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Plakatmotiv: Wiegenlied für eine Leiche (1964)

Ein düsterer Schocker mit
einer überdrehten Bette Davis

Titel Wiegenlied für eine Leiche
(Hush…Hush, Sweet Charlotte)
Drehbuch Henry Farrell & Lukas Heller
nach einem Roman von Henry Farrell
Regie Robert Aldrich, USA 1964
Darsteller

Bette Davis, Olivia de Havilland, Joseph Cotten, Agnes Moorehead, Cecil Kellaway, Victor Buono, Mary Astor, Wesley Addy, William Campbell, Bruce Dern, Frank Ferguson, George Kennedy, Dave Willock, Michel Petit, John Megna u.a.

Genre Crime, Drama
Filmlänge 133 Minuten
Deutschlandstart
30. April 1965
Inhalt

Die reiche alte Dame Charlotte Hollis hat keinen guten Stand in ihrem Wohnort. Die meisten halten sie für eine Mörderin. Sie soll vor 37 Jahren ihren verheirateten Geliebten John Mayhew brutal getötet haben. Nur die Haushälterin Velma kümmert sich um Charlotte, ansonsten ist das große Anwesen leer und wirkt unheimlich. Unter den Kindern des Dorfes gilt es als Mutprobe, sich hinein zu schleichen.

Schließlich soll das Herrenhaus einer Brücke weichen. Charlotte zeigt sich widerspenstig und ruft ihre Cousine Miriam Deering zu Hilfe. Plötzlich hört die alte Dame, wie ihr Lieblingslied auf dem Cembalo gespielt wird, das einst ihr Geliebter für sie gesungen hat. „Hush...Hush, Sweet Charlotte“, klingt es durch die leeren Gänge, obwohl niemand anderes im Haus ist …

Was zu sagen wäre

Es ist ein eingefrorenes Leben, das die alternde Charlotte seit 37 Jahren lebt. allein in einem riesigen, museumsartigen Herrenhaus, betreut von einer alten, griesgrämigen Haushälterin, im Ort gehasst oder verlacht von gehässigen Klatschmäulern und Kindern, die Charlottes Lieblingslied, das ihr Geliebter ihr einst komponiert hat von „Hush…Hush, Sweet Charlotte“ in „Chop chop, Sweet Charlotte. Chop chop till he's dead“ umgedichtet haben. Da büßt jemand für einen Mord, der auffallend so gefilmt wird, dass man nicht sieht, wer ihn begeht, und auch, wenn Charlotte wenige Sekunden später mit einem blutverschmierten Kleid im Ballsaal steht, das wie eine übergroße Menstruation wirkt, ist ziemlich klar: Charlotte war's nicht. aber sie büßt mit gesellschaftlicher Isolation, ist überzeugte ihr Vater habe die Tat begangen. Aufgeklärt wurde der Mord nie.

Robert Aldrich hat vor zwei Jahren mit der damals schon von der Industry abgeschriebenen Bette Davis den Thriller Was geschah wirklich mit Baby Jane? gedreht. Der hatte weniger als eine Million Dollar gekostet, aber rund zehn Millionen Dollar eingespielt und Davis zurück ins Rampenlicht gebracht. Das wollten die beiden gerne zusammen mit Joan Crawford, die auch vor zwei Jahren dabei war und Davis' Schicksal des Abgeschrieben-Seins teilte, gerne wiederholen. Aber Crawford wurde krank, heißt es, und so kam Olivia de Havilland zu der Rolle der Cousine von Charlotte, in deren Schatten sie Zeit ihres Lebens stand. Plakatmotiv (US): Hush…Hush, Sweet Charlotte (1964) De Havilland, in ihrer Karriere zu Beginn häufig die Love Interest für Erol Flynn in dessen Abenteuerfilmen (Robin Hood – 1938; Unter Piratenflagge – 1935), später meist die bodenständige, schüchterne, ehrliche Haut und nur selten der verschlagene Typ, spielt hier eine verschlagene Cousine, die es faustdick hinter den Ohren hat und einen Racheplan ausgearbeitet hat, der über Jahrzehnte seine Fallstricke knüpft. Das Gruslige in ihr entfaltet de Havilland durch sparsame Mimik und verhaltenes Spiel. Ganz anders Bette Davis (Was geschah wirklich mit Baby Jane? – 1962; Alles über Eva – 1950 Opfer einer großen Liebe – 1939; Kid Galahad – Mit harten Fäusten – 1937; Mord im Nachtclub – 1937).

Die tobt sich vor der Kamera ähnlich aus, wie vor zwei Jahren als Baby Jane, nutzt jede Großaufnahme zum exaltierten Spiel mit aufgerissenen Augen, hassverzerrter Fratze oder Leichenbittermine, je nachdem, was das Drehbuch gerade fordert. Der wild spekulierende Hollwoodklatsch will wissen, dass Joan Crawford gar nicht krank geworden ist, sondern aus dem Projekt ausgestiegen sein soll, weil sie der Ansicht sei, Robert Aldrich würde Bette Davis bevorzugen. So einen Zickenkrieg, der für Aufmerksamkeit fördernde Schlagzeilen sorgt, wollten die Marketingleute den beiden Diven aber schon bei Baby Jane unterstellen. Bette Davis an der Klippe zwischen Wahnsinn und Verzweiflung ist eine große Show, aber ich werde mit ihr nicht warm. Kann ich glauben, dass Charlotte seit 36 kaum ihr Haus verlässt? Eher nicht. Sie bleibt dann doch eher eine Art Baby Jane Reborn. Mit de Havillands durchtriebenem Charakter soll ich nicht warm werden. Auch Velma, die treue Haushälterin mit den bissigen Ausrastern bleibt mir auf Distanz, auch wenn Agnes Moorehead sie virtuos spielt. Der einzige Mann, der in diesem Frauenthriller eine Rolle spielt, Joseph Cotten als windiger Arzt Drew Bayliss kann seinem öligen, meist tatsächlich zwielichtigem Charme keine neuen Facetten abgewinnen (Niagara – 1953; Sklavin des Herzens – 1949; "Der dritte Mann" – 1949; Duell in der Sonne – 1946; "Das Haus der Lady Alquist" – 1944; Im Schatten des Zweifels – 1943; Citizen Kane – 1941). Er ist neben den groß aufspielenden Frauen eine reine Funktionsfigur.

Robert Aldrich (Was geschah wirklich mit Baby Jane? – 1962; El Perdido – 1961; Vera Cruz – 1954; Massai – Der große Apache – 1954) taucht seinen Mystery-Thriller in schwarz-weiße Schlagschatten. Joseph F. Biroc hat ihm dieses harte Licht gesetzt. Das liefert dem Film seine düstere, an einen Albtraum gemahnende Grundierung. Das weitere Schicksal Charlottes, die sich schließlich aus der intriganten Umklammerung ihrer Cousine befreit hat und nun weiß, wer damals ihren geliebten John getötet hat (eine derart nahe liegende Auflösung, dass man sich über die Polizeiarbeit im Jahr 1927 wundern muss), lässt Aldrich im Ungewissen. Er schickt sie mit einem letzten wehmütigen Blick auf das große Herrenhaus, das nun eine Brücke weichen muss, in ein neues Leben, welches sowohl im Gefängnis, als auch irgendwo in Freiheit sein kann. In echter Freiheit.

Wertung: 5 von 7 D-Mark
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