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Kinoplakat: The Artist
Klare Bildsprache, wunderbar rein,
schön gespielt und fast stumm
Titel The Artist
(The Artist)
Drehbuch Michel Hazanavicius
Regie Michel Hazanavicius, Frankreich, Belgien, USA 2011
Darsteller Jean Dujardin, Bérénice Bejo, John Goodman, James Cromwell, Penelope Ann Miller, Missi Pyle, Beth Grant, Ed Lauter, Joel Murray, Bitsie Tulloch, Ken Davitian, Malcolm McDowell, Basil Hoffman, Bill Fagerbakke, Nina Siemaszko u.a.
Genre Drama
Filmlänge 100 Minuten
Deutschlandstart
26. Januar 2012
Inhalt

Die USA Ende der 1920er Jahre. George Valentine ist der Star der Stummfilm-Ära. Seine Liebesfilme, Abenteuerfilme, Heldenfilme ziehen die Massen in die Kinos. Er ist The Big Star! Bis der Tonfilm kommt.

Mit einem Mal ist George Valentine draußen. „Tonfilm? Pah!“ sagt er. „Wenn das die Zukunft sein soll, kannst Du sie behalten!“, ruft er seinem Produzenten Al Zimmer verächtlich hinterher, bevor er dessen Büro verlässt, einen eigenen Stummfilm mit sich in der Hauptrolle produziert … und scheitert. Am selben Tag, es ist der 25. Oktober 1929, startet im Nachbarkino vor vollen Rängen: eine Liebesschnulze. Mit der neuen Frau am Filmsterne-Himmel, Peppy Miller. George ist am Boden zerstört – nicht zuletzt auch deswegen, weil er Peppy einst eine Chance vor der Kamera ermöglicht hatte – damals war sie ein unbedeutendes Starlett, über das sich Produzent Al Zimmer mächtig geärgert hatte. Und ein bisschen verliebten sie sich ineinander. Ein bisschen.

Und dann kommt auch noch der Börsencrash und während Peppy von Erfolg zu Erfolg stürmt, landet George ganz unten. Nur Peppy hat ihn nie vergessen und versucht mehrfach, ihm zu helfen. aber George lehnt ab – verletzt ist der Stolz des einst alle Überstrahlenden.

Peppy lässt nicht locker …

Was zu sagen wäre

„The Artist“ war der Gewinner der Oscar-Nacht 2012. Fünf Trophäen holte er ab: Beste Regie, Bester Film, Bester Hauptdarsteller, Beste Musik, Schönste Kostüme. Sein schärfster Mitbewerber, Martin Scorseses Hugo Cabret, hatte am Ende auch fünf Trophäen, aber die weniger schillernden (Kamera, Ausstattung, Ton, Mischung, Visuelle Effekte). Und wäre Hauptdarstellerin Bérénice Bejo nicht albernerweise als „Nebendarstellerin“ nominiert worden, hätte sie sich wahrscheinlich ein enges Rennen mit Meryl Streep geliefert, die als Margaret Thatcher in Die Eiserne Lady schließlich gewann.

Nicht, dass Bejo den Oscar bei dieser Konkurrenz verdient gehabt hätte. Sie ist als Peppy entzückend, hinreißend und während der vielen stummen Minuten im Kino hatte ich Zeit, Regisseur Michel Hazanavicius zu beneiden, der sie klugerweise längst geheiratet hat, so strahlt ihre Schönheit von der schwarzweißen Leinwand. Aber natürlich war Meryl Streep schon im Vorfeld der Oscar-Night fest gesetzt. Aber die Oscar-Acadamy war 2012 offenbar auf Selbstfindungstrip, hatte mit Hugo und „Artist“ gleich zwei Filme mit elf, bzw. zehn Nominierungen bedacht, die an die Anfänge des Kinos erinnern; bei solchen Nominierungs-Durchmärschen bekommen solche Filme auch Nominierungen in Kategorien, die nicht zwingend erscheinen. Dabei muss ich sagen: Schlechter als ihr Filmpartner Jean Dujardin war Bejo sicher nicht – und Dujardin bekam den Oscar. Dabei hatte auch der echte Konkurrenz in George Clooney (The Descendants) und – mein Favorit im Vorfeld der Oscar-Gala – Brad Pitt in Moneyball.

Was macht im Jahr 2012 einen Film zum Oscar-Abräumer, der stumm ist und in schwarzweiß daher kommt? Ja, „The Artist“ ist herzig. Keine Frage. Er langweilt nicht. Er ist stringent erzählt, verliert nie den Faden. Aber ist er innovativ? Nein. Die Oscar-Acadamy bewies einmal mehr, dass sie Innovationen im Kino nicht wichtig findet. Vielleicht war sie schon über den Tisch gezogen, als The Artist Anfang Januar bei den Golden Globes (Auslandspresse, europäische Journalisten) abgeräumt hatte. Vielleicht überzeugten die vielen namhaften Stars, die in winzigen Nebenrollen auftauchten – Malcom McDowell (Halloween – 2007; Star Trek – Treffen der Generationen – 1994; Moon 44 – 1990; „Uhrwerk Orange“ – 1971) als arbeitssuchender Statist, Ed Lauter als Butler, der großartige John Goodman („Red State“ – 2011; „Die Päpstin“ – 2009; „Evan Allmächtig“ – 2007) als Produzent, James Cromwell (Surrogates – 2009; Spider-Man 3 – 2007; Die Queen – 2006; „I, Robot“ – 2006; Der Anschlag – 2002; Space Cowboys – 2000; Schnee, der auf Zedern fällt – 1999; Wehrlos – Die Tochter des Generals – 1999) als bescheidener, loyaler Chauffeur in verzückter Selbstaufgabe. Vielleicht stimmt es auch, dass das Durchschnittsalter der abstimmungsberechtigten Acadamy-Mitglieder so hoch ist, dass viele ihren längst verstorbenen Kumpel, den leibhaftigen Douglas Fairbanks vor sich auf der Leinwand glaubten; das ist wirklich erstaunlich, wie ähnlich Jean Dujardin dem Star der Stummfilmära sieht, und Penelope Ann Miller (Verliebt und ausgeflippt – 2010; Im Netz der Spinne – 2001; Shadow und der Fluch des Khan – 1994; Kindergarten Cop – 1990) – by the way, die George Valentines versnobte Frau spielt – sieht aus wie Barbara Stanwycks Zwilling.

Vielleicht ist es auch die zynische Ausbeutung des Hoffens auf das Gute im Menschen. Das wird in dem französischen Stummfilm schließlich vor allem gefeiert: die gute alte Zeit, als die Menschen noch Rücksicht aufeinander nahmen und persönliche Nachteile in Kauf nahmen, um anderen zu helfen. Oder waren am Ende doch die Weinstein-Brüder zu mächtig? Deren Einflussnahme für die eigenen Produkte in Oscar-Zeiten ist ebenso legendär wie gefürchtet.

Scorseses Märchen, Hugo Cabret, als Bester Film … das hätte ich noch verstanden. Aber „The Artist“ ist einfach … ein schöner Film. Man kann hier gut noch einmal studieren, was ursprünglich mal Bildsprache bedeutete: Bilder aufzunehmen, die sich und ihre Geschichte ohne Worte erzählen. Das macht Hazanavicius wunderbar. Wenn George und Peppy sich unterhalten, dann tanzen sie verliebt und schmeißen mehrfach die Aufnahme, oder alle wuseln durchs Haus, nur George und Peppy stehen still – als gehorche die Zeit selbst ganz ihrem Sein, stehe still, wenn sie sich treffen.

George Valentine, der Star auf dem absteigenden Ast, geht im Film dauernd Treppen runter, nie rauf. Und natürlich ist eine seiner Lieblings-Skulpuren auf dem Sims die mit den drei Äffchen – nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Und so verpasst er den Anschluss, fällt aus der Zeit und muss sich von einem jugendlichen Verehrer Peppys sagen lassen, „My father is a big fan“, während sie zu Beginn ihrer Karriere in ein Radiomikrofon (!!) jubiliert „Make way for the New!“ Und am Ende steht er vor einem leer gelaufenen Filmprojektor und wirft nur noch … den Schatten seiner selbst. Und dieser Schatten geht dann auch noch aus dem Bild. Also: unmissverständliche Bilder, wunderbar klar, ohne Chi-Chi.

John Goodman habe ich lange nicht mehr so präsent und gut erlebt, wie hier. Jean Dujardin gibt als Douglas-Fairbanks-Gene-Kelly-Lookalike eine einzigartige Vorstellung und Bérénice Bejo ist – wie gesagt – entzückend. Aussetzen kann ich an dem Film nichts von Bedeutung. Außer – aber da können die Franzosen ja nichts dafür – dass er im Jahr 2012 für einen Besten Film nicht taugt. Oder aber der gesamten Jahresproduktion der US-Filmprofis ein kolossales Armutszeugnis ausstellt.

Wertung: 6 von 7 €uro
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