Der Film spielt im Berlin des Jahres 1989, kurz vor dem Fall der Mauer. Dort wurde ein Mitglied des britischen Auslandsgeheimdienstes SIS ermordet und seine Liste mit westlichen Undercover-Agenten gestohlen. Sowohl vom CIA-Agenten Kurzfeld als auch von ihrem SIS-Vorgesetzten Gray wird die britische Agentin Lorraine Brougthon in die geteilte Stadt geschickt, um die Liste und einen Doppelagenten namens Satchel zu finden.
In der damaligen Hauptstadt der Geheimdienste angekommen, weiß Lorraine nicht, ob sie ihrem dortigen SIS-Kollegen David Percival trauen kann und muss sich bald den Angriffen anderer Nachrichtendienste schlagkräftig zur Wehr setzen …
Charlize Theron zieht sich eine weißblonde Perücke an, wählt (als Co-Produzentin) das geteilte Berlin als hippen Schauplatz und setzt mal auf ordentlich Prügel. Sie habe sich eine Art weiblichen Jason Bourne gewünscht, heißt es. Ist schief gegangen. Wo bei Jason Bourne eine dramatische Geschichte die Story vorantreibt, ist im geteilten Berlin eine große Leerstelle, eine Art MacGuffin. Das ist hier eine Liste mit Agenten, die, wenn sie in die falschen Hände gerät, die eigenen Agenten gefährdet. Darum dreht es sich, deshalb jagt Jeder Jeden und sterben die Agenten wie die Fliegen.
Alfred Hitchcock hat diesem Nichts, das eine Handlung vorantreibt, den Namen MacGuffin gegeben und damit ein paar seiner schönsten Filme inszeniert – Die 39 Stufen (1935), Über den Dächern von Nizza (1955), Der unsichtbare Dritte (1959). Heute ist das Konzept der gewollten Leerstelle verkratzt, weil die Regisseure, die sie nutzen, nicht über Hitchcocks inszenatorisches Talent verfügen und statt dessen auf bekannte Namen, schöne Gesichter und ordentlich Action setzen. David Leitch hat das ganz erfolgreich – und besser – als Regisseur von John Wick gemacht, bei dem die Story überraschenden Witz hatte. "Atomic Blonde" hat keinen Witz, nimmt sich sehr ernst. Hier versucht er, visuell eine Neon-Cyberpunk-Stimmung zu erzeugen, die interessante Dark-Bilder und -Sequenzen hat, aber seiner Story nichts bringt. To be stylisch ersetzt kein Erzähltalent, auch im Kino nicht.
Die Produktion hat viel Mühe in die Auswahl der zur damaligen Zeit passenden Musik investiert und am Drehort Budapest ein zeithistorisch ordentliches Berlin 1989 hingebaut. Und um den Jason-Bourne-Look hinzukriegen, hat Charlize Theron laut Presseheft drei Monate täglich acht Stunden trainiert, um die meisten Prügelszenen ohne Stuntfrau hinzubekommen. Und so erinnert nun die ohne Musik über drei Stockwerke gehende Prügelei und Schießerei, die sie sich mit acht Russen liefert, in ihrer kompromisslosen Härte tatsächlich an Bournes wort- und musiklosen Kampf gegen einen Profikiller in einem Badezimmer in Tanger. David Leitch aber findet kein Ende für seine Szene – klar, acht (oder waren es zehn) russische Profikiller müssen erst mal ausgeschaltete werden. Und also wird es blutiger und blutiger und ernster und ernster und offenbart dann eben doch, dass die Vorlage ein Comic ist, das man heute euphemistisch Graphic Novel nennt, weil sich das erwachsener verkaufen lässt. Zehn Minuten dauert die blutige Keilerei.
Das Personal ist mir herzlich egal. Charlize Theron (The Huntsman & the Ice Queen – 2016; Mad Max: Fury Road – 2015; A Million Ways to Die in the West – 2014; Snow White and the Huntsman – 2012; Prometheus – Dunkle Zeichen – 2012; Young Adult – 2011; Hancock – 2008; Im Tal von Elah – 2007; "Kaltes Land" – 2005; "Monster" – 2003; The Italian Job – 2003; Im Bann des Jade Skorpions – 2001; 15 Minuten Ruhm – 2001; Die Legende von Bagger Vance – 2000; Wild Christmas – 2000; Gottes Werk & Teufels Beitrag – 1999; Mein großer Freund Joe – 1998; Im Auftrag des Teufels – 1997; 2 Tage in L.A. – 1996) erzählt die Geschichte in Rückblenden, da ist schon klar, dass sie alle Schießereien überlebt hat. Sobald sie an einem Schauplatz auftaucht, steht da auch schon ein finsterer Typ, der ihr wahlweise was mitteilen oder sie umbringen will und dann hat sie mit Sofia Boutella, die eine französische Anfänger-Agentin spielt, Sex in rot-grünem Neonlicht und guckt meistens finster.
James McAvoys Rolle (X-Men: Apocalypse – 2016; Das Verschwinden der Eleanor Rigby – 2014; Trance – Gefährliche Erinnerung – 2013; X-Men: Erste Entscheidung – 2011; Die Lincoln Verschwörung – 2010; Wanted – 2008; Abbitte – 2007) ist die eines kurzgeschorenen, zwielichtigen Heuchlers, und die spielt er gut, so gut, dass er mir noch unsympathischer und noch egaler ist als Theron. Der Rest ist russisches Kanonenfutter und Rennen, Schießen, Prügeln und wieder Rennen. Mit einem Twist am Ende, der eigentlich keiner ist, wenn man sich anschaut, welchen Schauspielern Theron im Verhörzimmer von SIS und CIA gegenübersitzt – dass John Goodman da nicht sitzt (Kong: Skull Island – 2017; 10 Cloverfield Lane – 2016; Trumbo – 2015; Monuments Men – 2014; Inside Llewyn Davis – 2013; Flight – 2012; Back in the Game – 2012; Argo – 2012; Extrem laut & unglaublich nah – 2011; The Artist – 2011; Eine Nacht bei McCool's – 2001; O Brother, Where Art Thou? – 2000; Good Vibrations – Sex vom anderen Stern – 2000; The Big Lebowski – 1998; Blues Brothers 2000 – 1998; Dämon – Trau keiner Seele – 1998; Flintstones: Die Familie Feuerstein – 1994; Matinee – Die Horrorpremiere – 1993; Always – Der Feuerengel von Montana – 1989), weil er sich ein größeres Frühstück finanzieren wollte, aber in der Verhörszene, die die Rahmenhandlung des Films prägt, wenig mehr als Stirn runzeln kann, lässt den weiteren Verlauf klar vorhersagen. Aber es bleibt eben nur der weitere Verlauf einer schon vorher leeren Geschichte.