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Plakatmotiv: Das Piano (1993)

Schwerblütiges Romantik-Drama
mit zwei bemerkenswerten Figuren

Titel Das Piano
(The Piano)
Drehbuch Jane Campion
Regie Jane Campion, Neuseeland, Australien, Frankreich 1993
Darsteller

Holly Hunter, Harvey Keitel, Sam Neill, Anna Paquin, Kerry Walker, Geneviève Lemon, Tungia Baker, Ian Mune, Peter Dennett, Te Whatanui Skipwith, Pete Smith, Bruce Allpress, Cliff Curtis, Carla Rupuha, Mahina Tunui u.a.

Genre Drama, Romanze
Filmlänge 121 Minuten
Deutschlandstart
12. August 1993
Website miramax.com/the-piano/
Inhalt

Neuseeland, Mitte des 19. Jahrhunderts: Die stumme Ada trifft mit ihrer Tochter bei ihrem unbekannten zukünftigen Ehemann ein. Ada ist scheu und verschlossen – der wichtigste Gegenstand in ihrem Leben ist ein Piano, das sie aus Europa mitgebracht hat.

Doch ihr Gatte Alisdair Stewart weigert sich, das geliebte Instrument durch den unwegsamen Dschungel transportieren zu lassen. Das besorgt der zurückgezogen lebende Arbeiter George Baines, der das Klavier in sein Haus schafft und einen Pakt mit Ada schließt: Gegen gewisse körperliche Zuwendungen kann sie das Piano Stück für Stück zurückerwerben.

Langsam entsteht eine innige Verbindung zwischen den beiden …

                                     Plakatmotiv: Das Piano (1993)

Was zu sagen wäre

Billy Wilder hatte schon recht: Eigentlich geht es im Kino immer um Boy meets Girl, egal, wie wendungsreich pathetisch donnernd der Film daher kommt. Ähnlich wie die komplizierten Kleider mit Reifröcken und Unterrockgestänge der Zeit im 19. Jahrhundert baut Jane Campion einen Riesenpopanz auf mit einer durch einen nicht näher erklärten Schicksalsschlag stumm gewordenen Protagonistin, deren Tochter, einer arrangierten neuen Ehe, einem sprechenden Piano, unwegsamem Gelände und Verständigungsschwierigkeiten.

Und einem zweiten Mann.

Und dann fängt Campion an zu zaubern. Ihr Kameramann Stuart Dryburgh malt Bilder in saftiger Sattheit auf die Leinwand, die mich verführen, den Film anhalten und einfach gucken zu wollen. Plakatmotiv: Das Piano (1993) Sie schickt Holly Hunter ins Geschehen, die hier wahrscheinlich die Rolle ihres Lebens spielt – immer schon gut, aber hier besser ("Ein charmantes Ekel" – 1991; Always – Der Feuerengel von Montana – 1989; Broadcast News – Nachrichtenfieber – 1987; "Ein Aufstand alter Männer" – 1987; Arizona Junior – 1987). Dazu malt sie eine Metapher für das Piano, das die Gefühle der stummen Frau in Sprache übersetzt. Und also sitze ich im Kino und denke: Boah! Obwohl die Geschichte echt dünn ist.

Im 19. Jahrhundert waren die gesellschaftlichen Strukturen andere als heute, euphemistisch kann man sie mit "patriarchalisch" umschreiben, ohne Euphemismus bleibt wohl Mann Chef, Frau gehorsamer Haushalt.. Aus zahlreichen Western wissen wir historisch nicht promovierten Kinozuschauer, dass sich Witwer manchmal schnell eine neue Frau zulegten, weil sich ja irgendwer um den zuvor schon gezeugten Nachwuchs kümmern muss, während der Mann die Farm in Schuss hält und die Indianer vom Zaun vertreibt. Im Mittelalter wurden Ehen zwischen Königshäusern geschlossen, um Kriege zu vermeiden. Warum der neuseeländische Grundbesitzer Alisdair eine Ehefrau in Schottland einkauft, bleibt indes ein Rätsel in diesem Film. Weder hat er ein Kind, das die Fremde behüten müsste, noch müsste sie seinen Haushalt führen, denn dafür scheinen bereits andere Frauen da zu sein.

Als einziger Grund übrig bleibt die nebulöse Überlegung, dass ein Mann nicht allein sein sollte, und weil Jane Campion, eine Frau, sowohl das Drehbuch geschrieben als auch die Regie geführt hat, mag an dieser existenziellen Entscheidung etwas dran sein. Aber dafür eine unbekannte Stumme um die halbe Welt segeln lassen? Die man dann überaus schüchtern und wenig überzeugend von den eigenen Qualitäten als Liebhaber überzeugen will? Das kann nicht gut gehen. Und das geht auch nicht gut. Steht in diesem Film aber wie ein Weißer Elefant mitten im Raum, oder besser: mitten im Geschehen.

Wenn schon der Geschäftsmann kein Motiv hinsichtlich dieser Frau hat, hat wenigstens der einfache Arbeiter Baines eines: Plakatmotiv (UK): The Piano (1993) Er ist vom ersten Blick auf diese fremde Frau mit den großen, geheimnisvollen Augen an verführt, nach den ersten drei Tastaturanschlägen hingerissen von ihrem feinfühligen Spiel am Piano, dass er sich buchstäblich nackig macht, um sie von sich und seiner Liebe zu überzeugen. Harvey Keitel ist umwerfend in dieser Baines-Rolle ("Codename: Nina" – 1993; Sister Act – 1992; "Bad Lieutenant" – 1992; Reservoir Dogs – 1992; Bugsy – 1991; Thelma & Louise – 1991; Die Spur führt zurück – 1990; Jack, der Aufreißer – 1987; Der Liebe verfallen – 1984; Apocalypse Now – 1979; Die Duellisten – 1977; Taxi Driver – 1976; "Alice lebt hier nicht mehr" – 1974; Hexenkessel – 1973; Spiegelbild im goldenen Auge – 1967). Das ist dann eben die eigentliche Geschichte: Boy meets Girl. Alles andere, die Maori, die unwirtlich matschigen Wälder, die Stimmen im Kopf der konkurrierenden Männer, die Hausdamen, die immer einfach da sind, aber von nirgendwo her zu kommen scheinen, ist nur folkloristischer Tand.

Nichts gegen Folklore und Tand. Das Kino wurzelt auf Folklore und Tand, auf Schein statt Sein. "The Piano" ist eine poetische, wunderschön fotografierte, dramatische Romanze.

Aber nachdem sich der eine Mann gleich im ersten Frame selbst aus dem Beziehungsdreieck nimmt, schaut man dem Drama einfach beim Werden zu und fragt sich – im Kinosessel des 20. Jahrhunderts – wieso eigentlich die Tochter der Protagonistin – im 19. Jahrhundert – sich derart illoyal ihrer Mutter gegenüber verhält und sich dem neuen Familienoberhaupt ohne Grund und gegen die eigene, deutliche Ansage zu Beginn des Films an den Hals wirft.

Dem vielfach ausgezeichneten Film werden vom internationalen Feuilleton poetische Qualitäten zugestanden. Poesie ist nicht immer einfach zu verstehen. Vielleicht bleibt der Film deshalb aus meiner Perspektive unter seinen Möglichkeiten.

Wertung: 6 von 10 D-Mark
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