller

Jessica Chastain, Penélope Cruz, Bingbing Fan, Diane Kruger, Lupita Nyong'o, Sebastian Stan, Edgar Ramírez, Jason Flemyng, Sylvester Groth, John Douglas Thompson, Leo Staar, Pablo Scola, Marcello Cruz, Eddie Arnold, Sebastián Capitán Viveros, Federico Trujillo, Jason Wong, Raphael Acloque u.a.

Genre Action, Thriller
Filmlänge 122 Minuten
Deutschlandstart
6. Januar 2022
Inhalt

In Kolumbien stellt der einheimische Bundespolizist Luis Rojas bei der Razzia in der Villa eines Kartellbosses eine Festplatte sicher, die eine Software zur Entschlüsselung sämtlicher weltweiter Sicherheitssysteme enthält.

Als Rojas die Festplatte der CIA zum Verkauf anbietet, schickt der amerikanische Geheimdienst die privat befreundeten Top-Agenten Mason "Mace" Browne und Nick Fowler für eine Übergabe nach Paris. Kurz vor ihrem Einsatz kommen sich Mace und Nick näher. Die Übergabe der Festplatte wird von der als Kellnerin getarnten BND-Agentin Marie Schmidt torpediert, die Mace nach einer Verfolgungsjagd durch die Metro-Tunnel der französischen Hauptstadt entkommt – nur um dann festzustellen, dass Rojas sie alle gelinkt hat und weiter im Besitz der Festplatte ist.

Nick, der dem unmittelbar vom Übergabeort geflohenen Rojas instinktiv, aber erfolglos nachgehetzt war, findet sich hingegen unvermittelt mit dem britischen Kriminellen Elijah Clarke und einem bewaffneten Schläger in einer Sackgasse wieder. Die beiden sind nach einem durch die Razzia zu Beginn ruinierten Deal ebenfalls auf der Jagd nach der Festplatte. Sowohl Mace, die in einem Safe House von ihrem Vorgesetzten Larry Marks vom offenbaren Tod Nicks erfährt, als auch Marie, die in ihrer deutschen Heimat wegen eines einstigen Landesverrats ihres Vaters trotz Sympathien ihres Chefs einen schweren Stand hat, müssen große Überzeugungsarbeit leisten, um weiter nach der Festplatte jagen zu können.

Während Marie direkt nach Paris zurückkehrt, rekrutiert die als Strafe nur noch inoffiziell operierende Mace die mit ihr lose befreundete frühere MI6-Computerexpertin Khadijah Adiyeme als Unterstützerin, die eigentlich in ein bürgerliches Leben samt Universitätslehrstuhl gewechselt ist. In Paris wird Rojas von der vertrauensvollen Geheimdienstpsychologin Graciela Rivera zu einer Heimkehr nach Kolumbien überredet, stirbt aber in einer Hafenmarkthalle durch einen Maulwurf aus den eigenen Reihen, der die Festplatte an sich reißt. Mace, Khadijah und Marie kommen – auch wegen Querelen untereinander – zu spät, um Rojas Tod oder den Diebstahl zu verhindern.

Auf Khadijahs Drängen schließen sich die einander nicht unbedingt wohlgesonnenen Agentinnen zusammen und gewinnen auch die noch in keiner Weise einsatzerprobte Graciela als Mitstreiterin, die dank Rojas' Handy, das dieser im Sterben auf sie umprogrammiert hatte, den Standort der Festplatte orten kann. Die vier Frauen zieht es nach Marrakesch, wo sie trotz der Konkurrenz durch ein Killerkommando die Festplatte in ihren Besitz bringen können.

Doch nachdem die vier die Festplatte an Maces Vorgesetzten übergeben haben, wird diese im Zuge eines Raubmords erneut gestohlen. Die CIA erklärt die kurz darauf am Tatort gesichteten Frauen fatalerweise zu Tatverdächtigen. Mace, Marie, Khadijah und Graciela entkommen und ermitteln bald, dass die Festplatte verdeckt in einem Auktionshaus in Shanghai verkauft werden soll. Dort gewinnt die Gruppe mit der Auktionshausbetreiberin und eigentlich chinesischen Geheimagentin Lin Mi Sheng eine weitere Mitstreiterin und wird in ein actionreiches Finale verwickelt, das speziell für Mace noch eine unliebsame Überraschung bereithält …

Was zu sagen wäre

Die Geschichte dieses Films nimmt ihren Anfang auf dem Filmmarkt im Rahmen der Filmfestspiele von Cannes 2017. Jessica Chastain (Es Kapitel 2 – 2019; Die Frau, die vorausgeht – 2017; Molly's Game – 2017; Die Erfindung der Wahrheit – 2016; The Huntsman & the Ice Queen – 2016; Der Marsianer – 2015; "A Most Violent Year" – 2014; Interstellar – 2014; Das Verschwinden der Eleanor Rigby – 2013; Mama – 2013; Zero Dark Thirty 2012; The Help – 2011; Coriolanus – 2011), damals in der Jury der Festspiele, fiel bei einem Gang über den Filmmarkt auf, dass da lauter Actionproduktionen beworben wurden, die von männlichen Gesichtern dominiert waren.

Das gefiel Miss Chastain nicht und also machte sie sich daran, ein eigenes Actionprojekt nur mit Frauen zu besetzen. Bei den Studios in Hollywood stieß sie da ohnehin schon halb geöffnete Türen auf: Der Zeitgeist im Kino hatte ja gerade Frauen als die besseren Männer erkannt, 2018 war sogar die chauvinistische Ocean-Bande auf weiblich gedreht worden. Den Rest besorgten Chastains Beziehungen in Hollywood. Und jetzt gibt es also diesen Film, in dem vier gar nicht befreundete Superprofi-Frauen einer durch und durch männlichen Agentenwelt zeigen, wo der Hammer hängt. Von Männern in Form einer Beziehung hält sich Agentin Maze grundsätzlich fern – „Nähe bedeutet Verletzungsgefahr“, sagt sie – und der einzige Mann, den sie an sich heran lässt, ist prompt der, der sie und alle anderen verrät. Familiäre Verstrickungen sind im Agentengewerbe unpassend.

Das ist aber dennoch nicht einfach James Bond auf weiblich. „James Bond ist am Ende immer allein!“, sagt Khadijah, als ihr von Mace der britische Kinoagent als Ideal des Agenten vorgehalten wird. Auf Khadijah, von Lupita Nyong'o (Star Wars – Episode IX: Der Aufstieg Skywalkers – 2019; Wir – 2019; Black Panther – 2018; Star Wars – Episode VII: Das Erwachen der Macht – 2015; Non-Stop – 2014; 12 Years a Slave – 2013) als cooles, aber emphatisches IT-Genie gespielt, wartet zuhause ein Mann, dessentwegen sie sich aus dem aktiven Dienst verabschiedet hatte. Auch auf Graciela wartet daheim in Kolumbien eine Familie, ein Mann mit zwei kleinen Söhnen, die sie auch immer wieder anruft. Penélope Cruz (Mord im Orient-Express – 2017; The Counselor – 2013; To Rome with Love – 2012; Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten – 2011; Vicky Cristina Barcelona – 2008; Vanilla Sky – 2001; Corellis Mandoline – 2001; Blow – 2001; All die schönen Pferde – 2000; Woman on Top – 2000) spielt die Graciela als im Kampf unerfahrene Psychologin, die sich auch mal ängstlich quiekend auf die lebensbedrohliche Action einlässt. Die Fallhöhe im Verlust ist bei den Agentinnen höher, als bei den männlichen Vertretern ihrer Branche. Noch am ehesten tickt Ethan Hunt, der Mann mit den unmöglichen Missionen, mit seinen beinahe-Ehefrauen auf der weiblichen Wellenlänge.

Die Story unterscheidet sich nicht von denen der Männer. Es geht um ein Dings, das seit Alfred Hitchcocks seligen Zeiten MacGuffin genannt wird: eine Festplatte, um es kurz zu machen, die die ganze Welt zerstören kann. Hinter der sind alle her, das heißt: ALLE! Weil sie damit die Welt beherrschen können. Was wiederum heißt, dass niemand in diesem Film irgendwie freundlich gesinnt ist. In Agentenfilmen aus der Vergangenheit gab es auch immer diesen MacGuffin, der alle in Bewegung setzte, aber es gab auch immer ein paar Figuren, die sicher auf der selben Seite standen. James Bond und Q und M und Moneypenny beispielsweise. In "355" ist jeder verdächtig. Der Film ist wie eine Achterbahn, die mit immer neuen überraschenden Kurven aufwartet, ohne dabei allerdings einer Story zu folgen.

Simon Kinberg (X-Men: Dark Phoenix – 2019) folgt der Strategie, dass jederzeit alles passieren kann und es keine Vertrauenspersonen gibt. Das ist insofern blöd, als dass der Kinosesselgestählte Zuschauer sehr bald wirklich niemandem mehr vertraut. Wenn man aber im Kinosessel niemandem mehr vertraut, folgt man auch der Filmerzählung nur noch akademisch – die kaum mehr ist, als genau das: akademisch.

Bis in den Abspann hinein erfahren wir nicht, was es nun mit dieser Software auf sich hat, wer auf der Seite der Guten – also der Zuschauer – steht. Und was uns der Film darüberhinaus erzählen will – Frauen im Angesicht des Todes, Frauen im Angesicht langweiliger Männer – bleibt offen, verliert sich im hektischen Schauplatzwechsel zwischen schnell geschnittenen Actionhäppchen.

Der Film ist klar angelegt als potenzieller Start in eine Kinoserie. Daraus wird eher nichts. Er hat nur knapp 28 Millionen Dollar eingespielt. Gekostet hat die Produktion in jedem Fall mehr, je nachdem, wo man schaut, ist von 40 bis 75 Millionen Dollar Produktionskosten die Rede.

Wertung: 3 von 8 €uro
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