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Plakatmotiv: Das Mercury Puzzle (1998)

Recht spannender Thriller,
aber arg hinkonstruiert

Titel Das Mercury Puzzle
(Mercury Rising)
Drehbuch Lawrence Konner & Mark Rosenthal
nach dem Roman "Simple Simon" von Ryne Douglas Pearson
Regie Harold Becker, USA 1998
Darsteller

Bruce Willis, Alec Baldwin, Miko Hughes, Chi McBride, Kim Dickens, Robert Stanton, Bodhi Elfman, Carrie Preston, Lindsey Ginter, Peter Stormare, Kevin Conway, John Carroll Lynch, Kelley Hazen, John Doman, Richard Riehle u.a.

Genre Thriller
Filmlänge 111 Minuten
Deutschlandstart
28. Mai 1998
Inhalt

Art Jeffries hat seine Karriere als Undercoveragent beim FBI hinter sich. Einmal zu oft hat er einen Vorgesetzten angeschissen. Jetzt macht er Innendienst, Telefone abhören, Vermisste wiederfinden, solche Sachen. Gerade soll er einen neun Jahre alten Jungen wiederfinden, dessen Eltern sich offenbar selbst getötet haben. Jeffries findet es schon erstaunlich, dass ein Familienvater mit kaum Einkommen eine 2500-Dollar Waffe benutzt, um sich und seine Frau, nicht aber seinen Sohn umzubringen.

Jeffries Nase trügt ihn nicht. Er findet den Jungen. Und erkennt, dass professionelle Killer versuchen, ihn zu töten. Der Junge, Simon heißt er, hat nämlich einen vielfach abgesicherten, geheimen militärischen Regierungscode dechiffriert. Simon ist Autist. Er hat den Code in einem Rätselheft gefunden, mit einem Blick entschlüsselt und die Telefonnummer angerufen, die er da entschlüsselt hat. Das hat ihm Leutnant Colonel Nicholas Kudrow von der NSA und dessen Killer auf den Hals gehetzt. Kudrow, in Washington gerade auf der Karriereleiter nach oben, kann es sich nicht leisten, dass seinen Supercode irgendjemand knacken kann, schon gar nicht ein 9-jähriger Junge.

Simon benötigt also Schutz. Jeffries kann den vielleicht liefern. Aber Autisten sind eben nicht wie andere Kinder seines Alters …

Was zu sagen wäre

Hier treffen zwei Autisten aufeinander, nehmen sich gegenseitig an die Hand und retten einander ihre Leben. Der eine ist medizinisch anerkannter Autist, der 9-jährige Simon. Er lebt in seiner Welt, akzeptiert Bezugspersonen, kommuniziert aber kaum mit ihnen. Er erkennt blitzschnell mathematische und grafische Muster und tobt, wenn ihn ein Fremder anfasst. Der andere ist der zum Innendienst verdammt FBI-Agent Art Jeffries. Medizinisch gesehen ist er kein Autist. Aber auch er kann nicht aus seiner Haut, lebt in seiner Welt, kämpft auch gegen Kollegen für die Gerechtigkeit und ist auch wohlmeinend kritischen Äußerungen von außen nicht zugänglich.

Diesen FBI-Agenten – desillusioniert, vom Leben gebeutelt, zynisch – spielt Bruce Willis (Der Schakal – 1997; Das fünfte Element – 1997; Last Man Standing – 1996; 12 Monkeys – 1995; Stirb langsam – Jetzt erst recht – 1995; Nobody's Fool – 1995; "Color of Night" – 1994; Pulp Fiction – 1994; Tödliche Nähe – 1993; Der Tod steht ihr gut – 1992; The Player – 1992; Last Boy Scout – 1991; Hudson Hawk – 1991; Fegefeuer der Eitelkeiten – 1990; Stirb Langsam 2 – 1990; Stirb langsam – 1988; Blind Date – 1987). So einen Charakter schüttelt der Mann aus dem Ärmel. Mehr bleibt ihm hier auch nicht übrig, weil ihm das Drehbuch nichts an die Hand gibt, mit dem er arbeiten könnte. Beeindruckend, wie sehr Geschichten nach Setzkasten konstruiert sein dürfen und dennoch ein finanzierendes Studio in Hollywood finden. Plakatmotiv: Das Mercury Puzzle (1998) Es gibt einen markanten Satz von Alfred Hitchcock, der in dem Interviewbuch "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?" von François Truffaut steht. Logik interessiere ihn nicht, erklärt der britische Regisseur da sinngemäß, solange der Suspense funktioniere. In vielen seiner Filme hat Hitchcock bewiesen, dass er auch hanebüchen wirkende Geschichten in Nägelbeißer-Filme verwandeln kann.

Aber die Geschichten waren nicht so an den Haaren herbeigezogen, wie diese hier. Ein Junge knackt einen Supercode und ein karrieregeiler Geheimdienstmann schickt einen Killer los, um alle Mitwisser auszuschalten? Warum nicht? Klingt nach einer einfachen, stringenten Struktur für einen Actionthriller. Der Held ist ein zynischer Cop, der sich nicht unterkriegen lässt und allein gegen alle kämpft? Na gut, nehmen wir auch mit! Der FBI-Held sucht die Unterstützung einer wildfremden Frau, die bereitwillig ihr Leben auf den Kopf stellt, um zu helfen? Jou, soll's ja auch geben. Oder? Der junge Autist wirkt eigentlich recht normal, lässt sich halt nicht gerne anfassen und bleibt lieber für sich? Naja, man liest ja oft, dass kein Autist ist wie der andere und dieser hier ist halt vergleichsweise pflegeleicht. Nach dem (angeblichen) Suizid der Eltern des Jungen erkennt niemand bei der Polizei die Widersprüche, es findet auch niemand den Jungen, den dann FBI-Mann Jeffries dann nach 30 Sekunden findet, ohne ihn überhaupt gesucht zu haben? Und es wundert sich niemand, dass die Eltern des Jungen dessen Verlegung aus der bewachten in die Kinder-Station des Krankenhauses verfügt haben, obwohl diese Eltern bekanntermaßen tot sind? Und auch später, als Art Jeffries seine Kollegen mit der Nase drauf stößt, findet das FBI das alles nicht sehr seltsam? Okay, die letzten Punkte gehören zum kleinen Einmaleins hingehuschter Drehbücher, denen es darum geht, die Protagonisten auf sich allein zu stellen und gegen den ganzen Apparat bestehen zu lassen. Einer dieser Punkte alleine in einem Film gehört zum Alltag im Kinosessel. Alle Storyelemente zusammen machen "Mercury Rising" langsam in ihrem Bemühen um wenigstens ein bisschen Plausibilität.

Den NSA-Schurken Kudrow spielt Alec Baldwin, der für die Rolle des aalglatten Arschlochs mit Harvard-Abschluss auf die Welt gekommen zu sein scheint (Auf Messers Schneide – 1997; Das Attentat – 1996; Nicht schuldig – 1996; Shadow und der Fluch des Khan – 1994; "Getaway" – 1994; Malice – Eine Intrige – 1993; Jagd auf Roter Oktober – 1990; Great Balls of Fire – 1989; Die Mafiosi-Braut – 1988; Beetlejuice – 1988). In solchen Rollen, wenn das Drehbuch schon so Klischeelastig ist, ist Baldwin mit seinen blitzenden Augen und dem streng geölten Scheitel richtig besetzt. Kalt befehligt er Agenten im Anzug, die ohne zu zögern harmlose, unbewaffnete Menschen in deren Wohnzimmer erschießen und hält beeindruckende Reden auf den Teamplayer-Geist Amerikas, gegen den der Einzelgänger aus „den SUV-Werbespots“ am Ende keine Chance hat. Der als solcher Angesprochene hat auch keine Chance, nutzt diese aber. Und nach dem so mittel spannenden Finale gibt es eineinhalb Autisten weniger auf der Welt. Das geht? Bei FBI-Agenten ja. Bei Autisten eigentlich nicht. Aber es ist halt ein hübsches Schlussbild, wenn die beiden sich umarmen, zumal draußen im Auto die hilfsbereite, aber eigentlich immer noch fremde Frau auf den Agenten wartet. Das auch noch: Bruce Willis darf nicht unbeweibt in den Abspann fahren.

Das Offensichtliche nervt. Aber ohne all das, wenn man – sagen wir, es ist ein später Donnerstagabend – beim Zappen durch die Programme über diesen Film stolpert und man auch schon zwei, drei Glas Wein getrunken hat, dann ist der Film wegen seiner Montage und der knackigen Bilder ganz schön. Das reine Handwerk beherrscht Regisseur Harold Becker (City Hall – 1996; Malice – Eine Intrige – 1993; Sea of Love – 1989) – notfalls auch ohne Drehbuch.

Wertung: 3 von 11 D-Mark
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